Notrecht in der EU

Um die Attacke der Spekulation auf den Euro abzuwehren, haben die EU und die Euro-Ländern einen so genannten Rettungsschirm aufgespannt. Das einzige, was an diesem verwirrlichen Terminus in die richtige Richtung weist, ist der Begriff «Rettung». Die beschlossenen Massnahmen berufen sich nämlich auf einen Notstandsparagrafen im EU-Vertrag für «aussergewöhnliche Ereignisse, die sich seiner [eines der Mitgliedsländer]Kontrolle entziehen».


Die Frage ist natürlich, was da ausser Kontrolle geraten ist? Und was zu unternehmen ist, um die Sache wieder in den Griff zu bekommen?
Die aktuelle Schwäche des Euro ist, darauf haben wir schon hingewiesen, das Resultat einer spekulativen Attacke gegen den Euro, die seit dem letzten Herbst im Gang ist. Die Attacke läuft nach folgendem Muster: Zunächst, wenn alles noch relativ gut aussieht, werden günstig Kreditausfallversicherungen gekauft. Das kann jedermann in beliebigem Umfang tun, auch wenn er keinem Staat oder Unternehmen einen Kredit in Euro gegeben hat. In einem zweiten Schritt werden Leerverkäufe in Euro getätigt. Dabei verspricht man, zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft Euro zu einem festen Preis zu verkaufen. Wenn genügend Euro billig angeboten werden, erzeugt dies einen Druck nach unten. Mit einer schwächelnden Währung Kredite zu bedienen wird schwieriger, deshalb erhöht sich das Risiko der Kredite und die Kreditausfallversicherungen steigen an Wert. Auf diesem Weg lässt sich mit relativ wenig Geld ein riesiger spekulativer Gewinn realisieren. Darauf sind die «Wolfsrudel» aus, von denen der schwedische Finanzminister Anders Borg am Wochenende sprach. Das ist also das, was ausser Kontrolle geraten ist.
Die Massnahme der EU: Den Mitgliedsländern so viel Kredit zur Verfügung stellen, bis die Spekulation zur Einsicht kommt, dass die Kredite nicht ausfallen werden und sich mit den Versicherungen kein Gewinn realisieren wird.


Damit dürfte man den ausser Kontrolle geratenen ersten Bereich tatsächlich wieder in den Griff bekommen, aber nicht für lange. Die getroffenen Massnahmen sagen auch warum, und damit dringen wir in die nächsttiefere Schicht vor, die ausser Kontrolle geraten ist. Die EU stellt nämlich den bedrohten Ländern nicht Wert zur Verfügung, sondern Kredit, also das Versprechen, Mehrwert zu schaffen, angesichts der riesigen Verschuldung, die auf Jahrzehnte allen Wert auffrisst, ein ziemlich leeres Versprechen. Ein weiterer spekulativer Angriff ist damit vorprogrammiert. Die zweite Massnahme der EU, nämlich den bisher verbotenen Kauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) zuzulassen, verspricht nichts Besseres. Dabei geht es ganz einfach darum, dass die EZB Zahlungsversprechen der einzelnen Staaten mit Euro bezahlt – simples Gelddrucken. Von Kontrolle keine Rede.
Damit sind wir bei der tiefsten unkontrollierbaren Schicht unseres Finanzsystems angelangt: Alles Geld in der Welt ist Kredit, der mit Kapital plus Zinsen zurückbezahlt werden muss. Das ist nur durch ständig neue Kredite möglich, eine Exponentialfunktion, zuerst sanft wachsend und zum Schluss steil steigend. Wer mit den Massnahmen gerettet wird und wer nicht, ist eine andere Frage. Dazu nur so viel: Bis jetzt wurde noch jede Währungsreform der Geschichte letztlich von den Sparern und Zwangssparern, die ihre Vermögen verloren. Enteignung ist nötig, aber nicht der Bürger, sondern der Superreichen und ihrer Gesellschaften.Wenn dadurch nicht so unendlich viel Not in die Welt getragen würde, könnte man sagen: Wer die Trugbilder unseres Geldsystems nicht durchschaut, hat auch keine Rettung verdient, weil er offenbar nur durch Schaden klug werden will. aber so zynisch darf man eigentlich nicht sein.