Segnen als Sieg des Lebens
Zu Ostern fragt sich der Philosoph Philippe Schultheiss, wie wir wohl gedeihlich in die Welt hineinwirken können. «Wie soll ich segnen?» Eine erste und provisorische Antwort lautet: Wünschen Sie einander ganz bewusst «Frohe Ostern!»
Meinen letzten Beitrag zum Thema Fluchen kann ich natürlich nicht alleine stehen lassen, sapperlott nochmal. Dieses Mal muss ich daher über den Segen sprechen, das Gegenstück zum Fluch. «Fluch und Segen» ist ja ein bekanntes Paar, auch im nicht-religiösen Kontext. Der Ausdruck bedeutet «Verderb und Gedeih», und manchmal wird darunter auch ganz simpel «Nach- und Vorteil» verstanden. Ursprünglich kommt das Wortpaar natürlich aus dem religiösen Bereich. ‹Segen› ist abgeleitet von lat. ‹signum› (Zeichen) resp. ‹signare› (das Kreuzzeichen machen). Das hindert mich trotzdem nicht daran, auch philosophisch der Frage nachzugehen, wie ich segnen soll.
Analog zum Fluch, dem spezifischen Verderbenswunsch, ist der Segen ein spezifischer Gedeihenswunsch. Also eine hoffnungsorientierte sprachliche Äusserung zugunsten eines Lebewesens oder manchmal auch einer Sache.
Ein Segen liegt über all dem, was lebt. Der Tod ist seine absolute Abwesenheit.
«Ich wünsche Dir gute Besserung!» oder «Hoffentlich gehen unsere Tulpenzwiebeln dieses Mal wirklich auf!» sind alltägliche Beispiele. Ein Segenswunsch zielt immer darauf ab, dass etwas wachsen und gedeihen soll und nicht leiden, eingehen und verdorren. Ein Segen liegt über all dem, was lebt. Der Tod ist seine absolute Abwesenheit.
Insofern die Philosophie etwas mit dem Leben zu tun hat, muss sie auch die Handlung des Segnens ernst nehmen. Die Übergänge zum Religiösen sind aber fliessend, und dies ist für diesen österlichen Beitrag passend wie sonst selten: Ostern ist das Fest der Auferstehung, das Fest, wo das Leben über den Tod obsiegt, verkörpert in Jesus Christus. Ostern ist aber auch das Fest der Fruchtbarkeit, des Frühlingserwachens, der Lebensfreude. So wie wir das Fest heute bei uns begehen, ist es eine erstaunliche Mischung aus christlichen und anderen so genannten «heidnischen» Elementen. Wer es bewusst begeht, nimmt Anteil am allumfassenden Segensreichtum, der uns Menschen im Leben zuteil wird. Eine erste und provisorische Antwort auf die Frage «Wie soll ich segnen?» lautet also: Wünschen Sie einander ganz bewusst «Frohe Ostern!»
Ich gebe zu, diese Antwort ist philosophisch gesehen noch «unterbelichtet». Erhellend mag daher der Hinweis sein, dass der Segen immer darauf abzielt, eine positive Machtsphäre aufzuspannen. Gerade die Philosophie ist darauf spezialisiert, die herrschenden Prinzipien zu erkennen und zu benennen.
Dem Nihilismus steht − und das ist nun doch ein seltsamer Befund! − keine ebenso bekannte positive entsprechende philosophische Theorie direkt gegenüber.
So vertritt zum Beispiel die Strömung des Nihilismus (von lateinisch nihil, nichts) die Ansicht, das Nichts und die Wertlosigkeit sei dominant. Nennen wir ihn daher die «Theorie der negativen Machtsphäre». Dem Nihilismus steht − und das ist nun doch ein seltsamer Befund! − keine ebenso bekannte positive entsprechende philosophische Theorie direkt gegenüber. Warum nicht? Vielleicht weil die Philosophie die Tendenz hat, sich nie mit Antworten zufriedenzugeben, immer noch weiter zu grübeln und zu forschen, zuletzt sich geistig in Nichtigem zu verheddern und darob vergisst, dass sich das Leben der absoluten rationalen Durchdringung verweigert?
Es scheint also, dass auch die Theorie der positiven Machtsphäre philosophisch unterentwickelt (oder um im Bild zu bleiben «unterbelichtet») ist. Sie wurde offensichtlich der Theologie überlassen: Gott wird hier ja als Garant für diese positive Machtsphäre betrachtet und sein Segen ist quasi sein Herrschaftsinstrument. Damit wirkt er gedeihlich und lebensbejahend in die Welt hinein. Die Frage «Wie soll ich segnen?» beantworte ich daher «theo-sophisch» noch einmal wie folgt: Seien Sie sich und anderen ein Segen, indem sie das Leben betonen und alles dafür tun, dass sich Leben in Freiheit entfalten kann. Im Garten, in der Familie, in der Politik, im sozialen Umfeld, überall wo Sie wirken.
Der Vollständigkeit halber will ich noch auf den wichtigen Aspekt aufmerksam machen, dass es theologisch umstritten ist, ob wir selber segnen oder ob wir den Segen nur wünschen und erbitten können – das Leben und Wachsen an sich ist uns ja unverfügbar.
Aber egal, ich schlage vor: Nicht zu viel grübeln, einfach tun. Und immer wieder mal «Alles Gute und leb wohl!» wünschen. Dieser Wunsch ist für mich in seiner Schlichtheit sowieso der schönste philosophische Segen, und ich wünsche ihn nun auch Dir!
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