Hinter den Kulissen von Machu Picchu

Nach einer sechstägigen Blockade ist der Zugang zu Machu Picchu wieder geöffnet. Doch das Grundproblem besteht weiterhin: Während die wichtigste archäologische Stätte Perus jährlich Einnahmen in Millionenhöhe generiert, verfügen die umliegenden Dörfer nicht einmal über minimale Infrastruktur. Aus der Serie «News aus Lateinamerika».

© Pixabay

Seit Wochen wird in Peru heiss um die berühmteste Kulturstätte des Landes diskutiert: Die Ruinenstadt Machu Picchu, die als eins der sieben Neuen Weltwunder gilt, war aufgrund von Protesten sogar vorübergehend geschlossen. Grund für die Auseinandersetzungen war die Entscheidung der peruanischen Regierung, ein privates Unternehmen mit dem Verkauf der Eintrittskarten zu beauftragen.

Es wurde eine Privatisierung der alten Inkastadt befürchtet, die seit Jahrzehnten jeden Tag tausende von Touristen anzieht. Aus Protest blockierten Reiseveranstalter und die lokale Bevölkerung fast eine Woche lang die Eingänge und schlossen alle Geschäfte im touristischen Örtchen «Aguas Calientes», dem Ausgangspunkt für die Machu-Picchu-Touren. Hunderte von gestrandeten Touristen mussten «evakuiert» werden, da keine Züge mehr zwischen Cusco und Aguas Calientes kursierten.

Die Demonstranten forderten, dass der Vertrag mit dem Privatanbieter gekündigt wird, der den Ticketverkauf am 20. Januar aufgenommen – und für jedes verkaufte Ticket eine Provision von 3,9 Prozent erhalten hatte. Bei Eintrittspreisen von 40 bis 50 Dollar pro Person und bis zu 5600 Besuchern pro Tag generiert das einen immensen Gewinn, von dem die Anwohner nichts haben.

Das Kulturministerium, statt die Sorgen der Bevölkerung ernst zu nehmen, liess verlauten, die Demonstranten hätten nur Angst, dass der Schwarzmarkt für Eintrittskarten zusammenbricht, von dem sie profitieren würden. Letzten Mittwoch lenkte die Regierung jedoch überraschend ein und kündigte an, den Vertrag mit der Verkaufsfirma aufzulösen. Deren Website ist zwar immer noch online, da das Ticketsystem nicht von heute auf morgen ausgewechselt werden könne, doch es wurde die Erarbeitung einer neuen Lösung in Aussicht gestellt, die «transparent» sein und die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung berücksichtigen soll. Daraufhin wurden die Proteste beendet, und der Ball liegt bei der Regierung, die nun ihr Versprechen einhalten muss, auch wenn niemand genau weiss, wie das aussehen soll.

Der Konflikt um den Ticketverkauf ist aber nur die Spitze eines Eisberges. Denn rund um Machu Picchu, das weltbekannte Wahrzeichen Perus, gibt es zehn indigene Gemeinden, die in der Reportage des peruanischen Mediums «OjoPúblico» als «Die Vergessenen von Machu Picchu» bezeichnet wurden – und dies nicht ohne Grund: Ein Grossteil von ihnen hat weder Strom noch ständigen Zugang zu Trinkwasser. Die Gemeinden leben hauptsächlich selbstversorgerisch von ihrer Landwirtschaft und haben mit dem Tourismussektor nichts zu tun.

Es heisst zwar, dass zehn Prozent der Einnahmen aus den Machu-Picchu-Eintritten in die öffentliche Kasse des Bezirks fliessen – doch in Wirklichkeit handelt es sich um eine Gegend, die vom Staat vollkommen vernachlässigt wird. Unter anderem ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung prekär – es gibt keine Spitäler in der Nähe, und Krankenwagen kommen nicht in dieses abgelegene Gebiet. Eine Brücke, über die man in den Hauptort Santa Teresa gelangte, ist 2010 eingestürzt und nie wieder aufgebaut worden. Das bedeutet unter anderem einen zwei Stunden längeren Schulweg für die Kinder der Gemeinden Ccollpani und Mesada, wo nur die Primarstufe existiert. Ein angefangener Strassenbau mit einer alternativen Route wurde ebenfalls nie beendet. Ein krasser Gegensatz zu Aguas Calientes, dem Touristenzentrum, das vor modernen Gebäuden, Hotels, Restaurants und Läden nur so überquillt.

Weniger als eine Stunde von Ccollpani und Mesada entfernt befindet sich eine weitere Gruppe von Dörfern, in denen die Situation ähnlich aussieht: Der Mangel an Arbeitsmöglichkeiten und Infrastruktur macht es der Bevölkerung schwer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Wer nicht von seiner Landwirtschaft leben kann, arbeitet in Aguas Calientes, zum Beispiel im Baugewerbe, wobei die tägliche Zugfahrt dorthin nicht nur lang ist, sondern auch kostspielig.

Früher konnte durchs Verkaufen von Kunsthandwerk oder Essen an Touristen ein zusätzliches Einkommen generiert werden – doch inzwischen bieten die Reiseveranstalten Pauschalangebote an, die auch Verpflegung beinhalten. Die lokale Bevölkerung bleibt auf der Strecke. 

Als ob das nicht genug wäre, kam aus, dass ein ehemaliger Bürgermeister von Machu Picchu Geld veruntreut hatte – die Rede war von mindestens zwei Millionen Soles (rund 500'000 Franken), die für «verdächtige Feste und Jubiläumsfeiern» verwendet wurden. Ganz abgesehen davon, dass er seinen Bekannten und Verwandten Arbeitsplätze in einem Tourismus-Transportunternehmen verschafft hatte, an dem die Gemeinde beteiligt war.

Fazit: Machu Picchu generiert zwar grosses Einkommen – doch die Bevölkerung rund um die wichtigste archäologische Stätte des Landes geht leer aus. Wie so oft.

 

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Nicole Maron

Submitted by christoph on Mo, 04/19/2021 - 17:25

Nicole Maron (*1980) aus Zürich ist Journalistin und Buchautorin. Seit 2017 lebt und arbeitet sie in Bolivien und Peru. Ihre Schwerpunkte sind umwelt- und sozialpolitische Themen wie Flucht und Migration, globale Gerechtigkeit, Konzernverantwortung und Menschenrechte. 

Von Nicole Maron ist zuletzt erschienen: «Das Blut des Flusses» – Der in Espinar/Südperu gedrehte Dokumentarfilm zeigt auf, welche gravierenden Schäden das Schweizer Bergbauunternehmen Glencore vor Ort anrichtet.
https://www.youtube.com/watch?v=9Rj7lJc1GWY