Wurde die ukrainische Armee bereits um 50 Prozent dezimiert?

Dieser Frage geht der ehemalige CIA-Analyst Larry Johnson nach — und weist auf eine brisante Aussage Ursula von der Leyens hin.
Veröffentlicht: 1. Dec 2022 - Zuletzt Aktualisiert: 1. Dec 2022

Ursula von der Leyen hat das Undenkbare getan - sie hat die Wahrheit gesagt. Während einer Rede, in der sie Russland für Kriegsverbrechen verurteilte, erwähnte sie beiläufig, dass seit Beginn der Kampfhandlungen 100'000 ukrainische Offiziere getötet wurden. Die Europäische Union hat dummerweise versucht, dies zu revidieren, indem sie von der Leyens Behauptung aus dem Internet löschte. Dieser Rückzieher ist gescheitert. von Larry Johnson


Ich glaube weder, dass von der Leyen sich falsch ausgedrückt hat, noch dass sie die Zahl erfunden hat. Wenn es sich wirklich um einen Irrtum gehandelt hätte, hätte sie nur eine entsprechende Erklärung abgeben müssen, z.B. 'Mea culpa, ich wollte 10.000 sagen, nicht 100.000'. Das hat sie aber nicht getan. Sie hat so getan, als hätte sie nie gesagt, was sie gesagt hat.

Wenn die Zahl von 100.000 Toten stimmt, dann bedeutet das, dass die Gesamtopferzahl der Ukraine - d.h. getötete und verwundete Menschen - etwa 400.000 beträgt. Mit anderen Worten, die Ukraine hat seit Beginn der Kämpfe fast 40 % Verluste erlitten. Im 20. Jahrhundert kamen bei dieser Art der modernen Kriegsführung normalerweise 3 verwundete Soldaten auf jeden Gefallenen. Wenn man dieses Verhältnis zugrunde legt, kommt man auf die Zahl von 400.000 Gesamtverlusten. Als der Krieg im Februar begann, verfügte die Ukraine über insgesamt 1.125.000 Mann an Bodentruppen.


Der Ausnahmezustand in der Ukraine ist immer noch in Kraft, und die Reservisten wurden zum Dienst einberufen. Tatsächlich ist die Ukraine über ihre normale Reservestärke hinausgegangen und war gezwungen, Männer mittleren Alters zum Dienst heranzuziehen. Dies sind die territorialen Verteidigungskräfte.

Ist die Zahl von 100.000 Todesopfern glaubwürdig? Ja. Wenn man bedenkt, dass seit Beginn der russischen Militäroperation am 24. Februar 2022 275 Tage vergangen sind, muss es im Durchschnitt 364 Gefallene geben, um die Zahl von 100.000 Toten zu erreichen. Wenn Sie die täglichen Briefings des russischen Verteidigungsministeriums verfolgt haben, werden Sie feststellen, dass dies eine genaue Zahl ist.


Wie ich bereits früher erörtert habe, folgt die derzeitige russische Militärführung nicht jenen Taktiken, die die sowjetischen Generäle im Zweiten Weltkrieg anwandten (d.h. Massenangriffe). Russland hat sich in erster Linie auf massive Artillerie- und Raketenangriffe verlassen, bevor es eine Bodenoffensive startete. Die russische Feuerrate der Artillerie ist mit nichts in der Geschichte vergleichbar. Noch wichtiger ist, dass die Genauigkeit der Artillerie durch den Einsatz von Drohnen und Satelliten zur Ausrichtung des Feuers verbessert wird, wobei die aktualisierten Koordinaten in Echtzeit an die Artillerieeinheiten weitergeleitet werden.  

Ein weiterer Faktor, der zu den horrenden Verlusten in der Ukraine beiträgt, ist das Fehlen von Luftstreitkräften und wirksamen Luftabwehrsystemen, um den russischen Batterien etwas entgegenzusetzen. Wenn ukrainische Truppen versuchen, eine feste russische Stellung anzugreifen, sind sie zu Fuß oder in einem Fahrzeug ungeschützt und durch russische Artillerie oder Luftangriffe verwundbar.

Es hat den Anschein, dass einige westliche Analysten, die die russische Taktik bisher mit Füßen getreten haben, nun endlich zu erkennen beginnen, dass Russland es ernst meint mit der Entmilitarisierung der Ukraine durch methodische, zermürbende Taktiken. Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem der Ukraine die Männer ausgehen und sie keine kampffähigen Truppen mehr aufstellen kann. Es scheint, dass dieser Tag näher rückt.

Newsletter abonnieren
Hinweis an die Redaktion