«Den Sonntag könnte man auch Dienstag nennen»

Am Sonntag schlafe ich aus, im Winter meistens bis 10 Uhr. Im Sommer stehe ich früher auf; meistens ist es so heiss, dass ich gar nicht so lange schlafen kann. Am Sonntag sind die Leute unterwegs. Sie sind im Strandbad oder gehen wandern. Es ist ein lebendiger Tag. Die Menschen sind da, wo Vergnügen ist. Es kann auch nerven, weil es so viele sind. Zum Beispiel im Strandbad: Unter der Woche sind es nicht so viele, dann gehen nur die, die eben nicht nur am Sonntag können. Ich gehe sonntags manchmal fischen. Aber auch da sind es viel mehr. Es hat auch solche, die mit dem Hund spazieren gehen. Da muss man schauen, dass man aneinander vorbei kommt. Ich habe eine kleine Glocke am Velo. Wo der Weg meist holprig ist, hören die Leute das Bimmeln schon von weitem. Ich glaube, das beruhigt sie ein bisschen – auch die Hunde. Man muss doch schauen, dass man mit den Menschen auskommt. Einmal hat mich eine ältere Frau angefahren, aber sie hat sich dann schnell wieder beruhigt.
Als Kind, als die Familie noch intakt war, sind wir am Sonntag zu Grossmueti und Grosspapi gegangen. Sie hatten eine Nuschischublade mit Metallteilen und Chlämmerli. Wenn uns etwas gefiel, konnten wir es behalten. Als Familie aus der Stadt mochten wir auch die Natur. Wir gingen gern in den Wald bräteln und picknicken. Dann konnten wir Tiere beobachten. Einmal hat sich meine Schwester in einen Ameisenhaufen gesetzt.
Am Sonntag versammeln sich alle. Es ist ein besinnlicher Tag. Eigentlich wäre der Sonntag da, Gott zu gedenken und dem Schöpfer Merci zu sagen, dass es uns einigermassen gut geht. Heute macht jeder was er will. Alle wollen sich erholen.
Mir fehlt nichts am Sonntag. Er ist vielseitig. Ich glaube schon, dass es ihn braucht. Vom Namen her nicht unbedingt – man könnte ihn auch Dienstag nennen. Hier in der Gassenküche ist es wie in einer Familie. Es gibt einen Sonntagsbrunch. Wir von der alten Garde kommen immer, ich schon über Jahre. Wir haben es gerne lustig. Man freut sich zu diskutieren. Wie andere in die Kirche gehen, kommen wir hierher.

Aufgezeichnet von Ondine Riesen
______________

Daniel Hulliger, 56, regelmässiger Gast in der Gassenküche Biel, ehemaliger Lastwagenchauffeur, IV-Rentner.
_____________



Mehr über das Verschwinden des Sonntags im Schwerpunktheft «Am siebten Tag»
25. Februar 2014
von: