Ohne Geld – weniger geht nicht

Heidemarie Schwermer ist nie krank. Nicht einmal daran denken darf sie, denn eine Krankenversicherung hat sie keine. Damals, vor fünfzehn Jahren, als sie beschloss, ohne Geld zu leben, hat sie sie gekündigt. Doch ihre Gesundheit bleibt ein fragiles Geschenk: «Wenn ich irgendwo erzähle, dass ich nie krank bin, habe ich am nächsten Tag einen Schnupfen.» Angst, einmal wirklich krank zu werden, hat sie nicht. «Wir müssen uns vom Gedanken lösen, dass man im Alter immer kränker wird», sagt die 69-Jährige.
Alt wird sie aber trotzdem, nur zurücklehnen kann sie sich deswegen nicht. Heidemarie Schwermer ist ständig unterwegs, hütet Häuser, putzt und macht sich nützlich, wo sie kann. Sie muss, denn ein eigenes Zuhause hat sie keines, ist ganz auf die Offenheit anderer Menschen angewiesen. Die Sehnsucht nach einem eigenen Zuhause sei irgendwie weg. Für Heidemarie Schwermer gibt es keine Fremden mehr. «Die Menschen werden immer mehr meine Geschwister.» Und die fühlen sich angesprochen: Ihr Buch «Das Sterntalerexperiment» wurde auf Italienisch, Spanisch, Japanisch und Koreanisch übersetzt. Die italienische Übersetzung wurde 2008 sogar mit dem Literatur-Friedenspreis «Firenze per le Culture di Pace» ausgezeichnet. Selbst im Fernen Osten interessiert man sich nachhaltig für die Frau ohne Geld. In Korea geht ihr Buch gerade in die zweite Auflage. Warum ihr Buch dort so erfolgreich ist, weiss Frau Schwermer auch nicht. Dafür kenne sie die Koreaner zu wenig. Ihre eigenen Landsleute hat sie kürzlich von einer ganz anderen Seite kennengelernt. Der norwegische Dokumentarfilm über ihr Leben ohne Geld «Living Without Money» wurde von deutschen Fernsehsendern durchwegs abgelehnt. Selbst zu den Podiumsdiskussionen des Dortmunder Projekts «Stadt ohne Geld» wurde sie nicht eingeladen. Ausgerechnet in Dortmund, wo Heidemarie Schwermer den Tauschkreis «Gib und Nimm» gründete und ihrem Leben eine neue Wendung gab. Trotzdem ist sie, wie sie selbst sagt, «für die nur die Omi, die da mal was ausprobiert.» Ob sie das verletzt? Nein, da drüber sei sie weg.


Fünfzehn Jahre ohne Geld. Jene die ihr das nachmachen, kann man an einer Hand abzählen. In der westlichen Welt ist sie die unbestrittene Queen of Downsizing. Etwas Besonderes sein möchte Heidemarie Schwermer deshalb aber nicht. Erst kürzlich schrieb sie in einem englischen Artikel mit dem Titel «Why I live without money» alle «Is» (also die «Ichs») klein. «Ich wollte damit zeigen, dass meine Person nicht wichtig ist», sagt sie, allerdings habe es dann doch zu komisch ausgesehen. Trotzdem: Heidemarie Schwermer möchte etwas weitergeben, etwas das übertragbar ist auf andere. Ihr wichtigstes Projekt ist zurzeit ein von ihr designter Aufkleber, an dem sich die «kulturell Kreativen» gegenseitig erkennen sollen. Frei nach Schwermer bedeutet er auf einem Auto «Steig ein, ich nehme dich mit!», an einer Haustür «Komm rein, hier gibt’s einen warmen Tee und ein Bett zum Schlafen!» oder am Revers «Frag mich, ich bin offen!» Heidemarie Schwermer wird ständig gefragt, z.B. wie es denn sei, wenn man nie einkaufen kann, worauf man Lust hat. «Ich esse alles, ausser Fleisch, das lasse ich stehen», sagt Heidemarie Schwermer, die seit dreissig Jahren die «Fünf Tibeter» praktiziert. Ihre Probleme – wenn sie denn welche hat – behält Schwermer für sich. Sie lässt nicht erahnen, ob sie manchmal nachts wach liegt, weil sie nicht weiss, wo sie nächste Woche wohnen wird oder ob sie Angst hat, dass sie einmal ins Pflegeheim muss. Eine Überlebensstrategie? «Ich bin in ein riesiges Vertrauen hineingewachsen», sagt Schwermer.

Man kann die Welt umsegeln, auf den höchsten Berg steigen oder die Antarktis zu Fuss durchqueren. Was ist das schon, wenn man nach ein paar Monaten wieder nachhause kommen kann und mit wohligem Schaudern an vergangene Strapazen denkt. Heidemarie Schwermer hat kein Satellitentelefon mit dem sie – per «Holt mich hier raus!» – ihr Abenteuer vorzeitig abbrechen kann. Für sie und uns alle wünsche ich mir eine Welt, in der erstmal überall Aufkleber an den Türen leuchten und dann eine, in der sie nicht mehr nötig sind, weil man überall einen heissen Tee und ein Bett zum Schlafen bekommt – einfach so!    

Mehr zum Thema «Wachstumsfalle» im neuen Zeitpunkt 112 «Downsizing»:
http://www.zeitpunkt.ch/archiv/2011/112-downsizing-wege-aus-der-wachstumsfalle.html
08. März 2011
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