Der ewige Konflikt zwischen Innen & Aussen

Skepsis gegenüber der Aussenwelt, Zweifel an unserem Innenleben: Was, wenn alles anders wäre und wir nichts davon wüssten? Klaus Petrus im Gespräch mit Yves Bossart.

Zürich, Langstrasse, ein italienisches Restaurant. Vor mir sitzt Yves Bossart, Philosoph beim Schweizer Fernsehen SRF und Buchautor. Wir haben uns getroffen, um zu zweifeln. An der Aussenwelt. An unserem Innenleben. Und ob es überhaupt eine Grenze gibt zwischen diesem Innen und Aussen. Herausgekommen ist ein Gespräch über Seelenruhe, Teigwaren und falsche Propheten.

Klaus Petrus: Herr Bossart, schmeckt’s?
Yves Bosshart: Die Teigwaren sind lecker.

Und was, wenn Sie sich täuschen?
In Bezug auf was?

Wie diese Teigwaren tatsächlich schmecken. Oder ob es Teigwaren sind, die Sie da essen. Oder dass wir beide hier sind und uns darüber unterhalten, wie Ihnen die Teigwaren schmecken und ob es sie wirklich gibt.
So im Sinne von: Vielleicht sitzen wir einem riesengrossen Irrtum auf und alles ist bloss Illusion?

Genau. Der französische Philosoph René Des- cartes sagte einmal, es könnte sein, dass es irgendwo einen genius malignus gibt, einen allmächtigen Betrügergott sozusagen, der uns mit Absicht täuscht.
Dazu braucht es keinen solchen Gott. Es reicht die Einsicht, dass irdische Wesen – ein Hund etwa oder eine Fledermaus – die Aussenwelt ganz anders erfahren als wir. Da stellt sich die Frage: Wieso sollten gerade unsere Erlebnisse die wahren sein? Schon das zeigt: Was wir erleben, ist ziemlich sicher nicht das, was wirklich ist.

Ein beunruhigender Gedanke.
Wieso? Ob wir uns nun solche philosophischen Fragen stellen oder nicht: Die Aussenwelt kümmert das nicht. Sie ist, wie sie nun einmal ist. Nur eben: Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass wir nie herausfinden werden, wie diese Teigwaren «wirklich» schmecken oder ob es sie «tatsächlich» gibt, sondern bloss: wie sie uns schmecken oder wie sie uns erscheinen. Am Ende bleibt nur unsere Konstruktion von der Aussenwelt, die je eigene Interpretation von Realität.

Dann sind wir also alle in unserer eigenen Innenwelt eingekapselt? Das macht, finde ich, auf Dauer einsam.
Ja, und diese Einsamkeit überkommt uns immer wieder. Etwa wenn wir realisieren, dass wir anderen nie so richtig nahekommen, selbst unseren engsten Freunden nicht. Wir können mit ihnen einen tollen Abend verbringen oder einen Sonnenuntergang erleben. Und doch ist das, was sie dabei empfinden, niemals Teil unserer eigenen Erlebniswelt. Und umgekehrt.

Aber wir können uns doch auf die Anderen da «draussen» beziehen und mit ihnen über unsere Erfahrungen und Gedanken kommunizieren.
Bis zu einem gewissen Grad schon. Aber das geht auch nur, wenn wir ähnlich gestrickt sind, sei das biologisch, kulturell oder biografisch. Dann können wir uns nämlich in sie hineinversetzen, und das ist die Grundlage allen Verstehens. Wenn sich jemand vor Schmerzen am Boden krümmt, kann ich nachvollziehen, wie ihm zumute ist. Denn ich weiss, wie sich das für mich selber anfühlt. Wäre ich hingegen schmerzunempfindlich, wüsste ich mit seinem Verhalten nichts anzufangen. Dann könnte ich auch gar nicht angemessen auf ihn eingehen und ihm helfen. Letztlich kann ich nur das verstehen, was einen Bezug zu meiner Lebenswelt hat. Was mir ganz und gar unvertraut ist, das bleibt mir fremd. Und etwas mir völlig Fremdes kann ich nicht begreifen.

Zurück zur Innenwelt. Was ist das eigentlich?
Eine schwierige Frage. Plakativ gesagt, ist die Innenwelt wohl die Summe unserer Erlebnisse, Gedanken, Erinnerungen und Geschichten. Häufig sind das genau jene Dinge, mit denen wir uns identifizieren und aus denen unser Ich gemacht ist.

Und oft genug sind genau das die Dinge, in denen wir uns so fürchterlich irren.
Allerdings. Man denke bloss an Selbsttäuschung. Oder an Selbstbetrug. Manchmal kann das, was andere über uns sagen, zutreffender sein als alles, was wir von uns selber glauben oder halten.

Skepsis gegenüber der Aussenwelt, Zweifel am eigenen Innenleben. Gibt es denn kein sicheres Fundament mehr?
Und wenn es so wäre, wäre das schlimm? Sicher, Skepsis kann zu Verunsicherung führen. Wenn wir uns zum Beispiel nicht mehr sicher sind in dem, was wir glauben sollen, und wenn wir uns über unseren Glauben definieren, dann kann der Zweifel zu einer Identitätskrise führen. Doch hat der Skeptizismus auch sein Gutes.

Wirklich?
Ja, denn er macht uns gelassen. Die pyrrhonischen Skeptiker der Antike redeten von «ataraxia» und meinten damit eine Art von Seelenruhe.

Zweifeln macht doch eher nervös.
Nicht, wenn wir unter dem Skeptiker eine Person verstehen, die bereit ist, ihren eigenen Standpunkt zu hinterfragen, sich in die Gegenposition hineinzuversetzen und so die Perspektive anderer einzunehmen. Wenn ihr das gelingt, wird sie nicht mehr so verbissen und dogmatisch an einem Glaubensgebäude festhalten wollen. Auch geht sie automatisch auf Distanz zu diesen falschen Propheten, die meinen, sie hätten ein für allemal die Wahrheit gepachtet. Denn die Skeptiker leben damit, dass es unterschiedliche Sichtweisen gibt und nicht die eine, absolute Gewissheit.

Dann sollten wir einer Gesellschaft, die zunehmend fanatisch und fundamentalistisch wird, täglich dreimal eine gehörige Portion von diesem Skeptizismus verabreichen.
Ja, das würde vielleicht zu mehr Selbstkritik führen, zu mehr Offenheit, Toleranz und Empathie.   


Yves Bossart, 32, ist promovierter Philosoph, arbeitet bei SRF als Redaktor der «Sternstunde Philosophie» und an der Kantonsschule Willisau (LU) als Philosophielehrer. In seinem Buch «Ohne Heute gäbe es morgen kein Gestern» (Blessing Verlag 2014) führt er anhand von Gedankenexperimenten in die grossen Fragen und Probleme der Philosophie ein. Bossart lebt in Zürich, ist verheiratet und Vater einer Tochter.

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04. November 2016
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