Immer mehr unproduktive Arbeit macht uns immer ärmer

Es gibt immer mehr Steueranwälte, Steuerberater, Rechtsanwälte und hochbezahlte Finanzspezialisten – wem nutzt das?

Unproduktive Arbeit
Unproduktive Arbeit macht arm und unglücklich. Foto: Nicola Fioravanti

Am 13.11. entschied das Finanzgericht Hamburg, dass die in den Cum-Ex-Skandal verwickelte Privatbank M.M. Warburg nicht 155 Millionen Euro Steuerrückforderungen bekommen wird.Im Cum-Ex-Steuerskandal wurde der deutsche Staat um etwa 36 Milliarden Euro betrogen. Er ist damit wohl der mit Abstand grösste Steuerbetrug der deutschen Geschichte. Bei diesem Betrug war eine Fülle von Rechtsexperten, Steueranwälten, Rechtsanwälten und hochbezahlten Finanzspezialisten beteiligt. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welche gesellschaftlichen Auswirkungen die Zunahme dieser und ähnlicher Berufsgruppen hat. Die Ausführungen greifen, über weite Strecken wörtlich, Aussagen aus meinem 2023 erschienenen Buch: Das Ende des Wirtschaftswachstums – die ökonomischen und sozialen Folgen mangelnder Ethik und Moral, treditition, Hamburg, auf.

Steuerberater

Die Anzahl der Steuerberater in der deutschen Bundessteuerberaterkammer betrug 1962 knapp 24.000. 1980 waren es 37.400, 2000 61.800 und 2022 gab es 89.800. Gegenüber 1962 hat sich die Zahl der Steuerberater in Deutschland also um 274% erhöht, bzw. ist auf das 3,7-fache gestiegen. Da viele Steuerberater Angestellte haben, ist die Gesamtzahl der Menschen, die sich um Steuerfragen kümmern, deutlich höher als 89.900.

Die Aufgabe der Steuerberater ist: Steuerlast von den Reichen auf die Armen verschieben.

Was tun Steuerberater? Sie versuchen, die Steuerlast ihrer Mandanten, seien es Unternehmen oder vermögende Privatpersonen, zu minimieren. Wer zahlt dann die Steuern? Diejenigen, die sich keinen Steuerberater leisten können oder keinen brauchen, weil ihr Einkommen zu niedrig ist. Die ökonomische Aufgabe von Steuerberatern ist also, die Steuerlast von den Wohlhabenden zu den weniger Wohlhabenden zu verschieben, die Reichen reicher zu machen und die Armen ärmer.

Steuerberater erbringen – rein volkswirtschaftlich betrachtet – keine gesamtwirtschaftliche Nutzenerhöhung, sondern bewirken lediglich eine Umverteilung bereits produzierter Güter und Dienstleistungen zu Gunsten der Wohlhabenden. Je mehr Steuerberater wir haben, desto geringer wird daher der reale gesamtwirtschaftliche Nutzen, da ihr Fleiss von anderen, produktiven, wertschöpfenden Tätigkeiten abgezogen wird.

 

Volkswirtschaftlicher Schaden durch Steuerberater

Eine britische Studie aus dem Jahr 2009 kommt zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit von Steuerberatern gesamtgesellschaftlich betrachtet nicht nur keinerlei Nutzen bringt, sondern einen grossen Schaden anrichtet. Denn sie sorgt dafür, dass die Regierung hohe Summen an Steuereinnahmen gerade durch die reichsten Menschen im Land, die am ehesten Geld für Steuern entbehren könnten, verliert. Laut dieser Studie wird der gesamtgesellschaftliche Schaden pro britischem Pfund Einkommen eines hoch bezahlten Steuerberaters auf satte 47 Pfund geschätzt. Der gesamtgesellschaftliche Schaden der Steuerberaterzunft ist demnach gigantisch gross. Der Cum-Ex-Skandal zeigt beeindruckend, dass diese Analyse nicht aus der Luft gegriffen ist.

Manche Steuerberater spüren dies auch intuitiv. David Graeber zitiert in seinem sehr lesenswerten Buch «bullshit jobs» einen Unternehmens-Steueranwalt aus Canberra: «Ich trage nichts zu dieser Welt bei und fühle mich die ganze Zeit über völlig unglücklich. Ich mag es nicht, wenn Leute die Nerven haben zu sagen: «Warum tust du es dann?», weil es ganz offensichtlich nicht so einfach ist. Für mich ist es derzeit die einzige Möglichkeit, so viel für das obere ein Prozent der Gesellschaft beizutragen, dass sie mich mit einem Haus in Sydney belohnen, in dem ich meine zukünftigen Kinder grossziehen kann […] Dank des technischen Fortschritts sind wir heute wahrscheinlich in zwei Tagen genauso produktiv wie wir früher an fünf Tagen waren. Aber dank Gier und einem Produktivitätssyndrom werden wir immer noch aufgefordert, für den Profit anderer zu schuften». (1)

Je mehr Steuerberater es gibt, desto schlechter geht es uns.

Ethikstandards und Steuerberater

Was steckt hinter dieser Entwicklung zu immer mehr und mehr Steuerberatern? Letztlich abnehmende Solidarität mit der Gemeinschaft und zunehmender Egoismus. Bei Unternehmens-Steueranwälten ist es unübersehbar: Sie sollen dafür sorgen, dass die Netto-Unternehmensgewinne maximiert werden, dass die Unternehmen so wenig Steuern zahlen wie möglich und dadurch die Einkommen der in der Regel sehr vermögenden Aktionäre so stark wie möglich erhöht werden.

Letztlich gilt das Gleiche für Privatpersonen, die Steuerberater engagieren: Das eigene (Netto-) Einkommen soll erhöht werden zu Lasten aller anderen. Die Frage, die praktisch nie gestellt wird, lautet: Wer zahlt dann die Steuern, wenn nicht die gewinnstarken Unternehmen, die reichen Aktionäre oder die wohlhabenden Privatpersonen? Durch Steuerberater wird zwangsläufig die Steuerlast bei denjenigen erhöht, die ihren Steuern nicht durch gut bezahlte Steuerberater entkommen können: Beispielsweise einfache LohnempfängerInnen oder alle KonsumentInnen über die Mehrwertsteuer. 

Die stark steigende Anzahl der Steuerberater ist meiner Einschätzung nach daher ein Indikator für sinkende Moral und Ethik, für abnehmende Solidarität und steigenden Egoismus. Wenn das Ethos, die Bereitschaft, Steuern für die Allgemeinheit zu zahlen, also beispielsweise für Kindergärten, Schulen und sozial Schwache abnimmt, dann greift man zum Steuerberater.

Ich sage nicht, dass Steuerberater schlechte oder gar unmoralische Menschen sind. Ich kenne persönlich zwei Steuerberaterinnen, die ich äusserst schätze. Es geht hier um institutionelle Fragen, um Systemfragen, nicht um Fragen der persönlichen Moral von Steuerberatern. Es geht um die Frage: Was bedeutet, gesamtgesellschaftlich betrachtet, eine starke Zunahme an Steuerberatertätigkeit? Geht es einer Gesellschaft, in der die Zahl der Steuerberater ständig zunimmt dadurch besser oder schlechter? Die Antwort ist meiner Einschätzung nach eindeutig: Je mehr Steuerberater es gibt, desto schlechter geht es uns.

Wenn alle Menschen, insbesondere alle Spitzenmanager von Unternehmen ehrlich wären, würde man keine Wirtschaftsprüfer brauchen. 

Wirtschaftsprüfer

1961 gab es in Deutschland 1.590 Wirtschaftsprüfer, 1990 waren es 6.344 und 2022 14.653. Zwischen 1961 und 2022 hat sich die Zahl der Wirtschaftsprüfer um über 820 Prozent erhöht, es gibt heute 9,2-Mal so viele wie vor 60 Jahren. 

Seit wann gibt es Wirtschaftsprüfer? In Deutschland wurde der Beruf des Wirtschaftsprüfers 1931 eingeführt. 1932 gab es deutschlandweit 280 Wirtschaftsprüfer und 32 Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Wirtschaftsprüfer sind äusserst gut und über viele Jahre hinweg intensiv in Steuer- und Rechtsfragen ausgebildet und verdienen recht hohe Gehälter.

Was tun Wirtschaftsprüfer? Sie kontrollieren die Jahresabschlüsse grosser Unternehmen auf Richtigkeit und Gesetztestreue. Sie überprüfen also, ob die Unternehmensleitung betrogen hat oder nicht. Wenn alle Menschen, insbesondere alle Spitzenmanager von Unternehmen ehrlich wären, würde man keine Wirtschaftsprüfer brauchen. Das Vorhandensein und die Verbreitung von Wirtschaftsprüfern hängen also stark mit Moral zusammen.

Je stärker Ethik und Moral in den Führungsetagen der Unternehmen sinken, desto mehr Wirtschaftsprüfer brauchen wir und werden wir brauchen. Allein die Existenz von Wirtschaftsprüfern und das Wissen, dass zum Jahresende der Unternehmensabschluss durch externe Wirtschaftsprüfer untersucht wird, hält die Spitzenmanager weitestgehend extrinsisch davon ab, beim Jahresabschluss offen zu betrügen.

Welchen volkswirtschaftlichen Beitrag erbringen Wirtschaftsprüfer? Keinen. Wirtschaftsprüfer erbringen keinen gesamtgesellschaftlichen, volkswirtschaftlichen Nutzenzuwachs. Sie kontrollieren lediglich, ob alles in den Unternehmen gesetzestreu abgelaufen ist. 

Wenn alle Manager ehrlich wären, bräuchten wir diese Kontrolle nicht, und die Wirtschaftsprüfer könnten ihre Arbeitszeit, Lebenskraft und Klugheit für andere gesellschaftliche Zwecke verwenden.

Zur Klarstellung möchte ich betonen, dass ich Wirtschaftsprüfer für absolut integre und anständige Menschen halte. Es geht hier nicht um persönliche Moral von Wirtschaftsprüfern, sondern um die institutionelle, gesellschaftliche Frage was geschieht, wenn die Moralstandards in der Gesellschaft sinken.

Kurz: Je mehr Ethik und Moral in den Führungsetagen der Unternehmen sinken, desto mehr Kontrolle, desto mehr Wirtschaftsprüfer brauchen wir und desto ärmer werden wir. Ich fürchte, wir werden in Zukunft immer mehr und mehr Wirtschaftsprüfer brauchen.

 

Rechtsanwälte

1950 gab es in Deutschland 12.800 zugelassene Rechtanwälte, 1960 18.300, 1980 36.100, 2000 104.100, und heute gibt es 165.587. Von 1950 bis heute ist die Zahl der Rechtsanwälte um etwa 1.200 Prozent gewachsen, ihre Verbreitung hat sich beinahe verdreizehnfacht. Viele Anwälte, vor allem diejenigen in grossen Kanzleien, beschäftigen viele Angestellte, sodass die tatsächliche Zahl an Menschen, die sich mit Rechtstreits auseinandersetzen, sehr viel grösser ist als 166.000. Dazu kommen in Deutschland 22.000 Richter zuzüglich Gerichtsmitarbeiter, 244.000 Polizisten, 42.500 Strafgefangeneund die Gefängnisangestellten, die sie versorgen sowie die ganzen Zulieferindustrien.

Tragen Rechtsanwälte gesamtwirtschaftlich zur Erhöhung des realen Lebensstandards bei? Nein. Rechtsanwälte kümmern sich um die Verteilung von Gütern, sie produzieren keine. Wenn sich zwei Nachbarn mit Anwälten vor Gericht über die Höhe der Hecke streiten, so wird bei einem solchen Verfahren nicht die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt erhöht. Im Gegenteil. Es wird Lebenszeit, Kraft, Intelligenz aufgebraucht für – ja, wofür eigentlich genau? 

Mir ist klar, dass Rechtssicherheit ein hohes Gut ist, das alle anstreben, dass das Vorhandensein von Rechtsanwälten ein sichereres Lebensgefühl gibt und dass Rechtsanwälte insofern theoretisch zu einer Erhöhung der Wohlfahrt beitragen können. 

Aber: Wenn alle Menschen anständig und ehrlich wären und niemand niemanden betrügt oder betrügen will, dann würden wir erst gar keine Rechtsanwälte brauchen. Am Rande sei bemerkt, dass ich Rechtsanwälte sehr schätze, dass hier keine Kritik an der persönlichen Moral von Anwälten geäussert werden soll. Es geht hier um institutionelle, gesamtgesellschaftliche Betrachtungen. Und da gilt: Je mehr Unehrlichkeit, Streitsucht, Betrug, aggressives Verhalten und Egoismus zunehmen, je mehr Toleranz, Ehrlichkeit, Anstand, Respekt, Bescheidenheit, Duldsamkeit usw. abnehmen, desto mehr Rechtsstreitigkeiten werden wir sehen und desto ärmer werden wir werden.

 

Fazit 

Je mehr Ethik und Moral abnehmen, desto mehr Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Beschäftigte in verwandten Berufsgruppen werden wir brauchen, desto mehr Ressourcen, Arbeitskraft und Intelligenz werden von produktiven Tätigkeiten abgezogen und desto ärmer werden wir. Ich fürchte, die Zahl der in diesen Berufsgruppen arbeitenden Menschen wird weiter zunehmen.

 

(1) Graeber, David (2018), Bullshit Jobs – A Theory, UK, Allen Lane, Penguin, S.xxf


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