Norwegen auf der Elektromobil-Überholspur

Was gut ist für die Umwelt, ist dem Nervenkostüm der Menschen nicht
immer zuträglich. Oslo versucht sein Verkehrssystem zu elektomodernisieren.

Die norwegische Regierung lässt nichts unversucht, um den Absatz von
Elektroautos anzukurbeln. Mit üppigen Anreizen verlockt sie die norwegischen
Autofahrer dazu, ihren Benziner abzugeben und sich auf Gefährte mit
Batteriebetrieb zu verlegen. Den Umsteigern winkt eine ganze Reihe von
Steuererleichterungen. Auf städtischen Parkplätzen können sie ihr
Elektrovehikel kostenlos aufladen. Und von gewissen Mautgebühren sind sie
auch befreit.

Das größte Privileg für die Elektromobillenker dürfte allerdings der
ungehinderte Zugang zu den Fahrspuren sein, die eigentlich für Busse
reserviert sind. Für die stolzen Besitzer batteriebetriebener Autos verliert
der dichte Verkehr in Oslo damit jeden Schrecken. Sie fädeln auf die
schnellen Vorzugswege ein und ziehen lässig an ihren Verkehrspartnern
vorbei, die mit ihren Spritfressern missmutig und angespannt im Stoßverkehr
festsitzen.

Die Strategie der Regierung geht auf. Ihr großzügiges Entgegenkommen hat in
dem wohlhabenden und ölreichen skandinavischen Land zu einem regelrechten
Boom der Elektroautos geführt. Vor allem in der Großstadt Oslo entscheiden
sich immer mehr Autofahrer für die umweltfreundlichere Transportalternative.

Doch was sich günstig auf die CO2-Emissionen in Norwegen auswirken dürfte,
schlägt einer der wichtigsten Berufsgruppen in der Hauptstadt schwer aufs
Gemüt: Die Osloer Busfahrer stehen am Rand eines kollektiven
Nervenzusammenbruchs.

Während sich immer mehr E-Mobile der Marken Tesla Model S, Nissan Leaf und
Peugeot iOn auf den Busspuren tummeln, ohne mit einem Knöllchen rechnen zu
müssen, geraten die Hauptstadtbusfahrer zunehmend unter Druck. Wie sollen
sie den Fahrplan einhalten, wenn vor ihnen unzählige Stromer umher surren
und die Haltestellen verstopfen?

„Die E-Autos müssen von der Busspur weg", fordert Busfahrer Erik Haugstad,
während er sein rotes Ungetüm an diesem sonnigen Frühlingsmorgen durch den
Verkehr von Oslo steuert. Dabei behält er abwechselnd die Straße, seinen
Rückspiegel und einen kleinen Bildschirm im Blick. Dieser Bordcomputer gibt
ihm die Zeiten vor, die er eigentlich einhalten sollte. Aber oft genug hinkt
sein Bus dem Zeitplan hinterher. Und Haugstad weiß auch, warum.

Busfahrer sind leidgeprüft
Mit einer Durchsage versucht er, seine Passagiere zu besänftigen. „Ich weiß,
Sie regen sich auf, weil der Bus zu spät dran ist. Noch mal - es tut mir
leid, aber ich kann es nicht ändern." Er legt eine Pause ein und zeigt auf
all die batteriebetriebenen Karossen, die vor ihm ein- und wieder
ausscheren. „Hier sind zu viele Elektroautos unterwegs."

Von allen Seiten hageln die Proteste auf den leidgeprüften Busfahrer ein.
Pendler beschweren sich, sie kämen zu spät zur Arbeit. Eltern sorgen sich
darum, dass ihre Sprösslinge den Unterrichtsbeginn verpassen. Und eine
ältere Dame wirft dem Fahrer vor, er sei jetzt schon mehrere Minuten in
Zeitverzug. „Jetzt verpasse ich meinen Zug, wissen Sie", wirft sie ihm an
den Kopf.

Eigentlich sei er ein freundlicher Mensch, sagt Haugstad von sich selbst.
Und wegen dem ungewöhnlich warmen Frühlingswetter habe er beim Aufstehen
auch noch richtig gute Laune gehabt. Unter normalen Umständen bediene er
sich gern des Bordmikrofons, um seine Mitreisenden zu begrüßen. Ganz so, als
wolle er persönlich beweisen, dass all die Umfragen und Studien wirklich
zutreffen, die aus Norwegen eines der Paradiese auf Erden machen. Aber für
die Osloer Busfahrer ist nichts mehr normal.

Mit Stand April wurden auf den norwegischen Straßen rund 27.500
Elektrofahrzeuge gezählt. Auf sie entfallen jetzt rund 10 Prozent des
Fahrzeugabsatzes in dem Land mit fünf Millionen Einwohnern. Der Großteil
dieser Autos kommt im Großraum Oslo zum Einsatz. Im März schob sich die neue
Tesla-Limousine der Marke Model S mit einem norwegischen Absatzrekord an die
Spitze. Kein anderer Hersteller verkaufte in einem einzigen Monat mehr
Modelle.

Pioniere in Sachen Elektromobilität
Für Tesla stellt das kleine Land im hohen Norden Europas direkt nach den USA
den größten Markt der Welt dar. Auch andere Autobauer, darunter Nissan
Motor, sehen in Norwegen schon seit Jahren einen Schlüsselmarkt. Und dass VW
nun eine elektrische Variante des beliebten Dauerläufers Golf vom Band
rollen lässt, dürfte die norwegische Nachfrage nach E-Mobilen zusätzlich
steigern.

In Sachen Elektromobilität zählen die Norweger ohnehin zu den Pionieren. Der
batteriebetriebene Winzling „Buddy" aus norwegischer Produktion, der ohne
Akku nur rund 408 Kilo wiegt, schnürt schon seit den frühen 1990er Jahren
durch die Osloer Straßen.

Doch was gut ist für die Umwelt, ist dem Nervenkostüm der Menschen nicht
immer zuträglich. Das neue Gerangel auf den Busspuren hat einen Trend in
Mitleidenschaft gezogen, auf den die ganze norwegische Nation zuvor mit Fug
und Recht stolz gewesen ist. Ehemals hoch angesehene Vorkämpfer für
Umweltschutz, wie etwa Frederic Hauge, finden sich nun plötzlich in der
unangenehmen Situation wieder, allen möglichen Beschwerdeführern als
Blitzableiter dienen zu müssen. Hauge leitet die Nichtregierungsorganisation
Bellona, die sich dem Klimawandel entgegenstemmt und sich mit aller Macht
für E-Mobil-Anreize einsetzt. Selbstverständlich fährt Hauge einen Tesla.

Viel Zeit zu Vergnügungstouren bleibt ihm neuerdings jedoch nicht mehr. Der
Umweltaktivist wird von einer Flut an Klage-Mails überrollt, die alle nur
ein Thema haben: die überfüllten Busspuren. Er solle eingreifen, etwas
dagegen tun, wird Hauge aufgefordert. Er verstehe die Debatte durchaus und
sei auch der Meinung, dass „Busse weiter erste Priorität haben sollten",
entgegnet Hauge den Kritikern. Aber „zu dem Thema seien noch nicht allzu
viele Daten gesammelt worden", schränkt er ein.

Die Stadtverwaltung von Oslo und andere an der Diskussion beteiligte
Organisationen verhandeln noch darüber, was in dieser Sache geschehen soll.
Entscheidungen sind noch nicht gefallen. Hauge plädiert dafür, zunächst
weniger dramatische Schritte in Erwägung zu ziehen, bevor man die
Stromfahrzeuge ganz von den Busfahrbahnen verbannt.

Doch den E-Mobil-Besitzern schwant nichts Gutes. „Wenn etwas klingt, als
wäre es zu gut, um wahr zu sein, dann ist es das meistens auch", stellt der
Polarforscher und Publizist Erling Kagge nüchtern fest, während er seinen
Tesla durch Oslo steuert. „Andererseits: Wenn jetzt die E-Mobile wieder auf
die Spur für normale Autos zurückwechseln, dann wird es für alle schlimmer."

Bürgermeister fährt E-Fahrrad
Doch auch wenn ihm künftig die Nutzung der schnellen Busspur möglicherweise
verwehrt wird, hofft Kagge dennoch, dass andere Anreize für die Anschaffung
von E-Autos erhalten bleiben. Er denkt dabei an die Befreiung von der
Verkaufssteuer, die in Norwegen 25 Prozent beträgt, und den Erlass von
Gebühren mit Strafcharakter, die im Zusammenhang mit Schadstoffemissionen
erhoben werden.

Den Stadtoberen von Oslo steht ein kniffliger Entscheidungsprozess bevor.
Schließlich hat Oberbürgermeister Fabian Stang sich stets damit gebrüstet,
dass seine Stadt „die Hauptstadt der Elektrofahrzeuge" ist. Er selbst fährt
zuweilen mit dem E-Fahrrad durch Oslos Straßen.

„Man könnte Oslo als einen Verkehrsmoloch bezeichnen und das ist ein großes
Thema für uns", gibt Stang zu und betrachtet einen Festzug, der sich vor dem
Büroklotz vorbeiwindet, in dem die städtischen Angestellten ihrer Arbeit
nachgehen. Letztendlich „wollen wir Umweltbelastungen vermeiden". Und da die
Leute nun einmal zur Arbeit fahren müssten, müsse die Stadt alles in ihrer
Macht Stehende in Angriff nehmen, um diese Menschen in elektrische Fahrzeuge
zu verfrachten.

Wenn der Polarforscher Kagge als Richtschnur dienen kann, dann wird der
Vormarsch ausgereifterer Elektrorenner wie etwa des blitzschnellen Tesla,
der mit einer einzigen Akkuladung mehr als 400 Kilometer absolvieren kann,
die Notwendigkeit, eine Vielzahl von Vergünstigungen anzubieten, von sich
aus mindern. „Seien wir doch mal ehrlich. Wir kaufen ja keinen Tesla, um
nett zu sein", meint er. „Wenn ein Tesla erst einmal so billig ist und so
gut aussieht, na, dann wollen wir natürlich einen!"