«Sie baute immer nur Türme»
Fünfzig Jahre lang betreute Anna Gloor ihre behinderte Tochter zu Hause. Kaum war sie entlastet, wurde ihr Mann krank. Die 84-jährige Winterthurerin erzählt, wie sie ihr schwieriges Leben gemeistert hat.
Ich bin in Schaffhausen aufgewachsen, am Stadtrand, im Pantli. Der Vater war Magaziner in der Georg-Fischer-Fabrik im Mühlental, die Wohnung gehörte der Firma. Wir waren fünf Kinder. Ich bin die Älteste, nach mir kamen noch vier Brüder.
Der Jüngste kam blind und taub auf die Welt. Dass er nichts hörte, merkte man bald, aber dass er nichts sah, wussten wir erst, als er fünf Jahre alt war. Wenn ich ihn auf den Arm nahm, suchte er mit den Händen meine Zöpfe und drückte sich an mich. Dann wusste ich: Er hat mich erkannt. Er kam in ein Behindertenheim in St. Gallen. Mit siebzehn starb er, wahrscheinlich an Krebs. Nach der Schule musste ich in Lohn bei Schaffhausen bei einer Familie im Haushalt arbeiten. Später war ich zwei Jahre in Basel, dann zwei im Jura. Ich hatte immer Heimweh, die ganze Zeit! Das ging nie weg. Aber ich sagte es niemandem. Die Mutter hätte mich nicht verstanden. Ob ich Französisch gelernt habe? Nicht viel, das Ehepaar im Jura konnte recht gut Deutsch. Die Kinder haben von mir Deutsch gelernt.
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