«Linke» Frauen und «rechte» Männer. Frauen gut. Männer schlecht.

Alle haben davon gelesen: Immer mehr junge Frauen stehen tendenziell eher links, immer mehr junge Männer driften nach rechts. Während Frauen eher links oder grün wählen, entscheiden sich Männer vermehrt für rechte Parteien. Kolumne aus dem Podcast «Fünf Minuten» von Nicolas Lindt.

Geschlechtergraben - oder das Gemeinsame finden? / © Nicolas Lindt

Die Studie aus den USA deckt sich auch mit dem Trend in der Schweiz. Bezeichneten sich 2010 noch 35 Prozent der Frauen unter dreissig Jahren als links, waren es 2023 schon 52 Prozent. Bei den Männern im gleichen Alter waren es 2010 noch 29 Prozent, 2023 schon 43 Prozent, die sich als eher rechtsgerichtet beschrieben.

Soweit die Zahlen, die natürlich wie immer geduldig sind. Was aber denken wir, wenn wir das lesen? Manche von uns werden sagen: Ich stehe weder links noch rechts. Ich gehe. Ich passe in keine der beiden Schubladen.

Doch der Mainstream in Staat und Medien sieht das nicht so neutral. «Eilig wurden Expertinnen und Experten befragt», schreibt der Tages-Anzeiger, «wie der Geschlechtergraben zustande komme. Und es wurde zu ergründen versucht, was bloss mit den jungen Männern falsch laufe.»

Wenn also Männer tendenziell eher rechts stehen, dann läuft etwas falsch mit ihnen. Dann haben sie da ein Defizit. Eine Mangelerscheinung. Auch Männer müssten sich deshalb nach links orientieren. Erst dann liegen sie richtig. So sieht es der Mainstream. Im Grunde wird damit gesagt: Wenn Männer anders ticken als Frauen, stimmt etwas nicht mit ihnen. Und weil die Männer spüren, was ihnen damit angetan wird, tendieren viele von ihnen gleich noch mehr nach rechts.

Warum stehen die Frauen denn eher links? Ein Grund ist bestimmt, dass Frauen in Chefetagen nach wie vor eine Minderheit sind. Sie sind immer noch eher Arbeitnehmerinnen als Arbeitgeberinnen und glauben deshalb, dass linke Parteien ihre Interessen eher vertreten. Weil linke Parteien noch immer das Image haben, dass sie sich für die «Werktätigen» engagieren, dass sie «sozialer» sind – was die Frauen mehr anspricht. Auch eine Soziologin der Universität Zürich begründet den Linkstrend der jungen Frauen damit, «dass Frauen eher sozialere Themen bevorzugen, die typischerweise von linken Parteien gepflegt werden.»

Etwas verkürzt: Frauen denken sozialer. Eine Feststellung, welche die meisten von uns bestätigen könnten – und doch zugleich eine Pauschalisierung, die jede Feministin eigentlich ablehnen müsste. Aber wenn die Expertin es sagt, muss es stimmen. Das sozialere Denken der Frauen wird gemeinhin damit begründet, dass Frauen mehr Mitgefühl haben, mehr Empathie, eine grössere Bereitschaft, zu helfen. In früheren Zeiten als das Patriarchat noch uneingeschränkt regierte, war ihr soziales Wesen neben der Mutterschaft sogar ihre Haupteigenschaft. Andere, vielleicht eher «männliche» Wesenszüge konnten die Frauen schon gar nicht entfalten.

Das hat sich glücklicherweise geändert. Aber geändert hat sich auch das soziale Denken. Weibliche Fürsorge – heute soziales Engagement genannt – wurde früher ausschliesslich im Privaten, innerhalb der Familie und im Umfeld des Dorfes geleistet. Eines Tages jedoch entwickelte sich die Tendenz, Fürsorgetätigkeit an staatliche Stellen zu delegieren. In ihrer nächsten Umgebung helfen Frauen auch heute noch unentgeltlich und selbstlos. Sie packen an, wo die Not es erfordert. Doch der weitaus grösste Teil des sozialen Gewissens wird heute vom Staat abgedeckt

Das ist zweifellos auch das Verdienst der Linken. Unzählige Postulate, vor allem von Seiten der Sozialdemokratie haben in hundert Jahren bewirkt, dass der Staat ein Sozialstaat wurde. Niemand muss Hunger leiden. Niemand ist rechtlos. Niemand muss in den Abgrund springen. Jedermann kann eine Beratung, eine Betreuung, eine Behandlung erwarten, wenn er sie wirklich braucht. Staatliche oder staatlich subventionierte Institutionen haben – mindestens theoretisch – in jeder schwierigen Situation, in jeder Not, in jeder Benachteiligung ein Hilfsangebot.

Doch das Verdienst der Linken ist zu Geistern geworden, die man nicht loswird. Denn wie wir alle wissen, hat der Sozialstaat eine Eigendynamik entwickelt, die nicht mehr zu bremsen ist. Eine Sozialindustrie ist entstanden, die sich unentwegt neue Aufgaben übergibt, neue Stellen schafft, neue Kompetenzen erhält, neue Regeln erlässt, neue Kontrollen einführt, neue Protokolle verlangt und neue Formulare entwirft, an denen sie selber beinahe erstickt. Ein sozialstaatliches Monster hält uns umklammert, das jede Selbsthilfe, jede Eigeninitiative verdirbt und verhindert.

Ist es das, was die Frauen wollten? Haben sie dafür ihre einstige persönliche Fürsorge im familiären, dörflichen und kirchlichen Umfeld an den Staat abgetreten? Zugunsten einer zentralisierten bürokratischen Maschinerie, die inzwischen sogar in die Familien eingreift, um die Kinder vor den Eltern zu schützen? – Es geht keineswegs darum, den Sozialstaat herunterzufahren und das Gesetz des Stärkeren walten zu lassen. Aber es wäre schon viel erreicht, wenn diese ganze Wucherung eingeschränkt und die Eigenverantwortung des Menschen wieder stärker gewichtet würde.

Die Linken und Grünen wollen das nicht. Sie wollen dem Staat und seinen Behörden eine immer noch grössere Macht verleihen. Nicht nur im sozialen Bereich. Und nicht nur auf der Ebene der Gesetze. Sondern viel mehr noch, wenn es ums Denken geht. In der Corona-Zeit machten wir die schlimme Erfahrung, wie uns der Staat durch seine Behörden und mithilfe der Medien erziehen wollte, richtig zu denken. Falsches, ungeimpftes Denken wurde bestraft. Und zuvorderst dabei: die Linken und Grünen

Können Frauen einen Staat unterstützen, der auch in unserem Land immer autokratischer wird, der uns Windräder aufzwingen will, der uns an Brüssel ausliefern und die Schweiz zur Kriegspartei machen will? Und waren es nicht die Männer, war es nicht das Patriarchat, das die Idee einer übergeordneten, staatlichen Macht begründete und verwirklichte? Ist es nicht an der Zeit, dass deshalb die Frauen – vor allem die Frauen – diese Macht in die Schranken weisen? Entspricht es der vielzitierten weiblichen Intuition nicht viel mehr, das gesellschaftliche Leben von unten nach oben zu bauen? Das Zwischenmenschliche, Familiäre, Individuelle wieder zu stärken? Den Menschen nicht allein staatsbürgerlich, sondern auch spirituell zu sehen?

Daraus aber schliesse ich: Wenn Frauen links stehen, läuft etwas falsch bei ihnen. Eigentlich müssten sie rechts stehen. Nicht im Sinne einer politischen Schublade oder Partei, sondern als Grundhaltung. Während «links» heute mehr denn je für staatliche Autorität steht, für mehr Staat und weniger Freiheit, ist mit «rechts» weniger Staat und mehr Freiheit gemeint. «Rechts» bedeutet mehr Selbstbestimmung. Mehr gesunder Menschenverstand. Und in Abwandlung des Lenin-Zitats: Kontrolle ist gut. Vertrauen ist besser. 

Von «linken Frauen» und «rechten Männern» zu sprechen ist ein Versuch, die Geschlechter zu spalten. Die Frauen auszuspielen gegen die Männer, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Wollen wir das? Ich will es nicht. Schliessen wir den Geschlechtergraben.

Die nächste Kolumne aus dem Podcast «Fünf Minuten» erscheint am 7. März

Über

Nicolas Lindt

Submitted by admin on Di, 11/17/2020 - 00:36

 

Nicolas Lindt (*1954) war Musikjournalist, Tagesschau-Reporter und Gerichtskolumnist, bevor er in seinen Büchern wahre Geschichten zu erzählen begann. In seinem zweiten Beruf gestaltet er freie Trauungen, Taufen und Abdankungen. Der Autor lebt mit seiner Familie in Wald und in Segnas.

Soeben erschienen: «Heiraten im Namen der Liebe» - Hochzeit, freie Trauung und Taufe: 121 Fragen und Antworten - Ein Ratgeber und ein Buch über die Liebe - 412 Seiten, gebunden - Erhältlich in jeder Buchhandlung auf Bestellung oder online bei Ex LibrisOrell Füssli oder auch Amazon - Informationen zum Buch

Weitere Bücher von Nicolas Lindt

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