Welche Bildung wünschen wir uns für kommende Generationen?

«Shola» ist altgriechisch und bedeutet «Musse». Wurden Kinder und Jugendliche vor 3000 Jahren mit dieser Haltung unterrichtet - oder besser: gefördert? Was wird aus Kindern, die kaum Aufgaben auf Arbeitsblättern lösen, sich nicht an Noten messen und kaum Rechnungsstöckli durchfuttern müssen?

Ein aufgemalter Pfeil an einer weissen Wand, auf dem steht: Love to learn, und davor geht ein Jugendlicher
Lernen soll Freude machen. (Bild: Tim Mossholder on Unsplash)

Ich bin Pädagoge. In meinem Umfeld merke ich zunehmend, dass weite Teile der Bevölkerung sich eine gesellschaftliche Umwälzung wünschen, sich aber weitgehend antriebslos und gebunden fühlen. Die wesentlichen und heute allumfassend nötigen Änderungen bleiben stecken.

Als altgedienter, verhinderter Volksbildhauer steht für mich die Erziehungs- oder besser die Entfaltungsfrage der Kinder im Vordergrund. Vor meiner Matura (1981) drückte ich pro Woche ungefähr so oft die Schulbank wie heute die meisten Mittelstufenschüler. Die armen Kinder sind so geschafft nach der Schule, dass sie der alleinerziehenden Mutter den letzten Nerv rauben und/oder sich mit stumpfen virtuellen Spielen ihre Jugend zupappen.

Die Älteren dieser verlorenen Jugend sind heute schon weit über dreissig Jahre alt. Den Jüngeren wird alarmierend oft der Stempel ADHS oder ADS aufgedrückt; mit dem Resultat, dass es so aussieht, als wären diese Kinder nicht in Ordnung. Dabei leidet ja das ganze System am Aufmerksamkeitsdefizit. Unsere Erziehungsverantwortlichen üben immer mehr Druck aus mit Vorgaben, sinnentleerten Lehr- und Bildungsplänen, Weiterbildungsvorgaben für Lehrkräfte und, und, und.

Als Pädagoge suchte ich Wege, in denen das Pestalozzsche Prinzip «Kopf, Herz und Hand» seinen Ausdruck fand. Heute fühle ich zunehmend, dass die Reihenfolge «Hand, Herz und Kopf»  uns wirklich berührt.

Was Schule wirklich ist, wird vergessen: «Shola» ist altgriechisch und bedeutet «Musse». Musse? Wurden Jugendliche und Kinder vor 3000 Jahren mit dieser Haltung unterrichtet - oder besser: gefördert?

Man stelle sich das vor: Das Interesse, losgelöst von Prüfungsdruck und von der Prüfungsangst, notenfrei - aber  mit Interesse im Kern. Was aus dem Schulstoff wurde, erwuchs aus der Neigung und dem Interesse des Schülers und der Erfahrung der Lernbegleiter undv Mentoren. Musse heisst nicht dolce far niente. Musse ist ein lustvoller, stressloser Vorgang, vielleicht ein Spiel, in dem das Ziel nicht an oberster Stelle liegt.

Als Pädagoge suchte ich Wege, in denen das Pestalozzsche Prinzip «Kopf, Herz und Hand» seinen Ausdruck fand. Heute fühle ich zunehmend, dass die Reihenfolge «Hand, Herz und Kopf»  uns wirklich berührt. Wenn die Hand erschafft, ausprobiert, spielt, ergreift, ohne tiefes Gedankengut, ohne grossartige Theorie, dann kann sie aus ihrer Natur das Herz berühren. Der Kopf «sah, dass es gut war», und steuert im Nachhinein seine Sinnhaftigkeit. Das sind für mich die Grundpfeiler, auf denen wir sinnvolle Selbstbildung in individueller Gestalt ermöglichen können.

Schulen, die sich heute auf diese Art am meisten bewegen, sind jene, die das Gedankengut von Maria Montessori in ihre Prinzipien einfliessen lassen. Davon gibt es bei uns vereinzelte, die ich in letzter Zeit besuchen durfte. Ich durfte Kinder beobachten, die in ihrem Palaver (vgl. jüdische Schulen) intensiv oder extensiv in der Bearbeitung ihres gewählten Themas unterwegs sind. Kinder, die jederzeit frei entscheiden dürfen, mit wem sie sprechen, die in Gruppen oder allein ein Buch lesen oder ein Experiment machen, die Natur beobachten, mit Tieren spielen, ihrem Alter entsprechend, aufbauend, entwickelnd.

Erwachsene begleiten sie aus Distanz, aus der Beobachtung, sind da, wenn sie etwas brauchen. Wenn ich dieser Schule zuschaue, sind die Erwachsenen sehr entspannt. Eher selten werden sie gefragt. Die meist gestellte Frage an der staatlichen Volksschule, «Sie, mache ich das richtig? Ist das gut so?», erübrigt sich weitgehend. Die Einstellung, dass man für die Lehrerin oder für den Lehrer arbeitet, bleibt an dieser Schule fremd.

Was wird aus Kindern, die kaum Aufgaben auf Arbeitsblättern lösen, sich nicht an Noten messen und kaum Rechnungsstöckli durchfuttern müssen? Sie können bei einem Lehrmeister als wissende, integere Personen auftreten, wissen im Detail, was sie können, was ihnen wirklich zusagt, können selbstständig wirken und sind fähig, allfällige Stofflücken in kürzester Zeit aufzuarbeiten. Kinder dieser Gattung können ihr eigenes Verhalten bis ins Detail reflektieren, können Konsequenzen daraus ableiten und entscheiden selber, ob sie Konsum gut finden oder pflegen einen sinnvollen Konsum, der sich an ihren Bedürfnissen und an denjenigen der Natur und der Mitwelt orientiert.

Schulen dieser Art können gefördert werden, wenn die mutigen Eltern, die es sich heute noch leisten, Kinder zu haben, so mutig werden, dass sie die freie Bildung ihren Kindern zutrauen und sie weitgehend und aktiv in ihrer Selbstständigkeit fördern. Auch von staatlicher Seite braucht es diesen vertrauensvollen Blickwinkel und die Bereitschaft, auch nicht staatliche Bildungswege finanziell zu unterstützen. Nur so ist echte Chancengleichheit realistisch und können auch Wenigerverdienende ihre Kinder an freiere Schulen schicken .

Freie Schulen scheinen in eine radikal andere Richtung zu gehen als die staatlichen. Aber es braucht dringend neuartige Strukturen in allen Bereichen der Gesellschaft, Wirtschaft und Spiritualität.