Horizontale Hierarchien
Unsere Autorin geht der Missionarstellung in Geschichtsbüchern und Foren nach.
In der Genesis der neuseeländischen Maori liebt Rangi, der Himmel, Papa, die Erde. Sie liegen in inniger Umarmung umschlungen, und Papa gebärt viele Söhne. Irgendwann wollen diese dem Dunkel der elterlichen Umarmung entkommen und trennen die Beiden in einem Akt postpubertärer Rebellion, der hier nicht weiter interessiert. Nur dessen Ergebnis: Der Himmel, Mann, liegt oben, die Erde, Frau, liegt unten.
Dies wird in der Missionarsstellung imitiert, die wir Europäer – zusammen mit mieser Küche, fiesen Krankheiten und übler Gottesfurcht – in «aller Herren Länder» getragen haben. Oder war «Mann oben – Frau unten» dort schon zuvor bekannt? Schliesslich soll es sich dabei um die einfachste und folglich allererste Sexstellung überhaupt handeln. Die Fraglichkeit dessen zeigt das Paarungsverhalten anderer Tiere, wo «Mann hinten – Frau vorn» bevorzugt wird. Als einzige Ausnahme sehen Primaten, wie die sexfreudigen Bonobos oder Flachlandgorillas, einander beim Sex gelegentlich in die Augen.
Was ja auch oft als einer der Vorteile der Missionarsstellung genannt wird: Man erzeugt durch Blickkontakt reichlich Intimität, man kann sich küssen und sieht nicht viel vom Körper des anderen – was nun ein Vorteil sein kann oder auch nicht. Der Akt an sich ist nicht so anstrengend wie manch andere Sexstellung, zumindest nicht für die Frau, und für alles andere ausser eine lustvolle Klitorisstimulation bestens geeignet. Es sei denn, der Mann ist sehr schwer und/oder sehr faul. Oder die Frau legt Wert auf Bewegungsfreiheit und Gestaltungsspielraum. Diese auch als «Mama-Papa-Stellung» bekannte Position ist übrigens auf dem Papier die einzig legale Sexstellung in Florida. Ernsthaft.
Den Begriff «Missionarsstellung» prägte «Master of Sex» Alfred Kinsey, der den Anthropologen Malinkowski missverstanden hatte. Wahr ist, dass sich laut dessen Bericht ein Südseevolk über die einfallslosen Sexspiele der Missionare mokiert hat. Die Insulaner nannten die Stellung aber übersetzt «Die Frau kann nicht mitmachen», was es so ziemlich auf den Punkt bringt. Als unschickliche «Missionarssitte» schmähten sie allerdings nicht den Geschlechtsakt, sondern vielmehr das Händchenhalten in der Öffentlichkeit. Die «Frau unten – Mann oben»-Position ist sicherlich die geläufigste in unseren patriarchalischen Gesellschaften. Sie müsse, so liest man oft, beileibe und -lende nicht langweilig sein, sofern man sie durch Kisseneinsatz oder korrekten Schenkelwinkel aufpeppt.
Zudem illustriert sie auf ziemlich unprätentiöse Art den landläufigen Ausdruck «eine Frau flach legen.» Wer unten liegt, der unterliegt. Beim BDSM – Sex mit Fessel- und Dominanzspielen – hat «top» und «bottom» eine grundlegend andere Bedeutung. Wer wen beim Liebesspiel dominiert, steht hier von vornherein fest. Hauptsache, beide (oder: alle) Beteiligten haben ihren Spass – unabhängig davon, wie dieser, in einen gesellschaftspolitischen Kontext übersetzt, interpretiert werden könnte. Der Mann, so legen manch Kritikerinnen nahe, kniee bei der Missionarsstellung vor der eigenen Erektion statt vor der Göttin. Jede Frau, die auf dem Rücken liegend geniesst, bestätige die Macht der Phallokratie. Im Bett findet also regelmässig ein Kampf um soziale Unter- oder Überlegenheit statt. Hinterher dann der Kampf um die Bettdecke.Und andersherum? Ein «richtiger Mann», liest man in den Foren, positioniert sich beim Sex oben. Das setzen wohl vor allem die Frauen voraus, wie es aussieht. So schreibt eine: «Ein Mann, der ständig nur unten liegt und mich machen lässt, wäre mir langweilig.» Dabei liegt auch ein Mann gern mal unten, ohne sich gleich seiner Männlichkeit beraubt zu fühlen, wie die Kommentare der Gliedträger nahe legen. Man denke an die Abbildungen des Kamasutra, bei denen kleine dicke Paschas sich liegend von grazilen Tempeltänzerinnen verwöhnen lassen. (Zumal ja auch ihr Bauch den akrobatisch anspruchsvolleren Stellungen im Wege stünde.) Doch es steht zu bezweifeln, dass die sich oben Abmühende tatsächlich die Überlegene ist.Ein paar einfache Faustregeln können hier Abhilfe schaffen. Beim Sex im Freien (Insekten, Unterholz...) liegt der Mann unten. Beim Sex im Wasserbett liegt die Frau unten. Wer Knieprobleme hat, darf die Beine lang machen. Wer die Decke nach Spuren von Holzwürmern absuchen möchte, liegt unten. Wer über den Kopf des Partners hinweg ein wenig fernsehen möchte, kommt nach oben. Wer doppelt soviel wiegt wie der Partner: Runter! Und wer gleich nach dem Akt das Weite suchen will, statt über sexuelle Emanzipation zu diskutieren, bleibt besser oben.
Mehr zum Thema «oben und unten» in Zeitpunkt 142
Dies wird in der Missionarsstellung imitiert, die wir Europäer – zusammen mit mieser Küche, fiesen Krankheiten und übler Gottesfurcht – in «aller Herren Länder» getragen haben. Oder war «Mann oben – Frau unten» dort schon zuvor bekannt? Schliesslich soll es sich dabei um die einfachste und folglich allererste Sexstellung überhaupt handeln. Die Fraglichkeit dessen zeigt das Paarungsverhalten anderer Tiere, wo «Mann hinten – Frau vorn» bevorzugt wird. Als einzige Ausnahme sehen Primaten, wie die sexfreudigen Bonobos oder Flachlandgorillas, einander beim Sex gelegentlich in die Augen.
Was ja auch oft als einer der Vorteile der Missionarsstellung genannt wird: Man erzeugt durch Blickkontakt reichlich Intimität, man kann sich küssen und sieht nicht viel vom Körper des anderen – was nun ein Vorteil sein kann oder auch nicht. Der Akt an sich ist nicht so anstrengend wie manch andere Sexstellung, zumindest nicht für die Frau, und für alles andere ausser eine lustvolle Klitorisstimulation bestens geeignet. Es sei denn, der Mann ist sehr schwer und/oder sehr faul. Oder die Frau legt Wert auf Bewegungsfreiheit und Gestaltungsspielraum. Diese auch als «Mama-Papa-Stellung» bekannte Position ist übrigens auf dem Papier die einzig legale Sexstellung in Florida. Ernsthaft.
Den Begriff «Missionarsstellung» prägte «Master of Sex» Alfred Kinsey, der den Anthropologen Malinkowski missverstanden hatte. Wahr ist, dass sich laut dessen Bericht ein Südseevolk über die einfallslosen Sexspiele der Missionare mokiert hat. Die Insulaner nannten die Stellung aber übersetzt «Die Frau kann nicht mitmachen», was es so ziemlich auf den Punkt bringt. Als unschickliche «Missionarssitte» schmähten sie allerdings nicht den Geschlechtsakt, sondern vielmehr das Händchenhalten in der Öffentlichkeit. Die «Frau unten – Mann oben»-Position ist sicherlich die geläufigste in unseren patriarchalischen Gesellschaften. Sie müsse, so liest man oft, beileibe und -lende nicht langweilig sein, sofern man sie durch Kisseneinsatz oder korrekten Schenkelwinkel aufpeppt.
Zudem illustriert sie auf ziemlich unprätentiöse Art den landläufigen Ausdruck «eine Frau flach legen.» Wer unten liegt, der unterliegt. Beim BDSM – Sex mit Fessel- und Dominanzspielen – hat «top» und «bottom» eine grundlegend andere Bedeutung. Wer wen beim Liebesspiel dominiert, steht hier von vornherein fest. Hauptsache, beide (oder: alle) Beteiligten haben ihren Spass – unabhängig davon, wie dieser, in einen gesellschaftspolitischen Kontext übersetzt, interpretiert werden könnte. Der Mann, so legen manch Kritikerinnen nahe, kniee bei der Missionarsstellung vor der eigenen Erektion statt vor der Göttin. Jede Frau, die auf dem Rücken liegend geniesst, bestätige die Macht der Phallokratie. Im Bett findet also regelmässig ein Kampf um soziale Unter- oder Überlegenheit statt. Hinterher dann der Kampf um die Bettdecke.Und andersherum? Ein «richtiger Mann», liest man in den Foren, positioniert sich beim Sex oben. Das setzen wohl vor allem die Frauen voraus, wie es aussieht. So schreibt eine: «Ein Mann, der ständig nur unten liegt und mich machen lässt, wäre mir langweilig.» Dabei liegt auch ein Mann gern mal unten, ohne sich gleich seiner Männlichkeit beraubt zu fühlen, wie die Kommentare der Gliedträger nahe legen. Man denke an die Abbildungen des Kamasutra, bei denen kleine dicke Paschas sich liegend von grazilen Tempeltänzerinnen verwöhnen lassen. (Zumal ja auch ihr Bauch den akrobatisch anspruchsvolleren Stellungen im Wege stünde.) Doch es steht zu bezweifeln, dass die sich oben Abmühende tatsächlich die Überlegene ist.Ein paar einfache Faustregeln können hier Abhilfe schaffen. Beim Sex im Freien (Insekten, Unterholz...) liegt der Mann unten. Beim Sex im Wasserbett liegt die Frau unten. Wer Knieprobleme hat, darf die Beine lang machen. Wer die Decke nach Spuren von Holzwürmern absuchen möchte, liegt unten. Wer über den Kopf des Partners hinweg ein wenig fernsehen möchte, kommt nach oben. Wer doppelt soviel wiegt wie der Partner: Runter! Und wer gleich nach dem Akt das Weite suchen will, statt über sexuelle Emanzipation zu diskutieren, bleibt besser oben.
Mehr zum Thema «oben und unten» in Zeitpunkt 142
13. März 2016
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