Die Medien-Illusion
Die Medien präsentieren sich uns in strahlendem Gewand. Ob große Zeitung oder Tatort – ihnen haftet ein Saubermann-Image an. Die Medienschaffenden verdienten gut, heißt es. Ihnen ginge es gut, zu gut. Mit der Realität hat das in aller Regel wenig zu tun. In dieser trifft man tatsächlich immer häufiger auf unmenschliche Arbeitsbedingungen, die Medienschaffende in Angst und Schrecken versetzen, und der Produktion medialer Zerrbilder wohl eher zuträglich sind. Zur schwierigen Situation der Filmschaffenden sprach Jens Wernicke mit Ute Opritescu, Juristin bei connexx.av, dem ver.di-Netzwerk für Medienschaffende.
Frau Opritescu, eine Ihrer Mandantinnen hat sich an uns gewandt und von menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen bei öffentlich-rechtlichen Filmproduktionen berichtet. Über was sprechen wir hier?
Zunächst sei mir außerhalb der Thematik sozusagen als Eröffnung meinerseits eine kleine Anmerkung erlaubt: Ich bin zwar auch Volljuristin; doch meine Arbeit für ver.di und insbesondere im Filmbereich beschränkt sich nicht auf die individuelle Beratung. Besonders die kollektive Arbeit ist ein wichtiger Anteil. Daher sprechen wir bei ver.di untereinander nicht von Mandanten: Es sind Mitglieder bzw. Kolleginnen und Kollegen.
Jetzt aber zurück zum Thema: Sie haben Recht. Auch bei mir melden sich immer wieder Kolleginnen und Kollegen, welche sich über schlechte Arbeitsbedingungen beim Film beschweren. Dabei handelt es sich aber selten um öffentlich-rechtliche Filmproduktion an sich, sondern in aller Regel um Auftragsproduktionen der Sender oder eben um freie Produktionen, die oftmals allerdings durch diverse staatliche Filmförderungen unterstützt werden.
Unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen verstehen die Kolleginnen und Kollegen vor allem eklatante Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz oder den Tarifvertrag für auf Produktionsdauer beschäftigte Film- und Fernsehschaffende. Und diese gibt es in der Tat. Gearbeitet werden soll und muss teilweise in 7-Tage-Wochen bei 12-Stunden-Tagen oder mehr…
Und diese 7-Tage-Wochen bei 14-Stunden-Tagen oder mehr – die sind doch sicher nicht tarifkonform. Sprechen wir also von einem Einzelfall? Oder unterminieren die Arbeitgeber inzwischen in Breite den Tarifvertrag?
Nein, solche Arbeitszeiten sind grundsätzlich nicht tarifkonform. Der geltende Tarifvertrag weicht in der Höchstarbeitszeit zwar vom Arbeitszeitgesetz ab, gewährt aber dafür entsprechende Ausgleiche in Zeit bzw. Geld. Tatsächlich wird das aber in der Praxis immer seltener gelebt.
Entweder finden die Ausgleiche einfach nicht statt. Oder aber es werden auch die Höchstarbeitszeiten, die der Tarifvertrag sehr wohl vorsieht, noch überschritten.
Es gilt grundsätzlich eine Begrenzung auf 12 Stunden pro Tag. Die maximale Tageshöchstarbeitszeit beträgt 13 Stunden. Diese darf aber nur als Ausnahmefall an einem definierten Anteil von Drehtagen erzielt werden. Mit Zustimmung der Filmschaffenden darf darüber hinaus in Ausnahmesituationen auch mehr als 13 Stunden gearbeitet werden.
Das Problem ist aber nun, dass diverse Filmproduktionen die Ausnahmeregularien so umfassend anwenden, dass hier nicht mehr von Ausnahmen gesprochen werden kann, sondern 14-Stunden-Tage zunehmend zum Regelfall werden.
Die genannte Mandantin hat sich dann ja, weil es nicht mehr anders ging, irgendwann krankschreiben lassen müssen. Das war aber auch nicht gern gesehen.
Die Frage klingt zunächst so, als ob die Kollegin einfach krankgefeiert hat. Dem ist nicht so. Sie hatte leider ernste physische und psychische Überlastungsanzeichen, eine starke Erkältung und sich sogar noch eine Verletzung an der Hand zugezogen. Die Kolleginnen und Kollegen am Set arbeiten viele Stunden am Tag, dadurch sinkt natürlich oft auch die Konzentration und es kommt gehäuft zu Arbeitsunfällen. Der Arbeitgeber hat hierauf dann aber sehr inadäquat reagiert, indem er keine Entgeltfortzahlung leisten wollte bzw. zunächst die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angezweifelt hat.…
Sind derlei Bedingungen denn neu oder war die Situation schon immer so schlecht? Wie kommt es zu derlei „Erosion“?
Nein, die Situation war nicht immer so schlecht und ist auch nicht überall so schlecht. Bei vielen Eigenproduktionen läuft es anders; zudem gibt es auch genügend Produktionsfirmen, die sich an einen gewissen Standard halten. Die Filmschaffenden zeichnen diese auf ihren Jahresempfang auf der Berlinale auch jedes Jahr aus.
Problematisch wird es oft, wenn die diversen öffentlich-rechtlichen Sender die szenischen Unterhaltungsfilme nicht selbst produzieren. Für sie ist es zunächst einfacher, die Produktion nach außen zu geben; denn so müssen sie sich nicht an ihre Tarifverträge im Haus halten. Auf der anderen Seite wollen Sie aber oft bei grundlegenden Aspekten mitbestimmen, wie zum Beispiel bei Drehbuchinhalten, Darstellern, dem Regisseur, dem Kameramann, den Drehorten. Im Prinzip ist dieser Gedanke auch nicht schlecht, denn die öffentlich-rechtlichen Sender müssen ja ihren Rundfunkauftrag erfüllen. Problematisch wird es aber dann, wenn die bereitgestellten Gelder gar nicht ausreichen, um die entsprechenden Wunschvorstellungen zu erfüllen. Denn dann kann die Produktionsfirma, die natürlich selbst auch noch Gewinn einstreichen will, nur am Personal sparen – und tut das in aller Regel auch massiv.
Um das zu verdeutlichen: Früher drehte man für einen Tatort bis zu 44 Drehtage lang. Laut dem 15. KEF-Jahresbericht deckt die Finanzierung eines Tatorts inzwischen nur noch 21 bis 30 Drehtage ab. Mittlerweile wird ein Tatort daher an 21 bis 23 Tagen abgedreht. Der Film ist aber im Sendeformat nicht gleichzeitig kürzer geworden. Eine immense Arbeitsverdichtung am Set ist die Folge.
Und Gleiches gilt für „freie“ Filmprojekte: Man will in immer kürzerer Zeit immer längere Formate produzieren. Dass diese Rechnung natürlich ab einem gewissen Punkt nicht mehr aufgeht ist klar. Und wir reden hier noch nicht einmal davon, dass es bei Außenproduktionen auch mal gewittert oder ein Darsteller erkrankt. Das ist in den pauschalen Finanzen überhaupt nicht mehr vorgesehen. Entsprechend ist dann auch das Klima am Set: Die Kolleginnen und Kollegen sind massiv überlastet, haben Angst krank zu werden, machen unter dem immensen Druck aber auch immer mal wieder Fehler etc. pp.
Ist dieses Klima der Überlastung und Angst unter vielen Medienschaffenden allgemeingültig? Ich frage, weil das eine gute Erklärung für die „Linientreue“ vieler Kolleginnen und Kollegen in den öffentlich-rechtlichen Medien wäre, die sich aktuell – nicht ganz zu unrecht, wie man sagen muss – dem Vorwurf der „Lügenpresse“ etc. ausgesetzt sehen.
Überlastung am Set sicherlich schon; denn bis kurz vor der Rente macht das eigentlich niemand freiwillig. Gleiches gilt oft auch für das Angstklima. Viele Film- und Fernsehschaffende sind zwar auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber eben auf Produktionsdauer. Wir sprechen hier nicht von jahrelangen Dauerbeschäftigungen. Das heißt, man ist immer wieder davon abhängig, dass man für die nächste Produktion wieder angestellt wird. Daher herrscht oft die Angst, wenn man etwas falsch macht oder überhaupt etwas sagt, dass man für die nächste Produktion nicht wieder gebucht wird.
Viele Filmschaffende sind aber auch nicht aufgeklärt, kennen also ihre Rechte nur mangelhaft oder gar nicht. Daher arbeiten wir hier an verschiedenen Fronten: Aufklärung! Unterstützung bei der Geltendmachung des Individualrechts! Verbesserung der Rechte durch die Arbeit am Tarifvertrag! Aber umso wichtiger, die politische Arbeit beim Filmfördergesetz! Denn warum sollten Filmproduktionen gefördert werden, wenn die Produktion sich dann nicht mal an den bestehenden Tarifvertrag hält.
Problematisch ist auch, dass der Tarifvertrag nicht allgemeinverbindlich ist. Das heißt, es müssen ihn nur Produktionsfirmen anwenden, die tarifgebundenes Mitglied in der Produzentenallianz, einem Arbeitgeberverband im Filmbereich, sind. Insgesamt gesehen, finde ich auch, dass „Lügenpresse“ ein schwieriges Wort ist. Es ist so absolut. Ich denke, der Großteil der Endverbraucher weiß gar nicht, wie die Realität am Set wirklich ist. Zudem ist die „Faszination Film und Fernsehen“ immer noch so groß, dass die Produktionsfirmen eigentlich immer jemanden finden, der es für noch weniger Geld und mehr Stunden macht. Wenn Sie so wollen, scheint mir eher „das System“ das Problem zu sein denn der einzelne Filmschaffende oder Journalist.
Und dasselbe besteht aus immer mehr Auftragsproduktionen, zu hohen Ansprüchen bei zu wenig Geld, unternehmerisch denkenden und handelnden Produktionsfirmen, Filmschaffenden in Angst und eben unbedarften Endverbrauchern..
Genau.
Nun verhandelt ver.di ja aber gerade einen neuen Tarifvertrag. Meinen Sie denn, dass – selbst im bestmöglichen Falle – hier positive Veränderungen zu erwarten sind? Die Arbeitgeber halten sich ja, wie Sie selbst sagten, nicht einmal an den bestehenden…
Ja, natürlich können wir etwas Positives erzielen, denn ansonsten bräuchten wir nicht verhandeln. Zum einen verhandeln wir eine Gagenerhöhung. Die ver.di-FilmUnion fordert für die rund 25.000 Film- und Fernsehschaffenden darüber hinaus auch eine Begrenzung der überlangen täglichen Arbeitszeiten von 13 auf maximal 12 Stunden. Und selbstverständlich brauchen die Produktionen aus den bereits genannten Gründen zukünftig weniger Budget- und Zeitdruck.
Welche Optionen sehen Sie denn darüber hinaus, dem Klima der Angst, der Prekarisierung etc. einen Riegel vorzuschieben? Was können wir, was können die Betroffenen tun?
Leider geht das nur durch Geltendmachung der eigenen Rechte. Dafür muss man dieselben natürlich auch kennen. Aufklärung und Stärkung der Filmschaffenden an sich bzw. des Organisationgrades hilft dabei ungemein. Denn es ist ein anderes Gefühl, wenn man am Set eben nicht „allein ist“.
Und bei den Sendern muss der Geiz- ist-Geil-Mentalität ein Riegel vorgeschoben werden. Zudem sollten Filmförderungen nur dann vergeben werden, wenn die Produktionsfirmen sich auch an geltende Regelungen halten.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Ute Opritescu, Master of Laws, geboren 1987, ist als Juristin spezialisiert im Arbeits- und Sozialrecht. Sie betreut seit Juni 2014 die ver.di Filmunion Süd genauso wie den öffentlich-rechtlichen Senderverband ver.di Bayern.
Zunächst sei mir außerhalb der Thematik sozusagen als Eröffnung meinerseits eine kleine Anmerkung erlaubt: Ich bin zwar auch Volljuristin; doch meine Arbeit für ver.di und insbesondere im Filmbereich beschränkt sich nicht auf die individuelle Beratung. Besonders die kollektive Arbeit ist ein wichtiger Anteil. Daher sprechen wir bei ver.di untereinander nicht von Mandanten: Es sind Mitglieder bzw. Kolleginnen und Kollegen.
Jetzt aber zurück zum Thema: Sie haben Recht. Auch bei mir melden sich immer wieder Kolleginnen und Kollegen, welche sich über schlechte Arbeitsbedingungen beim Film beschweren. Dabei handelt es sich aber selten um öffentlich-rechtliche Filmproduktion an sich, sondern in aller Regel um Auftragsproduktionen der Sender oder eben um freie Produktionen, die oftmals allerdings durch diverse staatliche Filmförderungen unterstützt werden.
Unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen verstehen die Kolleginnen und Kollegen vor allem eklatante Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz oder den Tarifvertrag für auf Produktionsdauer beschäftigte Film- und Fernsehschaffende. Und diese gibt es in der Tat. Gearbeitet werden soll und muss teilweise in 7-Tage-Wochen bei 12-Stunden-Tagen oder mehr…
Und diese 7-Tage-Wochen bei 14-Stunden-Tagen oder mehr – die sind doch sicher nicht tarifkonform. Sprechen wir also von einem Einzelfall? Oder unterminieren die Arbeitgeber inzwischen in Breite den Tarifvertrag?
Nein, solche Arbeitszeiten sind grundsätzlich nicht tarifkonform. Der geltende Tarifvertrag weicht in der Höchstarbeitszeit zwar vom Arbeitszeitgesetz ab, gewährt aber dafür entsprechende Ausgleiche in Zeit bzw. Geld. Tatsächlich wird das aber in der Praxis immer seltener gelebt.
Entweder finden die Ausgleiche einfach nicht statt. Oder aber es werden auch die Höchstarbeitszeiten, die der Tarifvertrag sehr wohl vorsieht, noch überschritten.
Es gilt grundsätzlich eine Begrenzung auf 12 Stunden pro Tag. Die maximale Tageshöchstarbeitszeit beträgt 13 Stunden. Diese darf aber nur als Ausnahmefall an einem definierten Anteil von Drehtagen erzielt werden. Mit Zustimmung der Filmschaffenden darf darüber hinaus in Ausnahmesituationen auch mehr als 13 Stunden gearbeitet werden.
Das Problem ist aber nun, dass diverse Filmproduktionen die Ausnahmeregularien so umfassend anwenden, dass hier nicht mehr von Ausnahmen gesprochen werden kann, sondern 14-Stunden-Tage zunehmend zum Regelfall werden.
Die genannte Mandantin hat sich dann ja, weil es nicht mehr anders ging, irgendwann krankschreiben lassen müssen. Das war aber auch nicht gern gesehen.
Die Frage klingt zunächst so, als ob die Kollegin einfach krankgefeiert hat. Dem ist nicht so. Sie hatte leider ernste physische und psychische Überlastungsanzeichen, eine starke Erkältung und sich sogar noch eine Verletzung an der Hand zugezogen. Die Kolleginnen und Kollegen am Set arbeiten viele Stunden am Tag, dadurch sinkt natürlich oft auch die Konzentration und es kommt gehäuft zu Arbeitsunfällen. Der Arbeitgeber hat hierauf dann aber sehr inadäquat reagiert, indem er keine Entgeltfortzahlung leisten wollte bzw. zunächst die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angezweifelt hat.…
Sind derlei Bedingungen denn neu oder war die Situation schon immer so schlecht? Wie kommt es zu derlei „Erosion“?
Nein, die Situation war nicht immer so schlecht und ist auch nicht überall so schlecht. Bei vielen Eigenproduktionen läuft es anders; zudem gibt es auch genügend Produktionsfirmen, die sich an einen gewissen Standard halten. Die Filmschaffenden zeichnen diese auf ihren Jahresempfang auf der Berlinale auch jedes Jahr aus.
Problematisch wird es oft, wenn die diversen öffentlich-rechtlichen Sender die szenischen Unterhaltungsfilme nicht selbst produzieren. Für sie ist es zunächst einfacher, die Produktion nach außen zu geben; denn so müssen sie sich nicht an ihre Tarifverträge im Haus halten. Auf der anderen Seite wollen Sie aber oft bei grundlegenden Aspekten mitbestimmen, wie zum Beispiel bei Drehbuchinhalten, Darstellern, dem Regisseur, dem Kameramann, den Drehorten. Im Prinzip ist dieser Gedanke auch nicht schlecht, denn die öffentlich-rechtlichen Sender müssen ja ihren Rundfunkauftrag erfüllen. Problematisch wird es aber dann, wenn die bereitgestellten Gelder gar nicht ausreichen, um die entsprechenden Wunschvorstellungen zu erfüllen. Denn dann kann die Produktionsfirma, die natürlich selbst auch noch Gewinn einstreichen will, nur am Personal sparen – und tut das in aller Regel auch massiv.
Um das zu verdeutlichen: Früher drehte man für einen Tatort bis zu 44 Drehtage lang. Laut dem 15. KEF-Jahresbericht deckt die Finanzierung eines Tatorts inzwischen nur noch 21 bis 30 Drehtage ab. Mittlerweile wird ein Tatort daher an 21 bis 23 Tagen abgedreht. Der Film ist aber im Sendeformat nicht gleichzeitig kürzer geworden. Eine immense Arbeitsverdichtung am Set ist die Folge.
Und Gleiches gilt für „freie“ Filmprojekte: Man will in immer kürzerer Zeit immer längere Formate produzieren. Dass diese Rechnung natürlich ab einem gewissen Punkt nicht mehr aufgeht ist klar. Und wir reden hier noch nicht einmal davon, dass es bei Außenproduktionen auch mal gewittert oder ein Darsteller erkrankt. Das ist in den pauschalen Finanzen überhaupt nicht mehr vorgesehen. Entsprechend ist dann auch das Klima am Set: Die Kolleginnen und Kollegen sind massiv überlastet, haben Angst krank zu werden, machen unter dem immensen Druck aber auch immer mal wieder Fehler etc. pp.
Ist dieses Klima der Überlastung und Angst unter vielen Medienschaffenden allgemeingültig? Ich frage, weil das eine gute Erklärung für die „Linientreue“ vieler Kolleginnen und Kollegen in den öffentlich-rechtlichen Medien wäre, die sich aktuell – nicht ganz zu unrecht, wie man sagen muss – dem Vorwurf der „Lügenpresse“ etc. ausgesetzt sehen.
Überlastung am Set sicherlich schon; denn bis kurz vor der Rente macht das eigentlich niemand freiwillig. Gleiches gilt oft auch für das Angstklima. Viele Film- und Fernsehschaffende sind zwar auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber eben auf Produktionsdauer. Wir sprechen hier nicht von jahrelangen Dauerbeschäftigungen. Das heißt, man ist immer wieder davon abhängig, dass man für die nächste Produktion wieder angestellt wird. Daher herrscht oft die Angst, wenn man etwas falsch macht oder überhaupt etwas sagt, dass man für die nächste Produktion nicht wieder gebucht wird.
Viele Filmschaffende sind aber auch nicht aufgeklärt, kennen also ihre Rechte nur mangelhaft oder gar nicht. Daher arbeiten wir hier an verschiedenen Fronten: Aufklärung! Unterstützung bei der Geltendmachung des Individualrechts! Verbesserung der Rechte durch die Arbeit am Tarifvertrag! Aber umso wichtiger, die politische Arbeit beim Filmfördergesetz! Denn warum sollten Filmproduktionen gefördert werden, wenn die Produktion sich dann nicht mal an den bestehenden Tarifvertrag hält.
Problematisch ist auch, dass der Tarifvertrag nicht allgemeinverbindlich ist. Das heißt, es müssen ihn nur Produktionsfirmen anwenden, die tarifgebundenes Mitglied in der Produzentenallianz, einem Arbeitgeberverband im Filmbereich, sind. Insgesamt gesehen, finde ich auch, dass „Lügenpresse“ ein schwieriges Wort ist. Es ist so absolut. Ich denke, der Großteil der Endverbraucher weiß gar nicht, wie die Realität am Set wirklich ist. Zudem ist die „Faszination Film und Fernsehen“ immer noch so groß, dass die Produktionsfirmen eigentlich immer jemanden finden, der es für noch weniger Geld und mehr Stunden macht. Wenn Sie so wollen, scheint mir eher „das System“ das Problem zu sein denn der einzelne Filmschaffende oder Journalist.
Und dasselbe besteht aus immer mehr Auftragsproduktionen, zu hohen Ansprüchen bei zu wenig Geld, unternehmerisch denkenden und handelnden Produktionsfirmen, Filmschaffenden in Angst und eben unbedarften Endverbrauchern..
Genau.
Nun verhandelt ver.di ja aber gerade einen neuen Tarifvertrag. Meinen Sie denn, dass – selbst im bestmöglichen Falle – hier positive Veränderungen zu erwarten sind? Die Arbeitgeber halten sich ja, wie Sie selbst sagten, nicht einmal an den bestehenden…
Ja, natürlich können wir etwas Positives erzielen, denn ansonsten bräuchten wir nicht verhandeln. Zum einen verhandeln wir eine Gagenerhöhung. Die ver.di-FilmUnion fordert für die rund 25.000 Film- und Fernsehschaffenden darüber hinaus auch eine Begrenzung der überlangen täglichen Arbeitszeiten von 13 auf maximal 12 Stunden. Und selbstverständlich brauchen die Produktionen aus den bereits genannten Gründen zukünftig weniger Budget- und Zeitdruck.
Welche Optionen sehen Sie denn darüber hinaus, dem Klima der Angst, der Prekarisierung etc. einen Riegel vorzuschieben? Was können wir, was können die Betroffenen tun?
Leider geht das nur durch Geltendmachung der eigenen Rechte. Dafür muss man dieselben natürlich auch kennen. Aufklärung und Stärkung der Filmschaffenden an sich bzw. des Organisationgrades hilft dabei ungemein. Denn es ist ein anderes Gefühl, wenn man am Set eben nicht „allein ist“.
Und bei den Sendern muss der Geiz- ist-Geil-Mentalität ein Riegel vorgeschoben werden. Zudem sollten Filmförderungen nur dann vergeben werden, wenn die Produktionsfirmen sich auch an geltende Regelungen halten.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Ute Opritescu, Master of Laws, geboren 1987, ist als Juristin spezialisiert im Arbeits- und Sozialrecht. Sie betreut seit Juni 2014 die ver.di Filmunion Süd genauso wie den öffentlich-rechtlichen Senderverband ver.di Bayern.
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08. März 2016
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