Teile, herrsche, siege!
Der altgriechische Philosoph Platon erzählt vom Mythos, dass wir einst Kugelmenschen waren mit vier Armen und vier Beinen waren; uns drehend bewegten wir uns über die Erde.
So kraftvoll und schnell waren wir, dass die Götter fürchteten, wir könnten ihnen gefährlich werden. Also spalteten sie uns in zwei Kugelhälften: Mann und Frau. Und weil die sich von alters her nicht einigen können und mehr oder weniger ständig im Zank liegen, haben die Götter ihre Ruhe. Der Plan der Götter ging also bestens auf.
Vom Nichts zum Jemand
Wir, genauer gesagt, wir Wirtschafts-, Nationen- und Religionsführer, kurz: Wir Machtmenschen sind weltliche Götter, denn wir haben von den Göttern gelernt. Wir zertrümmern eure Ganzheit, so dass ihr vergesst, wie viel ihr gemeinsam habt; stattdessen machen wir euch zu eifernden, streitenden Wesen. Wir verkünden euch alleinseligmachende Wahrheiten, lehren euch, dass es unter euch oben und unten gibt, besser und schlechter; wir lehren euch die Pflicht vor das Vergnügen zu stellen, aber nicht ihr definiert, was Pflicht ist, sondern wir; wir lehren euch, dass Wissen vor Weisheit geht und Recht vor Gnade, und wir bestimmen, was Wissen ist und was Recht.
Ihr habt gelernt und verinnerlicht: Da gibt es die Oberen und die Unteren, die Guten und die Bösen, die Tüchtigen und die Faulen, die Vorbildlichen und die Nachahmer, die Weissen und die Schwarzen, die Gewinner und die Verlierer. Und ihr wart folgsam, ihr habt anerkannt: Euer Wert wird von unseren Vorgaben bestimmt. Ohne uns seid ihr ein Haufen Nichtse, aber mit uns seid ihr jemand; ohne Eigentum seid ihr Nichts, und mit Eigentum seid ihr jemand. Und wer bestimmt den Wert des Eigentums?
Von der heiligen Pflicht
Wer bestimmt, was wertvoll ist und was nicht? Wer bestimmt, von Land zu Land, von Gruppe zu Gruppe, von Ideologie zu Ideologie euren gemeinsamen Nenner? Wir natürlich, nicht ihr. Wir bestimmen die gemeinsamen Nenner «Wahrheit» und «Lüge» , «Europa» und «Nation» , die gemeinsamen Nenner «Klasse» und «Bildung» , die gemeinsamen Nenner Hautfarbe, Geschlecht, Glauben, Garnison, Gruppenzugehörigkeit, Stadt und Gemeinde.
Eure Pflicht ist es, euch einzureihen in Fühlen, Denken und Handeln, und folgsam tut ihr es wie die kleinen Gänslein. Wir loben euch und beteiligen euch an unseren Pfründen; wenige Prozente, und schon seid ihr dankbar und begeistert über unsere Grosszügigkeit. Wir lehren euch, Gehorsam als heilige Pflicht zu verstehen und die zu bekämpfen, die dieser Pflicht nicht folgen. Wir lehren euch, dass Pflicht und Gewissen gleichbedeutend sind und von hohem Wert, und dass Gehorsam ein sanftes Ruhekissen ist.
Die 10 neuen Gebote
Aber wir leben in einer Demokratie; ihr könnt einer werden von uns, wenn euch der Gehorsam in Fleisch und Blut übergegangen ist, wenn ihr die Segel eures Geistes ausgerichtet habt am Wind unserer Worte und Vorgaben. Mit uns dürft ihr dann von oben herabschauen und der Masse ein Vorbild sein und sie züchtigen nach Notwendigkeit. Zuvor aber habt ihr die neuen 10 Gebote erlernt, denn die alten sind nicht mehr gültig:
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Nie zweifle an der Herrschaft von Zins und Zinseszins. Sie sind die gerechten Zuchtruten für die Faulen und Wertlosen.
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Nie zweifle an deinen Herrn und Meistern; nie gib Widerworte, auch nicht in der Stille deines Herzens.
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Reihe dich ein. Nutze jede freie Minute, um dich auf deine nächste Arbeit und Pflicht vorzubereiten. Sei sorgfältig, fleissig und pflichtbewusst.
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Beuge deine Knie vor den 40 DAX-Unternehmen; denn sie sind Vorbilder, denen du nacheifern sollst in Gedanken, Worten und Werken.
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Sei friedfertig und untertan. Töte Feinde nur nach unseren Vorgaben und auf unseren Befehl.
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Vermähle dich nicht mit der Natur, auch nicht deiner eigenen; denn sie ist wild und gefährlich und kann eurer Karriere im Weg stehen.
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Nie stelle den Wert des Geldes und seiner Schöpfer in Frage.
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Hüte dich vor Sozialisten und Kommunisten gleich welcher Richtung, sie sind der Feind. Lies nie ihre Schriften, es ist verschwendete Zeit.
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Achte unseren Besitz, denn ohne ihn gäbe es auch den deinen nicht und ohne ihn bist du ein Nichts.
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Überlasse niemandem ein Gran deines Besitzes. Dein Besitz ist dein Augenlicht. Verschenke nichts.
Zu Siegern werden
Wisset also: Nur wer hat, dem wird gegeben. Eifert uns deshalb nach. Hütet euch vor den Zweiflern und Nichtsnutzen. Sie wollen euch ein schlechtes Gewissen machen. Meldet sie uns, auf dass wir sie bestrafen und von der Erde tilgen. Ihr seid die fruchtbare Erde, auf der unser Korn wächst. Euer Glaube ist der Dünger unseres Gewinns, an dem wir euch und eure Kindeskinder grosszügig teilhaben lassen. Mit uns werdet ihr zu Siegern, ohne uns seid ihr Verlierer.
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