Aus dem Podcast «5 Minuten» von Nicolas Lindt.

«Es beruhigt mich, zu wissen, dass die Vögel nicht nur über meinem Kopf kreisen.» / © Nicolas Lindt

Gestern holte mich ein Wanderer ein, als ich gerade stehen geblieben war. Als er an mir vorbeiging, schaute er mich ganz erstaunt an, weil er glaubte, ich führe Selbstgespräche.

Tatsächlich hatte ich laut zwei Worte gesagt. Ich hatte gesagt: «Sei still!». Ich sage das oft zu mir selbst, immer dann, wenn ich etwas denke, was ich nicht denken will. Manchmal passiert es mir nämlich, dass mich der Hochmut packt. Ich sehe zum Beispiel jemanden oder denke an jemanden, dem es schlechter als mir geht, und dann denke ich nicht: Wie traurig, dass es ihm schlecht geht. Stattdessen frohlocke ich, dass es mir besser geht.

Für einen kurzen Moment gibt mir das ein gutes Gefühl, ein Gefühl der Genugtuung, bis sich in mir das Gewissen meldet sich und mich fragt: Warum denkst du das? Du weisst, Hochmut kommt vor dem Fall. Warte nur! Wenn du so denkst, wird dir das Leben eine Lektion erteilen. Dann wird es plötzlich dir selber nicht mehr gut gehen.

Natürlich hat mein Gewissen recht. Hochmut tut niemals gut. Doch die andere, hämische Stimme in mir gibt nicht auf. Sie hält daran fest, dass es mir besser geht, dass ich überhaupt ein viel besserer Mensch bin als dieser andere. Diese schlangenartige Stimme, so kommt es mir vor, ist die Stimme des Teufels. Er will mich zu sich herunterziehen und er wird immer hartnäckiger, wenn er sieht, dass ich auf mein Gewissen höre.

«Sei still!», sage ich dann. Und ich sage es laut, damit der Teufel es hört, damit er schweigt und sich verzieht. Ich will auch, dass mein Gewissen es hört, damit es merkt, dass ich gar nicht hochmütig sein will. «Sei still!», zische ich noch einmal. Weil die Stimme in mir immer noch da ist, weil ich mich immer noch besser fühle, obwohl mein Verstand mir sagt, dass ich keineswegs besser bin als der andere, auch wenn es ihm äusserlich schlechter geht. Aber vielleicht hat er ein viel reineres Herz als ich. Ein äusserer Eindruck kann täuschen.

Ich sage auch deshalb so laut «Sei still!», weil ich möchte, dass mein Gewissen mir glaubt und den Teufel davonjagt. Aber das tut es nicht. Das muss ich schon selber tun. Der Teufel lauert auf jede Gelegenheit, mich zu verführen. Es muss mir gelingen, ihn zu besiegen.

Jedes Mal, wenn ich meinen Kampf mit ihm kämpfe, fällt mir wieder der Satz ein, den Martin Luther, der Reformator, gesagt haben soll. Er sagte sinngemäss: «Du kannst die bösen Gedanken nicht daran hindern, wie schwarze Vögel über deinem Kopf zu kreisen. Aber du kannst verhindern, dass sie auf deinem Kopf Nester bauen.

Offenbar hatte auch Luther mit diesen fiesen Gedanken zu kämpfen, denn er war bestimmt ein selbstsicherer Mensch, ein Mensch, der von seiner Mission erfüllt war. Und gerade die selbstsicheren, von sich selbst überzeugten Menschen, die erhobenen Hauptes durchs Leben gehen – gerade sie sind gefährdet, vom süssen Gift des Hochmuts trinken zu wollen.

Menschen, die an sich zweifeln, die mit sich hadern und von Natur aus bescheidener sind, haben das Problem mit dem Hochmut nicht. Ihnen flüstert der Teufel etwas anderes zu. Er spricht zu ihnen: Zweifle noch mehr an dir! Zweifle stets an dem, was du willst und tust! Du kannst nie sicher sein! Sei nicht stolz auf dich, du hast keinen Grund dazu!

Es beruhigt mich ein wenig, zu wissen, dass die Vögel nicht nur über meinem Kopf kreisen. Jeder hat mit hinterhältigen kleinen Gedanken zu kämpfen, die auf seinem Kopf landen und ein Nest bauen wollen – der Selbstsichere ebenso wie der Zweifelnde. Wenn wir deshalb jemanden hören, der zu sich selbst sagst: «Sei still!», dann wissen wir, dass er bloss seine Vögel verscheucht. Damit die Luft wieder rein ist.

Kommentare

Der NährBoden der Realität

von juerg.wyss
Ich finde die Mitteilungen von Nicolas sehr intressant, auch wenn seine Schlussfolgerungen nicht ganz meiner Realität entsprechen. Wohl bemerkt jeder Mensch hat seine eigene Realtät, es gibt keine universelle Realität. Auch wenn viele glauben die Realität sei das Reale. So unterstellt Nicolas einem Menschen, nur zu glauben dass Nicolas Selbstgespräche führt, weil er sich selber nicht zugeben kann, dass wenn er zu sich selber spricht indem er sagt "sei still", ein Selbstgespräch führt. Er scheint hier zwei Sachen zu vermischen, wie alle anderen auch. Ein Selbstgespräch ist, wenn man zu sich selber spricht, das ist ganz normal, eine Selbsdiskussion ist wenn ein Mensch sich selber antwortet und daraus eine Diskussion entsteht. Aber warum ich eigentlich schreibe ist der Ausdruck "Hochmut kommt vor dem Fall" Dieses Sprichwort ist realitätsfremd, denn es kann nicht etwas kommen, wenn es etwas anderem vorangeht. Der Hochmut ist schon passiert bevor der Fall kommt. Also müsste das Sprichwort lauten Hochmut geht dem Fall voraus, oder wie ich es ausdrücken wurde. Nach dem Hochmut kommt der Fall. So macht es Sinn.