Die radikale Zentralisierung
Facebook, Twitter und Co. bestimmen die Inhalte des öffentlichen Diskurses. Durch Zensur und das Löschen unliebsamer Beiträge erhalten sie eine allgegenwärtige Informationsmacht.
Derzeit schlagen in den USA die Wellen hoch, nachdem Facebook und Twitter nicht nur einen Artikel der New York Post gesperrt hatten, sondern auch jegliche Debatte über dessen Inhalte auf ihren Plattformen verboten.
Der Anlass war im Grunde harmlos. Die New York Post (NYP) – eines der ältesten und grössten Blätter des Landes und mittlerweile im Besitz des Murdoch-Imperiums – war in der üblichen boulevardesken Weise gegen Joe Biden zu Felde gezogen. Namentlich nahmen sie dessen Sohn Hunter aufs Korn und publizierten geleakte E-Mails, die Hunter Bidens Verwicklungen in etwas dubiose Geschäfte mit dem ukrainischen Energieunternehmen Burisma belegten. Fraglos wollte der Sohn die Prominenz des Vaters – der war damals US-Vizepräsident und hatte in der Ukraine starken Einfluss auf den «Regime Change» – nutzen. Aus dem Hause Biden kam gegenüber der NYP keinerlei Dementi.
«Die Technologiegiganten haben uns eine radikale Zentralisierung der Macht über den Informationsfluss beschert.»
Was allerdings daraufhin auf Facebook und Twitter folgte, gilt als bisher einzigartig in den USA. Sämtliche Links auf den Artikel wurden gelöscht, Posts, die das Thema lediglich thematisierten – ja sogar kritisierten, wurden zensiert. Unterstützt wurde die Aktion von einer Armada Biden-freundlicher Journalisten, die ein Klima extremer Feindseligkeit und Unterdrückung gegenüber der NYP-Geschichte schufen. Sie machten klar, dass jeder Journalist, der sie auch nur erwähnte, heftig angegriffen werden würde.
Glenn Greenwald, Jurist und Autor, bekannt geworden durch die Aufarbeitung des Snowden-Materials zur NSA, hat sich in einem ausführlichen Artikel auf der Nachrichtenseite The Intercept mit dem aktuellen Fall befasst.
«Die Unterdrückungsbemühungen von Twitter gingen weit über die von Facebook hinaus», schreibt er. «Zu Beginn des Tages erhielten Benutzer, die versuchten, einen Link zu der New York Post-Geschichte herzustellen, eine kryptische Nachricht, in der der Versuch als ‹Fehler› zurückgewiesen wurde. Später am Nachmittag änderte Twitter die Nachricht und wies die Nutzer darauf hin, dass sie diesen Link nicht posten könnten, da das Unternehmen den Inhalt als ‹potenziell schädlich› beurteilte.»
Twitter sperrte nicht nur Nachrichten seiner Nutzer, sie sperrten gleich den gesamten Account der NYP für einen ganzen Tag.
Was kann man gegen diese Form absoluter Zensur machen, fragt sich Greenwald. «Dass das Recht auf freie Meinungsäusserung nach dem Ersten Verfassungszusatz auf diese Fragen nicht anwendbar ist, versteht sich von selbst. Diese Verfassungsgarantie schränkt das Handeln von Regierungen ein, nicht das von privaten Unternehmen wie Facebook und Twitter.»
Doch er konstatiert, «dass das Handeln gigantischer Unternehmen verfassungskonform ist, bedeutet nicht, dass es gutartig ist. Staatliche Zensur ist nicht die einzige Art der Zensur. Insbesondere im Internet-Zeitalter kann die Unterdrückung des Sprechens und Denkens durch private Unternehmen ebenso gefährlich und folgenreich sein.»
Hinzu kommt: Twitter und insbesondere Facebook sind keine gewöhnlichen Unternehmen. Facebook ist als Eigentümer seiner riesigen Social-Media-Plattform und anderer wichtiger Kommunikationsdienste wie Instagram und WhatsApp eines der mächtigsten, wenn nicht sogar das mächtigste Unternehmen, das je existiert hat.
Umso mehr war es erstaunlich, so Greenwald, «wie die Demokraten in den letzten vierundzwanzig Stunden diese Zensur mit der Begründung rechtfertigen, dass private Unternehmen das Recht haben, zu tun, was immer sie wollen».
Im Juni hatte der Unterausschuss für Kartell-, Handels- und Verwaltungsrecht des US-Repräsentantenhauses eine Untersuchung über die Macht von Facebook und drei weiteren Unternehmen, Google, Amazon und Apple, eingeleitet. Der kürzlich veröffentlichte Abschlussbericht kam zu dem Ergebnis:
Facebook hat «eine Monopolmacht auf dem Markt für soziale Netzwerke», und diese Macht sei «fest verankert und werde wahrscheinlich von niemandem durch Wettbewerbsdruck ausgehöhlt», da «hohe Eintrittsbarrieren den direkten Wettbewerb durch andere Firmen davon abhalten, neue Produkte und Dienstleistungen anzubieten».
Matt Stoller, ein Spezialist für Monopolmacht, ging mit seiner Kritik in einem Artikel in der New York Times noch weiter. Die Technologiegiganten haben uns eine «radikale Zentralisierung der Macht über den Informationsfluss beschert». Diese beispiellose Konsolidierung der Kontrolle über unseren Diskurs stehe kurz davor, «den Zusammenbruch des Journalismus und der Demokratie» auszulösen.
Nicht zuletzt aus diesem Grund gibt es sowohl in der EU als auch zunehmend in den USA Forderungen aus dem gesamten politischen Spektrum, Facebook entweder aus kartell- und monopolrechtlichen Gründen aufzulösen oder es als öffentliches Versorgungsunternehmen zu regulieren. «Fast niemand in der demokratischen Welt glaubt, dass Facebook nur ein gewöhnliches Unternehmen ist», bekräftigt Greenwald seinen Eindruck zunehmender Kritik an dem Unternehmen.
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