Der verschworene Planet
«Was ist der Unterschied zwischen einer Verschwörungstheorie und der Wahrheit?», war in den vergangenen Jahren eine der beliebten, von Augenzwinkern begleiteten Fragestellungen. Die Samstags-Kolumne.
«Du bist ein Verschwörungstheoretiker», tat ich Javiers Erzählung ab und setzte ein selbstgefälliges Lächeln auf. Javier nahm schmunzelnd einen Zug von seinem beeindruckenden Montecristo Zigarillo und lehnte sich entspannt zurück. Javiers fantastische Geschichte drehte sich um Che Guevara und hatte wenig mit der offiziellen Geschichtsschreibung zu tun.
Zwei Mal war ich im Dienst von Swisscontact (swisscontact.org) für mehrere Monate nach La Paz geflogen, um dort für die Firma Irupana Andean Organic Food S.A mit ihren besonderen, lokalen Rohstoffen verkaufsfertige Produkte zu entwickeln (Panettone mit Koka, Getreideriegel mit Koka etc.). Javier Hurtado und seine Geschäfts- und Lebenspartnerin Marta Cordero kehrten nach dem Ende der Diktatur aus ihrem deutschen Exil in ihr Heimatland Bolivien zurück, um die genannte Firma zu gründen, die den Campesinos im Hinterland eine regelmässige Abnahme ihrer Fuchsschwanzgetreideernten (Quinoa, Canahua, Willkaparu) zu ermöglichen.
Martas und Javiers politische Heimat war der Trotzkismus. Ich war freisinniger Kantonsrat im Zuger Parlament. Während meines Aufenthaltes wohnte ich in ihrem Haus in der Zona Sur und freute mich immer auf die abendlichen Gespräche mit unseren unterschiedlichen Weltanschauungen. Es ging um Geschichte, Politik, Wirtschaft, Familie, das Leben. Unter Präsident Evo Morales wurde Javier später Minister.
«Was ist denn eine Verschwörung?», fragte Javier süffisant, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten.
«Eine spinnerte Lügengeschichte aus dem Reich der Fantasie», entgegnete ich knapp.
«Eine Verschwörung ist eine geheime Absprache und Zusammenarbeit mehrerer Personen zum Nachteil Dritter.»
Ich legte die Stirn in Falten.
«Der Begriff wurde von der CIA geprägt, um die Kritiker der Warren-Kommission mundtot zu machen, gesellschaftlich auszugrenzen», legte Javier nach. «Das Kennedy-Attentat ist bis dato ungeklärt.»
Um es kurz zu machen: Javier Hurtados abenteuerliche Geschichte über Kubas Nationalhelden war das Samenkorn für meinen Roman «Vatikan City» von 2011, bei dessen Buchpremiere der von mir hochverehrte Hans Christoph Binswanger die Laudatio hielt. Che Guevara, Ernest Hemingway und ein lateinamerikanischer Papst spielten darin nicht unwesentliche Nebenrollen.
Mittlerweile habe ich die Überzeugung, dass vorwiegend bösartige und denkfaule Menschen Dritte als Verschwörungstheoretiker diffamieren. Gefährlich sind diesbezüglich aber vor allem die «dummen» Menschen (siehe Dietrich Bonhoeffers Theorie der Dummheit), denn wer nichts weiss, muss alles glauben. Die Weltgeschichte ist eine einzige Ansammlung von Verschwörungspraktiken und die Weltliteratur ohne Verschwörungen undenkbar (siehe: Die Intrige – Theorie und Praxis der Hinterlist von Peter von Matt, Hanser Verlag).
«Was ist der Unterschied zwischen einer Verschwörungstheorie und der Wahrheit?», war in den vergangenen Jahren eine der beliebten, von Augenzwinkern begleiteten Fragestellungen unter Pandemieskeptikern und Massnahmenkritikern.
«Sechs Monate!», wusste jeder die Antwort. Um Verschwörungstheorien rund um den Covid-Exorzismus vorzubeugen, wäre der Erfolg der www.aufarbeitungsinitiative.ch wünschenswert.
Bis dato seien noch immer 12% der Dokumente über die Ermordung des beliebtesten und charismatischsten Präsidenten der USA für die Bürgerinnen und Bürger nicht zugänglich. Genug, um die gängigen und neuen Verschwörungstheorien über die Hintergründe von JFKs gewalttätigem Tod mit Futter zu bedienen. Ein wenig bekanntes Motiv, das zu John F. Kennedys Ermordung herumgereicht wird, habe ich in meinen Roman «Das Geheimnis von Montreux» aufgenommen.
Kennedy hatte sich mit den Eigentümern der Federal Reserve Bank, der US-Notenbank angelegt und reihte sich damit in eine prominente Reihe von US-amerikanischen Regierungschefs, die dies sogar als ihr Wahlkampfthema taten. Alle wurden sie von einem fanatischen Einzeltäter erschossen. Abraham Lincoln war nicht einmal der erste. Seit 1913 ist der Dollar (wieder) eine private Währung und seit 1944 sogar die Weltwährung (Bretton-Woods-System). Was das bedeutet, ist süffig nachzulesen in Stephen Zarlengas Werk «Der Mythos vom Geld – Die Geschichte der Macht» oder Christoph Pflugers Meisterwerk «Das nächste Geld».
Eine uns alle betreffende Verschwörung ist denn tatsächlich das Geld- und Bankenwesen, im speziellen die Geldschöpfung. UBS-Boss Sergio Ermotti behauptete im Tessiner Fernsehen, es gebe keine Geldschöpfung durch die Banken, während Josef Ackermann Jahrzehnte zuvor seine Dissertation «Der Einfluss des Geldes auf das reale Wirtschaftsgeschehen», Bern 1977, zum selbigen Thema geschrieben hatte; die Geldschöpfung durch die Banken selber (Banken verleihen gegen Zinsen und Sicherheiten Geld, das sie nicht haben, sondern durch einen blossen Buchungssatz selbst herstellen). Ackermanns Doktorvater war damals Hans Christoph Binswanger (Geld und Magie – eine ökonomische Deutung von Goethes Faust).
Ja, gemäss Definition ist auch die Geldschöpfung eine Verschwörung, über die wir Schweizerinnen und Schweizer am 10. Juni 2018 sogar abgestimmt haben. Frei nach dem Motto: «Willst du eine Verschwörung geheim halten, dann lege sie in die Mitte des Küchentisches.»
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Kommentare
Verschwörung und Verschwörungstheorie
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