Richtig, aber illegal
Risiko Zivilcourage: Christine unterstützt «illegalisierte» Asylbewerber
Angefangen hat es, wie vieles im Leben, ganz harmlos. Christine unterrichtete als Heilpädagogin in einer Voralpen-Gemeinde mit sechs verstreuten Schulhäusern. Weil sie mit ihrer frei schwebenden Tätigkeit sonst kein Ämtli hatte, sagte sie zu, als die kommunale Asylgruppe ein Verbindungsglied zur Schule suchte. Sie ging an Sitzungen, viel gab es nicht zu tun, die Asylbewerber – mehrheitlich Familien aus dem Kosovo – waren gut betreut und das Leben nahm seinen gewohnten Gang.
Dann kamen im Jahre 2002 vermehrt Afrikaner, die die Behörden auf dem Land unterbrachten. Christine kam wieder zum Einsatz, und weil andere aus der Asylgruppe nicht mehr konnten oder wollten, gab es auch neue Aufgaben: Behördenkontakte mit den jungen Schwarzen regeln, Integration in eine Tagesstruktur für Asylbewerber bis hin zu Hilfe bei Geldproblemen. J. zum Beispiel hatte seine 400 Franken, mit denen er alles ausser der Wohnung bestreiten musste, jeweils Mitte Monat aufgebraucht. Anfangs half ihm Christine aus der eigenen Tasche aus, ohne nachhaltige Wirkung. Der Misserfolg brachte sie aber auf die Idee, selber eine einfache Arbeit zu kreieren: die Herstellung von Wedele (auch Burdeli genannt) in verschiedenen Grössen. Das Geschäft lief gut an. Im Frühling war die Produktion des Winters schon verkauft. Arbeitsberechtigt waren damals auch bereits abgewiesene Asylbewerber. Damit auch Asylbewerber im Strafvollzug ihre Gefängnisstrafe durch gemeinnützige Arbeit leisten konnten, wurde der Erlös der von ihnen produzierten Wedele an Hilfsprojekte in ihren Herkunftsländern überwiesen. Adressen und Gewährspersonen wurden mit Hilfe der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit DEZA gefunden.. Christine konnte kreativ organisieren, ihr Englisch und Französisch einsetzen und lernte viel.
Nicht illegal, sondern «illegalisiert»
Richtig schwierig wurde es mit der Verschärfung der Asylpraxis im Lauf des Jahres 2004. Die Veränderungen kamen Schlag auf Schlag: Das Monatsgeld wurde von 400 auf 250 Franken reduziert; viele der Wohnungen in den Aussengemeinden wurden geschlossen. Den Asylbewerbern wurde die Versetzung in abgelegene, so genannte Minimalzentren angedroht, mit wesentlichen Einschränkungen: Ausgangsrayons, Anwesenheitskontrolle und Ausbezahlung des Monatsgeldes in Form von Bons, die zweimal pro Woche in einem kleinen internen Geschäft eingelöst werden müssen.
Die Verschärfung erreichte ihren Zweck und veranlasste viele zum Untertauchen, sie wurden, wie Christine sich ausdrückt, «illegalisiert». Als Papierlose können sie nicht ausreisen, als Abgewiesene dürfen sie nicht arbeiten und ihr Bewegungsraum in der Schweiz ist stark eingeschränkt – ein Leben in einem grossen Gefängnis. An verbotenen Orten aufgegriffen, werden sie im Schnellverfahren zu Gefängnisstrafen bis zu 30 Tagen verurteilt. Eine Revision der Urteile ist praktisch unmöglich, da allein die dafür nötige schriftliche Urteilsbegründung bis zu 500 Franken kostet. Die Praxis ist in jeder Beziehung unwürdig. Sie kann nur aufrecht erhalten werden, weil sich die Opfer nicht wehren können und die Täter auf Behördenseite einem krassen Feindbild erliegen und aus Angst vor Jobverlust die Vorschriften blind anwenden.
Das kann polizeistaatliche Formen annehmen, die schlimmste Erinnerungen wach rufen. A. zum Beispiel, wollte von Schwyz aus, wo er sich legal aufhielt, einen Freund in Grenchen (Kt. Solothurn) besuchen, ganz legal. Weil dort nur jeder zweite Schnellzug hält, fuhr er irrtümlicherweise 15 Kilometer weiter nach Biel im Kanton Bern, in dem er sich nicht aufhalten durfte. Beim Umsteigen auf den nächsten Zug zurück wurde er von der Polizei kontrolliert und 30 Tage ins Gefängnis gesteckt.
K. bat auf der Strasse einen Herumstehenden nach einer Zigarette. Dieser fragte ihn, ob er Geld brauche, gab ihm ein Kügelchen, das er an einen in der Nähe wartenden Typen für 50 Franken verkaufe könne. Zu dumm, dass dieser zufälligerweise ein Polizist in Zivil war. Eine bedingte Gefängnisstrafe und ein Betretungsverbot der Stadt Bern waren die Konsequenz. Die Behörden beteuern, es würden keine Agents provocateurs eingesetzt. Christine, der neben Gerüchten ein ähnlich gelagerter Fall bekannt ist, mag das nicht recht glauben.
Hat ein Asylbewerberber einmal ein Betretungsverbot, ist der Schritt ins Gefängnis schnell getan: Die Kontrollen im verbotenen Gebiet führen sukzessive zu 5, 10, dann jeweils 30 Tagen Gefängnis. Christine findet es «unnötig und gefährlich, Menschen vorsätzlich in existenzielle Verzweiflung zu treiben.»
Was sich hier auftut, ist eine Subkultur des Unrechts, eine Mentalität der behördlich sanktionierten Unterdrückung, von denen die meisten Menschen in der Schweiz erst erfahren, wenn sie durch Zufall mit einem dieser Schicksale konfrontiert werden.
Nicht wegschauen, aber auch etwas tun
Nicht wegschauen, lautet das Motto von Christine und so beschäftigt sie in ihrer Wedele-Produktion jetzt vor allem «Illegalisierte». Mit den 400 Franken, die sie so mit einem Stundenlohn von 15 Franken verdienen, können sie sich durchschlagen. Und an den Arbeitstagen werden sie von Christine auch noch kräftig durchgefüttert. Mit ihrem Engagement, in dem sie übrigens von ihrem Mann kräftig unterstützt wird, auch finanziell, macht sich Christine strafbar. «Ich mache das nicht, weil ich Zivilcourage habe, sondern weil man diese Menschen einfach nicht verrotten lassen kann», sagt sie. Für den Zeitpunkt mit Bild und vollem Namen hinstehen, will sie nicht. Die Asylbewerber sind von der Fortführung der Arbeit ja abhängig.
Dass Schwarze in ihrem Auftrag im Wald und in ihrem Schopf arbeiten, ist im Dorf bekannt. «Vermutlich wird die Arbeit toleriert, weil ich nicht so hart auftrete und den Leuten der Sinn des Projektes einleuchtet, von irgend etwas müssen sie ja leben» mutmasst sie. Dazu kommt, dass der gesellschaftliche Nutzen dieses strafbaren Engagements enorm ist. Allein mit dem Angebot gemeinnütziger Arbeit konnte der Staat knapp 200 Gefängnistage zu je 200 Franken einsparen, also rund 40‘000 Franken. Noch viel stärker dürften die verhinderten Inhaftierungen zu Buche schlagen.
Dann kamen im Jahre 2002 vermehrt Afrikaner, die die Behörden auf dem Land unterbrachten. Christine kam wieder zum Einsatz, und weil andere aus der Asylgruppe nicht mehr konnten oder wollten, gab es auch neue Aufgaben: Behördenkontakte mit den jungen Schwarzen regeln, Integration in eine Tagesstruktur für Asylbewerber bis hin zu Hilfe bei Geldproblemen. J. zum Beispiel hatte seine 400 Franken, mit denen er alles ausser der Wohnung bestreiten musste, jeweils Mitte Monat aufgebraucht. Anfangs half ihm Christine aus der eigenen Tasche aus, ohne nachhaltige Wirkung. Der Misserfolg brachte sie aber auf die Idee, selber eine einfache Arbeit zu kreieren: die Herstellung von Wedele (auch Burdeli genannt) in verschiedenen Grössen. Das Geschäft lief gut an. Im Frühling war die Produktion des Winters schon verkauft. Arbeitsberechtigt waren damals auch bereits abgewiesene Asylbewerber. Damit auch Asylbewerber im Strafvollzug ihre Gefängnisstrafe durch gemeinnützige Arbeit leisten konnten, wurde der Erlös der von ihnen produzierten Wedele an Hilfsprojekte in ihren Herkunftsländern überwiesen. Adressen und Gewährspersonen wurden mit Hilfe der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit DEZA gefunden.. Christine konnte kreativ organisieren, ihr Englisch und Französisch einsetzen und lernte viel.
Nicht illegal, sondern «illegalisiert»
Richtig schwierig wurde es mit der Verschärfung der Asylpraxis im Lauf des Jahres 2004. Die Veränderungen kamen Schlag auf Schlag: Das Monatsgeld wurde von 400 auf 250 Franken reduziert; viele der Wohnungen in den Aussengemeinden wurden geschlossen. Den Asylbewerbern wurde die Versetzung in abgelegene, so genannte Minimalzentren angedroht, mit wesentlichen Einschränkungen: Ausgangsrayons, Anwesenheitskontrolle und Ausbezahlung des Monatsgeldes in Form von Bons, die zweimal pro Woche in einem kleinen internen Geschäft eingelöst werden müssen.
Die Verschärfung erreichte ihren Zweck und veranlasste viele zum Untertauchen, sie wurden, wie Christine sich ausdrückt, «illegalisiert». Als Papierlose können sie nicht ausreisen, als Abgewiesene dürfen sie nicht arbeiten und ihr Bewegungsraum in der Schweiz ist stark eingeschränkt – ein Leben in einem grossen Gefängnis. An verbotenen Orten aufgegriffen, werden sie im Schnellverfahren zu Gefängnisstrafen bis zu 30 Tagen verurteilt. Eine Revision der Urteile ist praktisch unmöglich, da allein die dafür nötige schriftliche Urteilsbegründung bis zu 500 Franken kostet. Die Praxis ist in jeder Beziehung unwürdig. Sie kann nur aufrecht erhalten werden, weil sich die Opfer nicht wehren können und die Täter auf Behördenseite einem krassen Feindbild erliegen und aus Angst vor Jobverlust die Vorschriften blind anwenden.
Das kann polizeistaatliche Formen annehmen, die schlimmste Erinnerungen wach rufen. A. zum Beispiel, wollte von Schwyz aus, wo er sich legal aufhielt, einen Freund in Grenchen (Kt. Solothurn) besuchen, ganz legal. Weil dort nur jeder zweite Schnellzug hält, fuhr er irrtümlicherweise 15 Kilometer weiter nach Biel im Kanton Bern, in dem er sich nicht aufhalten durfte. Beim Umsteigen auf den nächsten Zug zurück wurde er von der Polizei kontrolliert und 30 Tage ins Gefängnis gesteckt.
K. bat auf der Strasse einen Herumstehenden nach einer Zigarette. Dieser fragte ihn, ob er Geld brauche, gab ihm ein Kügelchen, das er an einen in der Nähe wartenden Typen für 50 Franken verkaufe könne. Zu dumm, dass dieser zufälligerweise ein Polizist in Zivil war. Eine bedingte Gefängnisstrafe und ein Betretungsverbot der Stadt Bern waren die Konsequenz. Die Behörden beteuern, es würden keine Agents provocateurs eingesetzt. Christine, der neben Gerüchten ein ähnlich gelagerter Fall bekannt ist, mag das nicht recht glauben.
Hat ein Asylbewerberber einmal ein Betretungsverbot, ist der Schritt ins Gefängnis schnell getan: Die Kontrollen im verbotenen Gebiet führen sukzessive zu 5, 10, dann jeweils 30 Tagen Gefängnis. Christine findet es «unnötig und gefährlich, Menschen vorsätzlich in existenzielle Verzweiflung zu treiben.»
Was sich hier auftut, ist eine Subkultur des Unrechts, eine Mentalität der behördlich sanktionierten Unterdrückung, von denen die meisten Menschen in der Schweiz erst erfahren, wenn sie durch Zufall mit einem dieser Schicksale konfrontiert werden.
Nicht wegschauen, aber auch etwas tun
Nicht wegschauen, lautet das Motto von Christine und so beschäftigt sie in ihrer Wedele-Produktion jetzt vor allem «Illegalisierte». Mit den 400 Franken, die sie so mit einem Stundenlohn von 15 Franken verdienen, können sie sich durchschlagen. Und an den Arbeitstagen werden sie von Christine auch noch kräftig durchgefüttert. Mit ihrem Engagement, in dem sie übrigens von ihrem Mann kräftig unterstützt wird, auch finanziell, macht sich Christine strafbar. «Ich mache das nicht, weil ich Zivilcourage habe, sondern weil man diese Menschen einfach nicht verrotten lassen kann», sagt sie. Für den Zeitpunkt mit Bild und vollem Namen hinstehen, will sie nicht. Die Asylbewerber sind von der Fortführung der Arbeit ja abhängig.
Dass Schwarze in ihrem Auftrag im Wald und in ihrem Schopf arbeiten, ist im Dorf bekannt. «Vermutlich wird die Arbeit toleriert, weil ich nicht so hart auftrete und den Leuten der Sinn des Projektes einleuchtet, von irgend etwas müssen sie ja leben» mutmasst sie. Dazu kommt, dass der gesellschaftliche Nutzen dieses strafbaren Engagements enorm ist. Allein mit dem Angebot gemeinnütziger Arbeit konnte der Staat knapp 200 Gefängnistage zu je 200 Franken einsparen, also rund 40‘000 Franken. Noch viel stärker dürften die verhinderten Inhaftierungen zu Buche schlagen.
01. September 2006
von:
von:
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können