Ein Anti-Terror-Gesetz nach dem Modell autoritärer Staaten
Das Bundesgesetz über Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT), über das wir am 13. Juni abstimmen, führt zu grossen Kontroversen. Es würde der Bundespolizei fast unbegrenzte Macht verleihen und praktisch alle unter Generalverdacht stellen.
Der Protagonist in Franz Kafkas Roman «Der Prozess» wird eines Morgens verhaftet, doch niemand sagt ihm weshalb. Er versucht, sich an ein Gericht zu wenden, doch dieses besteht aus einem grossen Vakuum an Bürokratie, in dem er bis zum Schluss – seiner Hinrichtung – weder den Grund für seine Anklage erfährt noch irgendwelche staatsbürgerlichen Rechte wahrnehmen kann.
Dies mag absurd klingen, ist aber nicht weit von der Realität entfernt, die in der Schweiz bald gelten soll, wenn es nach den Befürworterinnen und Befürwortern des neuen Polizeigesetzes geht: Dieses würde Zwangsmassnahmen wie Hausarrest, elektronische Fussfesseln sowie Kontakt- und Ausreiseverbote ermöglichen, welche die Bundespolizei Fedpol – mit Ausnahme des Hausarrests – in Eigenregie verhängen soll, ohne die Überprüfung durch ein Gericht und ohne dass die betreffende Person irgend eine Straftat begangen hat. Um jemanden als potenziellen Terroristen abzustempeln, reichen «Hinweise» – doch nirgendwo sind Kriterien dafür definiert, wie diese Hinweise auszusehen haben oder wie garantiert werden kann, dass sie tatsächlich ausschlaggebend sind.
Zum Beispiel um weitere Personen aus dem gleichen Umfeld überprüfen zu können, wäre die Bundespolizei nicht einmal verpflichtet, Betroffene darüber aufzuklären, warum Massnahmen gegen sie verhängt werden. «Während im Strafrecht grundsätzlich die Unschuldsvermutung gilt, ist hier das Gegenteil der Fall», sagt Alicia Giraudel von Amnesty International. «Statt dass ein Gericht Beweise gegen einen vorbringen muss, um einen zu verurteilen, hat man nicht einmal die Möglichkeit, sich zu verteidigen. Das Gesetz würde der Bundespolizei eine fast unbegrenzte Macht verleihen.»
Amnesty International gehört zu einer breiten Koalition von Organisationen, die mit Nachdruck und grosser Besorgnis die Ablehnung der Vorlage empfehlen. «Es soll eine Art paralleles Justizsystem geschaffen werden», sagt Giraudel. «Doch dies widerspricht den rechtsstaatlichen Prinzipien, und wir würden alle unter Generalverdacht stehen.» Tatsächlich ist die Definition von «terroristischen Aktivitäten» im vorliegenden Gesetzesentwurf ziemlich weit gefasst, als «Bestrebung zur Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung, die durch die Begehung oder Androhung von schweren Straftaten oder mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken verwirklicht oder begünstigt werden soll».
Der Interpretationsspielraum, der sich dadurch eröffnet, gibt Anlass zur Befürchtung, dass nicht nur so genannte terroristische Gefährderinnen und Gefährder dem Gesetz zum Opfer fallen könnten, sondern auch Klimaaktivistinnen und -aktivisten oder Kinder – denn das Gesetz soll bereits für Zwölfjährige gelten. «Dies ist besonders heikel, da Jugendliche durchaus einmal mit den falschen Personen in Kontakt kommen können oder unbedacht etwas in ihren Sozialen Netzwerken teilen», betont Giraudel. «Durch die Verhängung von Zwangsmassnahmen kann jemand für den Rest seines Lebens stigmatisiert werden, während sich die Massnahmen im Jugendstrafrecht stets an der Resozialisierung ausrichten.»
Anti-Terror-Gesetze dieser Art gibt es bisher nur in autoritären Staaten wie der Türkei, wo die entsprechende Gesetzgebung seit den 90er Jahren gern dafür eingesetzt wird, um unliebsame Regimekritikerinnen und Medienschaffende hinter Gitter zu bringen. «Der Schweizer Gesetzesentwurf entspricht nicht dem internationalen Standard und wurde unter anderem von der UNO, dem Europarat und Schweizer Rechtsprofessorinnen und -professoren aufs Schärfste kritisiert», so Giraudel. «Abgesehen von den Konsequenzen im Inland würde der Ruf der Schweiz durch die Annahme dieses Gesetzes stark leiden. Als Land mit einer humanitären Tradition und als Sitz von diversen Menschenrechtsorganisationen würden wir an Glaubwürdigkeit verlieren. Ausserdem besteht die Möglichkeit, dass die Schweiz vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt würde.» Denn darüber, ob sich die neuen Bestimmungen mit nationalen und internationalen Regelungen vereinbaren lassen, herrscht nach wie vor Uneinigkeit.
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