Was ist ein Heros und wie entsteht er?

Die klassische Antwort gab Platon (427 – 347) in seinem Dialog Kratylos:

«Aber ein ‹Heros›, was bedeutet das wohl? – Das ist gar nicht schwer zu sehen. Denn nur ein klein wenig ist der Name verändert und deutet darauf, dass sie ihre Entstehung dem Eros verdanken. – Wie meinst du das? – Weisst du nicht, dass die Heroen Halbgötter sind? – Ja, und nun? – Also sind sie alle entstanden dadurch, dass Eros entweder einen Gott einer Sterblichen oder eine Göttin einem Sterblichen zuführte.»

Diese antike Idee des Heros als Halbgott erlebte in der modernen Gesellschaft eine seltsame Renaissance in totalitären Heroen-Kulten, aber auch in populären Filmen und Computerspielen. In Star Wars etwa - dem erfolgreichsten Kinoprojekt unserer Zeit - zeugt eine spirituelle Substanz namens «die Macht» ein Kind, das wie ein Halbgott übernatürliche Kräfte besitzt; sein Werdegang wird von namhaften Philosophen als «Mythos unserer Zeit» diskutiert. Auch in Computergames, die heute schon fast jeder Zweite spielt, geht es um nichts weniger als darum: durch die Verbindung mit übernatürlichen Kräften eine Art Halbgott zu werden und magische Taten zu vollbringen. Das Vokabular von World of Warcraft etwa, einem der erfolgreichsten Computerspiele weltweit, lässt in dieser Hinsicht nichts aus: Von «Geistverbindung» über «Astralverschiebung» bis hin zu «Erleuchtung» ist praktisch alles zu haben. Das Durchschnittsalter der virtuellen Helden, die täglich oft Stunden gamen, beläuft sich mittlerweile auf etwa 35 Jahre. Zuweilen möchte man ihnen zurufen: «Wenn ihr als Halbgötter die Welt retten möchtet, tut es doch bitte auch in der realen Welt!»

Wie aber wird man ein «echter Heros»? Platon hat es im eingangs zitierten Dialog treffend erklärt, wenn auch in Form eines Sinnbilds: Die sexuelle Befruchtung zwischen Göttern und Menschen verbildlicht einen, in seiner Art nicht weniger erotischen inneren Befruchtungsakt zwischen der menschlichen Seele und einer wie auch immer definierten spirituellen Essenz (Gott, Idee, Bewusstsein, Geist, Mythos usw.). Auf diese Weise wird mit Hilfe des philosophischen Eros ein neuer «innerer Mensch» gezeugt: das eigene «höhere Selbst» als Heros. Seine Qualität hängt allerdings von der geistigen Substanz ab, mit der er sich verbindet.

Falsche Ideen erzeugen falsche Helden – das wissen wir nicht erst seit den diktatorischen Mythen und Ideologien des 20. Jahrhunderts. Sie brachten die «aufgeklärte Gesellschaft» gründlich zu Fall. Auch «künftig können Mythen im selben Sinne und nach denselben Methoden erzeugt werden wie jede andere moderne Waffe» warnte 1945 der Kulturphilosoph Ernst Cassirer (1874 – 1945) - und wunderte sich im Exil, wie viele andere Intellektuelle, über die unerwartete Wiederkehr des Mythischen: «Seltsam genug, all dies kehrt in unserer modernen Welt wieder». Auch im Medienzauber der Gegenwart kehrt es wieder; sei es in neuen «Kampf-Mythen», die illegale als «humanitäre» Kriege beschwören, sei es in Form politisch konformer Superhelden, die dasselbe indirekt tun. Man kann hier mit Cassirer von einer propagandistischen Form der «geistigen Aufrüstung» sprechen und die Frage stellen: Warum ist derartige Manipulation psychologisch so wirksam? Möglicherweise weil sie mit einem seelischen Defizit operiert? Einem Defizit, das entstanden ist, weil uns die positive Kraft des wahren Mythos abhanden gekommen ist? – Nach Meinung des Mythologen Joseph Campbell (1904 – 1987) ist es tatsächlich dieser «Mangel an Mythos», der das «Auseinanderfallen» der Moderne bewirkt. Pseudo-Mythen und -Helden haben Erfolg, weil sie Surrogate für die fehlende innere Substanz moderner Gesellschaften sind. Diese zu erzeugen, wäre folglich das nachhaltigste Mittel, die Anfälligkeit für falsche Helden und Mythen zu therapieren. Gleiches kann nur von Gleichem geheilt werden, weiss die Homöopathie. Nur der wahre Mythos kuriert den falschen. Wer den inneren Heros findet, braucht keinen «Führer» mehr. Der innere Heros jedoch entsteht durch den Eros.

 

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