Das reale Risiko für Russland: Sabotage, Terroranschläge und andere Ablenkungsmanöver

Auf beiden Seiten der Front in der Ukraine leben Menschen mit Sympathien für den jeweiligen Gegner. Zumindest die versteckte Kriegsführung wird noch lange dauern.

(Foto: Ammar Sabaa / unsplash.com)

Nicht eine neue ukrainische Wunderwaffe, sondern schlicht Sabotage und andere Ablenkungsmanöver sind der Grund für die Explosionen auf dem russischen Flugplatz der Krim und im Kernkraftwerks Saporoshije. Dort wurden Mitte August ein Wachmann und ein Ingenieur verhaftet, die den Ukrainern Zielkoordinaten geliefert hatten. Die Angriffe sind dabei nur die Spitze eines Eisbergs: die gezielte Ablenkungsstrategie und ihre Anwendung an vielen Orten Russlands und der Republik Donezk einschliesslich der Krim kann zur grössten Herausforderung Russlands werden.

Bisher erwähnten nur wenige Kommentatoren die äusserst realen Risiken von Sabotage- und/oder Terroranschlägen durch ukrainische Ablenkungsgruppen, einschliesslich der möglichen Sabotage des Kreuzers Moskwa und des Angriffs auf den Flugplatz auf der Krim. Dafür gibt es eine Reihe von Argumenten:

Sowohl der ukrainische als auch der russische Geheimdienst haben Zugang zu Datenbanken, mit denen sie Personen auf der anderen Seite zur Zusammenarbeit erpressen können.

  •  Der von ukrainischen Nazis geprägte ukrainische Sicherheitsdienst SBU/GUR hat bewiesen , dass er sehr effektive Ablenkungsangriffe durchführen kann und dies auch bereits getan hat, einschliesslich der Ermordung führender Vertreter der Volksrepublik Donezk. Manchmal setzten die ukrainischen Nazis spezielle SBU/GUR-Einheiten ein, ein anderes Mal rekrutierten sie erfolgreich Einheimische (sowohl in der Volksrepublik Donezk als auch auf der Krim), um Sabotage- und Terrorakte durchzuführen.
  • Die militärische Operation in der Ukraine ist zwar kein echter Bürgerkrieg, weist aber durchaus Bürgerkriegs-Aspekte auf: In der von den Nazis besetzten Ukraine gibt es pro-russische Teile in der Bevölkerung, ebenso wie es innerhalb der russischen Bevölkerung und der Volksrepublik Donezk pro-ukronazistische Teile gibt. Somit gibt es auf beiden Seiten Menschen, die fähig und bereit sind, der anderen Seite zu helfen.
  • Drittens: Sowohl der ukrainische als auch der russische Geheimdienst haben Zugang zu Datenbanken, mit denen sie Personen auf der anderen Seite zur Zusammenarbeit erpressen können. Dazu gehören kompromittierende Informationen über eine beliebige Tätigkeit als auch um Familienmitglieder unter Druck zu setzen oder jemanden direkt zu bedrohen und zur Zusammenarbeit zu überreden. Ausserdem gibt es auf beiden Seiten arme und mittellose Menschen, die dringend Geld brauchen, vielleicht nicht, um eine millionenschwere Yacht zu kaufen, sondern um zum Beispiel ein Familienmitglied medizinisch behandeln zu lassen.
  • Viertens profitieren – wie von jedem anderen Konflikt auch – auch in diesem Krieg einige Menschen. Aber es gibt viel mehr, die viel verlieren. Die meisten sowjetischen Überläufer verrieten ihr Land nicht wegen des Geldes, sondern weil sie sich von ihren Vorgesetzten oder dem sowjetischen Staat ungerecht behandelt fühlten.
  • Fünftens sind Spezialdienste sehr geschickt darin, 1) Schwachstellen aufzuspüren und 2) sie auszunutzen.  Da Menschen per definitionem Menschen sind, wird es auf beiden Seiten des Konflikts solche Schwachstellen geben.

Bisher machten vor allem die Ukrainer von solchen Ablenkungsmanövern Gebrauch, die Russen, soweit wir wissen, nicht. Doch soll nicht eine Seite als "gut" und die andere als "böse" bezeichnet werden. Beide Seiten können und werden solche speziellen Operationen einsetzen, um die Operationen und die Moral der anderen Seite zu stören.

Die Entscheidung Russlands, jedem Ukrainer, der möchte, einen russischen Pass auszuhändigen, wird einen gewaltigen Einfluss auf diese Situation haben. Diese Entscheidung wurde sowohl aus moralischen als auch aus pragmatischen Gründen getroffen. Aber sie wird einen sehr realen Preis haben: einen starken Anstieg russischer Bürger, deren wahre Loyalität nicht Russland, sondern dem Euromaidan oder sogar der ukrainischen nazistischen Ideologie gilt. Solche Menschen gibt es sogar in Russland selbst! Dass solche Menschen nur einen winzigen Teil der russischen Bevölkerung ausmachen, ist irrelevant: Alles, was der ukrainische Sicherheitsdienst braucht, sind ein paar Dutzend solcher Menschen.

Und natürlich ist die Entscheidung eine direkte Herausforderung für alle russischen Geheim- und Sicherheitsdienste. Und doch sieht die Realität so aus: Egal, wie gut sie sind, sie können nicht jeden erwischen und auch nicht alle potenziell verdächtigen Personen rund um die Uhr überwachen. Es wird immer "undichte Stellen" geben, die sich erfolgreich der Entdeckung entziehen. Einige werden immer durch das Netz sickern und von der anderen Seite benutzt werden.

Wenn der Westen und die ukrainischen Nazis in Kiew erklären, dass alle Explosionen in Donezk und Russland (einschliesslich der Krim) das Ergebnis von Raketenangriffen sind, stärkt das nicht nur die Moral der ukrainischen Nazis. Es zeigt darüber hinaus den westlichen Verbündeten des Naziregimes in Kiew, wie "effektiv" und "kampffähig" das ukrainische Militär angeblich ist.

Es lohnt sich, die Ursachen für die Zerstörung den Raketen zuzuschieben, denn damit lenkt man die Aufmerksamkeit von den Saboteuren und Terroristen ab. Die Russen verstehen das sehr gut, nicht aber die Medienkonsumenten im Westen: Deshalb wollen die meisten Kommentatoren nichts davon wissen, dass es sich bei den Angriffen um systematische Sabotage handelt. Lieber träumen sie von Super-Dooper-Raketen und anderen Wunderwaffen, als die uncoole Erklärung der Sabotageakte in Erwägung zu ziehen.

Fazit: Wenn es dem ukrainischen Geheimdienst gelungen ist, zwei Mitarbeiter des Kernkraftwerks Saporoshije zu rekrutieren, wen könnten sie dann noch rekrutieren? Denken Sie an Leute, die in der technischen Wartung, im Transportwesen, in der Logistik, in Gefängnissen und Kriegsgefangenenlagern tätig sind usw. usf.

Die Ukraine hat sogar versucht, den Piloten eines russischen SU-34 zu bestechen und ihn dazu zu bringen, seinen Kampfbomber im Austausch gegen einen EU-Pass und Geld auf die ukrainische Seite zu fliegen. Dieser Versuch scheiterte kläglich, denn erstens sind SU-34-Piloten eine hoch motivierte Elite und ausserdem werden sie von den russischen Spionageabwehrdiensten sehr genau überwacht. Vielleicht sollte der ukrainische Geheimdienst beim nächsten Mal ein bescheideneres und weniger geschütztes Ziel ins Visier nehmen. Doch wer kann schon sagen, dass der ukrainische Geheimdienst beim nächsten Mal scheitern wird?

Warum aber tun die Russen in der Ukraine nicht das, was sie in Tschetschenien getan haben? Da gibt es entscheidende Unterschiede, unter anderem:

  • Tschetschenien ist im Vergleich zur Ukraine ein winziges Stück Land und lässt sich vergleichsweise leicht abriegeln.
  • Die Bevölkerung Tschetscheniens ist im Vergleich zur ukrainischen Bevölkerung verschwindend gering (selbst nachdem Millionen von Menschen das Land verlassen haben).
  • Es gibt kein Äquivalent von Ahmad Hadschi Kadyrow oder seinem Sohn Ramsan in der Ukraine.
  • Die tschetschenischen Takfiris hatten nie die Feuerkraft oder die Waffen der Ukraine.
  • Der Präzedenzfall Tschetschenien bedeutet also keineswegs, dass die Nazis in der Ukraine so schnell besiegt werden können wie die Takfiris.

Dieses Problem für Russland wird nicht so bald verschwinden. Das Einzige, was die Russen tun können, ist 1) sich auf eine sehr lange, viele Jahre dauernde Abwehr von Spionage und Sabotage vorzubereiten und 2) die Realität des Krieges als das zu akzeptieren, was sie ist, und nicht zu überrascht zu sein oder überzureagieren, wenn die ukrainischen Nazis das nächste Mal etwas in die Luft jagen, sei es ein Schiff, einen Zug, ein Flugzeug, eine Brücke oder ein anderes Ziel in der Republik Donezk oder in Russland.

Die Russen sollten dabei aber nicht die gute Nachricht vergessen: nämlich dass die meisten dieser Ablenkungsangriffe oder Terroranschläge vor allem Teil der psychologischen Kriegsführung sind und meist auf den PR-Effekt abzielen. Ihre tatsächliche Auswirkung auf die militärischen Fähigkeiten Russlands ist nahezu gleich Null. Um militärische Operationen wirklich beeinflussen zu können, muss man über eine grosse, durchsetzungsfähige und hochentwickelte Partisanentruppe verfügen. Und diese haben die Ukrainer bei weitem nicht. Um militärische Operationen beeinflussen zu können, müssten solche Ablenkungsmanöver ausserdem sorgfältig mit "regulären" befreundeten Streitkräften koordiniert werden (wie die sowjetischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg, die eng mit den sowjetischen Streitkräften zusammenarbeiteten).

Es handelt sich also zwar um ein sehr unangenehmes Problem, das schwer zu bewältigen sein wird. Es wird aber keine Auswirkungen auf die russischen Militäroperationen haben. Selbst wenn die ukrainischen Nazis sowohl den Kernkraftwerkspark von Tschernobyl als auch den Kernkraftwerkspark von Saporoshije in die Luft jagen würden, hätte dies keine nennenswerten Auswirkungen auf die militärische Operation in der Ukraine oder gar den Krieg zwischen Russland und dem vereinigten Westen. Das russische Militär ist ausgebildet dazu, in einer feindlichen nuklearen, chemischen oder bakteriologischen Umgebung zu operieren. Was die russische Logistik betrifft, so ist sie extrem ausgeklügelt und vielfach besetzt. Selbst wenn die ukrainischen Nazis einen Knotenpunkt des Nachschubnetzes in die Luft sprengen würden, würde dieser schnell repariert, ersetzt oder umgangen werden.

Davon abgesehen empfehle ich, dass wir uns alle mental auf das vorbereiten, was mit ziemlicher Sicherheit in nicht allzu ferner Zukunft geschehen wird: Wenn wir verstehen, was eine solche Operation erreichen kann und was nicht, werden wir sie nüchtern und pragmatisch betrachten und uns der Hysterie vieler Seiten, einschliesslich der russischen sechsten Kolonne, enthalten, die einem solchen Angriff unweigerlich folgen wird.

Nachtrag: Angesichts der vielen Kommentatoren, die sich über eine mögliche Kernschmelze aller Kernreaktoren im Atomkraftwerk Saporoshije sorgen, möchte ich Folgendes sagen: Die Reaktoren selbst sind weitaus schwerer anzugreifen als die Lagereinrichtungen für gebrauchte Kernbrennstoffe, die nicht annähernd so gut geschützt sind. Auch hier gilt: Die wirkliche Gefahr ist nicht die, an die wir intuitiv zuerst denken.

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Andrei Raevsky ist Schweizer Bürger mit russischen Grosseltern. Er ist in der Schweiz aufgewachsen und hat bis in die 1990er Jahren für den Schweizer Nachrichtendienst gearbeitet. Seit rund 20 Jahren lebt er in den USA – seine Frau ist Amerikanerin – und betreibt das globalisierungs- und Nato-kritische Informationsportal thesaker.is, wo dieser Text in ausführlicherer Version erschienen ist.

03. September 2022
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Kommentare

N wie N ...

von atelier bergbach
Herr Raetkovs Artikel ist schlicht ungeniessbar. Für ihn gibt es in der Ukraine nur Nazis, keine Menschen. Warum erhält er hier eine Plattform?

n wie neutral

von Ginzoo
Liebes Bergbach Atelier: Hier wird ein Kommentar eines russland-erfahrenen Kommentatoren wiedergegeben. Die eigene Sicht auf die Dinge zu hinterfragen, gegebenenfalls sogar zu korrigieren, ist nur möglich, wenn sie eine Plattform erhalten. Es wäre evtl. gut, wenn Sie sich mal unabhängig über das Asov-Battaillon, welches in der Ukrainischen Armee aufging, informieren. Ungeniessbar wird in diesem Kontext dann lediglich die westliche Berichterstattung und Waffenlieferungs-Orgie. www.friedenskraft.ch