«Superman motiviert die Menschen, über sich hinaus zu wachsen»

Während der Lockdowns vor zwei Jahren gründete sich in Deutschland das H.E.L.F.A.-Netzwerk: «Helfa engagieren sich liebevoll für alle». Mit über 40.000 Teilnehmern ist es das unseres Wissens grösste Selbsthilfenetzwerk der Corona-Krise. Der Gründer «Kal El», der nur mit seinem Pseudonym genannt werden möchte, ist bekannt durch sein Superman-Kostüm, das er auf jeder Demonstration trägt. In der Reihe: «Was ist aus uns geworden?» verriet er uns warum.

© Zur Verfügung gestellt von Kal El

Sie haben vor zwei Jahren Helfa ins Leben gerufen. Wie hat sich in Ihrer Wahrnehmung die Gesellschaft durch Corona verändert?

Kaum. Sie war eh schon egozentrisch orientiert, das wurde noch extremer. Durch Corona sind die Menschen noch isolierter, zurückgezogen in ihre Blase geworden. Wir sind durch die Massnahmen offenen Auges in diese gefährliche Situation gegangen. Das hat Spuren hinterlassen. Wir brauchen wirklich eine neue Art von Gesellschaft.

Das Einzige, was mir geholfen hat in der Zeit, waren meine Freunde.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Helfa aufzubauen?

Ich hatte Idee schon lange vor Corona, schon vor über 25 Jahren. Ich habe damals Wirtschaftsinformatik studiert und lebte dann eine Weile aus verschiedenen Gründen auf der Strasse. Da hat das nicht funktioniert, was ich gelernt hatte. Ich hatte kein Auto und kein Bankkonto. Dort gelten ganz andere Gesetze. Das Einzige, was mir geholfen hat in der Zeit, waren meine Freunde. Und damals gab es noch keine sozialen Medien wie Facebook, und das hätte auch nicht geholfen. Ich habe dann überlegt, warum organisieren wir nicht die ganze Gesellschaft nach dem Freundschaftsprinzip? Es gibt deinen Freundeskreis, und dann gibt es andere Kreise, mit denen man auch befreundet ist, und so weitet sich das aus. So könnte eine neue Art von Gesellschaft entstehen. Ich habe darüber mit Professoren gesprochen und Pläne gemacht und Erfahrungen von anderen aufgegriffen. Da waren auch viele Ideen dabei, die sich als Nonsens herausgestellt haben. Das Helfa-Netzwerk ist das, was sich daraus jetzt nach 25 Jahren entwickelt hat. Es besteht aus lauter Dingen, die bereits irgendwo funktioniert haben. Wir haben es zusammengebracht und ihm einen Namen gegeben.

Armutsdiskriminierung ist der Krieg, der schon seit Jahrhunderten herrscht.

Was tun die Helfa-Gruppen real?

Wir machen Angebote für alles, was sonst der Staat oder die Wirtschaft organisiert. Von Geburt bis zum Tod. Es gibt bei Helfa Hebammen, es gibt freie Schulen, Ausbildung, Arbeitsangebote. Wir versuchen, die Dienstleistungen und Arbeiten, die es sonst auch gibt, im Helfa-System bereitzustellen. So dass man seine Arbeit kostenlos oder zum Selbstkostenpreis anbietet. Damit holen wir viele Menschen ab, die sonst unter die Armutsgrenze fallen. Denn das ist die Hauptsache für mich: Alle sprechen über Rassendiskriminierung oder Geschlechterdiskriminierung. Aber niemand spricht über die Armutsdiskriminierung. Das ist der Krieg, der schon seit Jahrhunderten herrscht. 

 

Welche Regeln hat H.e.l.f.a.?

Wir haben vier plus eine Regel. Die erste habe ich schon gesagt: Wir bieten alles ohne Geld oder zum Selbstkostenpreis an. Das funktioniert nicht ohne die zweite Regel: Vertrauen aufbauen. Es gibt ja den Trend: grösser, grösser, grösser. Aber irgendwann ist das Maximum erreicht. Das verstehen viele Leute nicht. Wir fragen uns: Wie viele Menschen kann man wirklich kennen? Wir denken, allerhöchstens 200 Leuten, optimal sind 80-120 für eine Gruppe. Dann kennt man sich noch, kann Spass miteinander haben, zusammenarbeiten. Die dritte Regel: Wir wählen Moderatoren für ein Jahr, und sie dürfen nur in einer Gruppe Moderator sein, damit es nicht zu einem Machtmissbrauch kommt. Eine Gruppe soll gerne mehrere Moderatoren haben, dann teilen sie sich die Arbeit. Moderatoren sind Kontaktperson für die eigene Gruppe, aber auch für andere Gruppen von aussen. Die vierte Regel ist das Prinzip, wie wir Regeln machen: Jede Regel soll positiv begründet werden – warum wir sie haben und was sie bewirken soll. Sie soll negativ begründet werden – also was soll sie nicht bedeuten. Und drittens soll sie ein Startdatum und Enddatum haben. Das ist wichtig, damit man immer wieder darüber nachdenken kann, ob man die Regel noch braucht oder sie aktualisiert werden muss. Die meisten Regeln lösen wir dann wieder auf, das erleichtert vieles.

Das waren vier Regeln. Die fünfte ist unser Alleinstellungsmerkmal, ohne das alle anderen nicht funktionieren. Und die heisst Spass haben. Ohne Spass funktioniert es nicht. Wir machen es bei Helfa etwas anders, als man den Deutschen nachsagt: dass sie nur leben, um zu arbeiten. Die Griechen sind da anders: Sie arbeiten, um zu leben. Ich habe ein bisschen was aus beiden Welten und versuche, das zu verbinden.

 

Was waren in der Zeit Enttäuschungen, wo ging es nicht weiter?

Die gab es auch ohne Ende, z.B. Personenkult. Wir leben in einem Zeitalter der Egozentrik. Bei jedem Widerstand wird das Ego stark getriggert. Das ist in der Politik so wie überall anders auch. Ich habe gemerkt, dass die Menschen nicht, weil du eine geile Idee hast, ihr Leben verändern. Sie werden immer wieder rückfällig werden. Ich habe teilweise mehr Gegenwind von Leuten innerhalb von Helfa bekommen als von aussen. Gleichzeitig werde ich oft auf ein Podest gestellt. Dann sehen die Leute auch nicht mich, sondern ein Fantasie-Bild von mir. Das hat mich am meisten enttäuscht. 

Ich möchte ein Gesellschaftssystem vorstellen, das ohne Geld funktioniert.

Wie geht es weiter mit Helfa, was habt ihr vor?

Wir arbeiten derzeit an unserer Webseite und wollen die Infrastruktur verbessern, sich dezentral zu vernetzen. Da geht es nicht um Likes und Klicks. Wir wollen die Leute nicht in der digitalen Welt behalten, sondern dass wir uns mehr in echt begegnen und ‚offline‘ Zeit miteinander verbringen. Ein zweites ist eine verstärkte Vernetzung mit anderen Gruppierungen, auch im Ausland. In Frankreich gibt es ein sehr aktives Netzwerk. Dann haben wir einen Partner in Uganda, vielleicht bald auch in Kenia. Es geht um ein Netzwerk von Menschen, die sich aufeinander verlassen können. Ich selbst werde eine Weile nach Griechenland gehen. Die Griechen sind angesichts der Geldkrise besonders gebeutelt, wie auch andere Länder Südeuropas. Ich möchte dort ein Gesellschaftssystem vorstellen, das ohne Geld funktioniert. Und natürlich werde ich weiterhin auf der Strasse sein und tun, was ich schon immer gemacht habe.

Frieden werden wir nur schaffen, wenn wir alle zusammen halten. 

Warum gehen Sie immer im Superman-Anzug auf die Demos?

Zuerst wegen der Kinder. Sie durften ja im Lockdown nicht auf den Spielplatz, auch nicht mit anderen Kindern treffen. Und ich wollte ihnen als Superman einfach Spass und Hoffnung bringen. Auch auf Demos nehme ich mir immer Zeit für die Kinder. Aber die Superman-Botschaft geht auch an Erwachsene. Ich denke, dass aggressive Sprüche auf den Demos nichts bringen, das stösst die Leute nur ab. Superman motiviert die Menschen, über sich hinaus zu wachsen. Er gibt ihnen Hoffnung. Wenn ich in einen Raum reinkomme, sagt immer irgendjemand: «Ja, jetzt brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen.» 

Ich beende alle Gespräche mit derselben Botschaft: Frieden werden wir nur schaffen, wenn wir alle zusammen halten. Darum lasst uns alle zusammenhalten und Frieden schaffen, und lasst es uns in Liebe tun.

 

H.e.l.f.a. in der Selbstbeschreibung:

Wir sind eine weltweite Bewegung basierend auf vorbehaltsloser, gegenseitiger Unterstützung. Wir überdenken derzeitige Gesellschaftsstrukturen komplett und erschaffen ein neues, alternatives Lebensmodell, mit Fokus auf echtem Zusammenhalt und gelebter Menschlichkeit. Möchtest Du mehr erfahren über die Idee hinter Helfa, kannst Du das hier auf dem Kanal oder über die Homepage: https://helfa.org Dort findest Du auch eine interaktive Karte der Ortsgruppen und kannst darüber einfach Kontakt zu Deiner nächstgelegenen Helfa Ortsgruppe aufnehmen.

24. September 2022
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