Der geheime Verführer

Zucker versüsst das Leben – und macht krank. Weil wir gerne zu viel davon schlucken, wird er in den Deklarationen raffiniert versteckt. Geschäft geht vor Gesundheit.

(Foto: Klaus Petrus)

Schweizerinnen und Schweizer konsumieren pro Jahr im Schnitt 38 Kilogramm Zucker, die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt rund halb so viel. Ob Zucker süchtig macht, ist umstritten, dass er suchtähnliches Verhalten auslöst, ist offensichtlich. Auf Menschen wirkt er wie eine Droge: Er löst kurzfristig Glücksgefühle aus, macht abhängig und verursacht Krankheiten. Das Bedürfnis nach Süssem ist angeboren – und wird bei übermässigem Konsum bald nach der Geburt zu einem Gesundheitsfaktor.

Die Gefährdung kommt schleichend

Übergewicht, Typ-2-Diabetes, permanente Überlastung der Darmflora, Schwächung des Immunsystems, Kreislaufprobleme und andere chronischen Krankheiten werden durch die täglich stattfindende Überzuckerung ausgelöst, respektive verstärkt. Ein Teufelskreis: Je mehr Zucker man zu sich nimmt, desto stärker wird – wegen nachlassender Wirkung – der Appetit. Er bewirkt eine erhöhte Ausschüttung von Serotonin und Dopamin im Gehirn, beides so genannte «Botenstoffe». Sie lösen Gefühle von Glück und Belohnung aus, entspannen, befriedigen und überbrücken momentane Antriebsschwächen – ähnlich wie das Alkohol oder Nikotin in Mangelsituationen tun. Und eben: Auch Zucker macht süchtig und krank.

Die Industrie zwischen Ethik und Geschäft

Die Industrie kennt die Folgen von übermäs-sigem Zuckerkonsum. Aber bei geringeren Mengen sinken die Verkaufszahlen. Je mehr «weisses Gift» in Produkten, desto höher die Nachfrage. Also gehen die Hersteller gerne an das verträgliche Maximum, umso mehr, als Zucker billiger ist als die meisten Rohstoffe. Daraus ergibt sich ein erheblicher Konflikt: Die Hersteller müssen sich dem Trend nach gesunder Nahrung beugen, möchten andererseits so viel Zucker wie möglich in die Produkte schütten. Ethik steht gegen krankmachendes Geschäft.

Zucker in Getränken und anderswo

Übersüsse Getränke, Milchprodukte und Frühstücksflocken sind die roten Tücher aller Gesundheitsbewussten. Aber auch vielen anderen Produkten wird unnötig Zucker zugesetzt – wo man ihn gar nicht vermuten würde und häufig in Kombination mit Fett, künstlichen Zusatzstoffen und Salz. Viel Zucker, beispielsweise in Form von Malzextrakten, Lactose, Fruchtsirup, Dextrose (und unter anderen Namen), findet sich etwa in Gebäcken, Suppen, Senf, Ketchup und Fertiggerichten. Übrigens: Auf den Inhaltsdeklarationen werden Maltose und Co. allerdings nicht als Zucker aufgeführt (was sie letztlich sind), sondern mit ihren Eigennamen. Mit dem Verzicht auf die Nennung der Gesamtmenge Zucker – Geheimsache! – werden wir bewusst umdribbelt.

Zuckersteuer bringt Erfolg

In Ländern wie England und Irland wurde eine Zuckersteuer eingeführt – aufgrund einer Initiative, die Starkoch Jamie Oliver gestartet hatte. Er verfolgte das Ziel, mit drastischen Zuckerreduktionen in Süssgetränken Fettleibigkeit zu vermindern. So enthält Fanta heute in diesen (und anderen) Ländern halb so viel Zucker wie in der Schweiz. In vielen Ländern experimentieren die grossen Softdrinkhersteller mit Zuckerreduktionen.

Schweizer Politik

In unserem Land setzt man lieber auf Freiwilligkeit statt auf klare Regeln, z.B. in Form einer Zuckersteuer. Stattdessen wird viel versprochen, aber wenig umgesetzt. So sank in den letzten zwei Jahren der Zuckeranteil in Joghurts trotz optimistischen Ansagen nur um 3 Prozent. Die freiwillige Zuckerreduktion bevorzugt die Industrie, statt die Gesundheit der Bevölkerung zu fördern. Tatsache ist: In den eidg. Räten hat der Konsumenten- und Gesundheitsschutz eine eher schwache Lobby. So wurde 2016 eine Interpellation im Nationalrat abgelehnt, eine Zuckersteuer überhaupt auch nur zu prüfen. Keine Chance hat auch das Vorhaben, mit geeigneten Symbolen auf der Verpackung den Zuckeranteil in Produkten mit deutlichen Farben (Ampeldeklaration) zu signalisieren. Dass der geheime «Krankmacher Zucker» sichtbarer wird, ist offensichtlich politisch und wirtschaftlich nicht gefragt – das Geschäft geht vor.

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Quellen: Verband für unabhängige Gesundheitsberatung (UGB); Deutsches Ärzteblatt; Tobias Tscherrig, Journalist; K-Tipp.

29. November 2018
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