Shabbat Shalom — Schöne Sunntig

Es war eine typische Shabbat-Antwort: ja und sehr gerne! Der Zeitpunkt fragte mich an, ob ich etwas zur Bedeutung von Shabbat und Sonntag schreiben möchte. Der Shabbat ist ein Feiertag, ein Freudentag – gerne feiern, gerne davon berichten, andere daran Anteil haben lassen. Shabbat ist ein Gefühl von etwas Speziellem, Gemeinschaftlichem, jede Woche neu und doch seit Jahrtausenden gleich. So fühle ich über den Shabbat und übrigens auch über den Sonntag und andere «Holy days», von denen die Kalender ja nur so wimmeln. Sie erinnern an den Kontakt mit der geistigen Welt, mit dem Ursprung. In der heutigen Zeit der Ver-Alltagisierung, der Ver-Gewöhnlichung, der jederzeit-immer-Alles-Digitalisierung gibt es bei uns ja schon fast keinen Sonntag und keinen Feiertag mehr.

Ich selber bin in einer verkehrten Welt aufgewachsen: Der Sonntag war für die meisten in der Umgebung der Tag des Kirchgangs, der Sonntagsschule oder der Messe. Nicht für den Judenjungen, der ich war – und bin. Wir waren ganz normal zu Hause oder dann auf Ausflügen. Der Sonntag fehlte bei uns. Auch den Shabbat gab es für meine areligiösen bis atheistischen Eltern kaum. Wir besuchten die Schule und feierten nicht regelmässig Shabbat, so fehlte auch da etwas. Nur ab und zu nahmen wir an Shabbatfeiern teil, und an hohen Feiertagen gingen wir in die Synagoge. Das war dann alles sehr schön, nur betrachteten einen die nichtjüdischen Passanten sehr befremdet, wenn wir am Samstag festlich gekleidet und mit Hüten durch die Stadt wanderten. Nochmals nicht dazu gehören…
Erst später lernte ich den Shabbat wirklich kennen und begann, ihn zu lieben und mit ihm auch den Sonntag: Am siebten Tag der Schöpfung, nach dem Höhepunkt am sechsten mit der Erschaffung des Menschen im Bildnis und Gleichnis Gottes, ruhte Gott und freute sich seiner Werke und gab dem Menschen jeden siebten Tag zur Ruhe und zur Freude an seinem Werk, um in die Stille zu gehen, zu meditieren und zu studieren, um sich in der Familie und mit Freunden zu treffen, zu singen und zu tanzen, um sich in der Partnerbeziehung in Tiefe zu begegnen, Liebe zu machen, wie im Hohelied Salomos besungen, um sich gegenseitig zu «erkennen» – das hebräische Wort für Liebe machen.
Mystisch ausgedrückt empfangen wir am Shabbat die göttliche Schechina, die weibliche Seite Gottes, um dann für 24 Stunden im Himmel und in der immateriellen Welt des Ungetrenntseins zu leben. Dann nach 24 Stunden kehren wir wieder ganz bewusst in die Welt des Alltags zurück. Wir verabschieden uns aus der gelebten Einheit hin zu den materiellen Notwendigkeiten.
In religiös geführten Ländern wie Israel, wo das halbe Leben aus gesetzlichen Gründen stehen bleibt, ist am Shabbat die Feiertagsatmosphäre sehr stark spürbar. Das ist einerseits schön, andererseits werden wir modernen Menschen heute nicht gerne bevormundet und möchten das Heilige wählen und nicht dazu gezwungen werden.
In meinem Leben ist der Shabbat heute kein regelmässiger Feiertag. Wenn es sich ergibt, freue ich mich mit denen zu feiern, die da sind, die Seelenkraft zu spüren, einander zu danken, die Kinder zu segnen, zu singen, Wein und Brot zu heiligen und Gemeinschaft zu erleben.

Heute «shabbatisiere» ich den Alltag und übe mich im täglichen Segnen, das Leben zu heiligen und die Welt zu einem heilen Ort zu machen. Ich versuche, täglich gewahr zu werden, welch ein Geschenk dieses Leben ist, auch wenn es voller Auf und Abs ist und sehr vergänglich.
Für den Sonntag gilt dasselbe. Ist er doch spirituell gesehen nach dem Shabbat nicht wieder der erste Wochentag, ein falsch gelegter Feiertag, sondern der Beginn einer Neuen Zeitrechnung. Diejenige nach Christus, der die Liebe in die Welt hat bringen wollen. Der Sonntag ist die wöchentliche Wiederholung des Tags der Auferstehung, der Feier des ewigen Lebens – nicht sehr weit von der jüdischen Shabbatvorstellung der Einheit der geistigen und materiellen Welt.
Freitag für den Islam, Shabbat für die Juden, Sonntag für die Christen, Montag für die Hindus – ist da sonst noch jemand? Da bleiben noch drei normale Tage.

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Dr. Med. Sundar Dreyfus ist Psychiater und Gründer und Leiter des Zentrums der Einheit Schweibenalp bei Brienz. Das Zentrum der Einheit setzt sich seit 35 Jahren für die Verständigung unter den Religionen und gelebte Gemeinschaft ein und organisiert ein breites Angebot an Kursen, Retreats und Konferenzen. www.schweibenalp.ch
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Mehr über das Verschwinden des Sonntags im Schwerpunktheft «Am siebten Tag»
23. Februar 2014
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