Oberst Reisner: «Das haben die Russen sehr intelligent gemacht»

Die ukrainische Gegenoffensive ist zum Stillstand gekommen - weil der Westen Russland militärisch unterschätzte.
Veröffentlicht: 19. Jun 2023 - Zuletzt Aktualisiert: 19. Jun 2023

In einem Interview mit dem Portal t-online hat sich der österreichische Militärhistoriker Oberst Markus Reisner zur aktuellen Lage in der Ukraine geäussert. Fazit des Militärs: Die Russen im Westen medial «als Clowns» darzustellen war ein grosser strategischer Fehler - der vor allem der Ukraine schadet. Wir bringen Auszüge.

Über den Abwehrerfolg der russischen Armee:

Sie haben diesen Erfolg durch Einsatz aller ihrer Fähigkeiten erzielt, manches hätten viele Beobachter von den Russen gar nicht erwartet. Zum Beispiel der erfolgreiche Einsatz der russischen Luftwaffe, hier vor allem von Kampfhubschraubern, aber auch von Störern im elektromagnetischen Feld. Ferner haben sie auch dem Grundsatz der beweglichen Verteidigung folgend in den letzten Monaten kleinere Elemente zusammengestellt, etwa in Form von mit Panzerabwehrlenkwaffen ausgestatten Trupps in Kombination mit Artillerie. Das haben die Russen sehr intelligent gemacht.

Über die Hoffnung des Westens, die russischen Linien zu überwinden:

Ich habe in der Vergangenheit immer wieder darauf gepocht: Wir dürfen die Russen nicht unterschätzen! Aus meiner Sicht bringt es überhaupt nichts, wenn wir die Russen permanent zu Clowns erklären. Ich sage es ganz klar: Das schadet den Ukrainern viel mehr, als es ihnen hilft. Denn dadurch ergibt sich ein falsches Bild. Und wenn wir die Ukraine effektiv unterstützen wollen, dann brauchen wir ein klares Verständnis ihrer Bedürfnisse.

Über die Perspektiven der Offensive:

Die Offensive könnte sich schnell festfressen, wenn ein solcher nicht in den ersten Tagen erreicht wird. So nennt man das bei uns. Mark A. Milley, der amerikanische Generalstabschef, hat das kürzlich gut auf den Punkt gebracht: Wenn die Ukraine nicht rasch an Raum gewinnt, kommt es zu einem Hin und Her. Ich würde sagen, wir befinden uns dann im historischen Vergleich möglicherweise im Jahr 1916, dem elenden Jahr der Offensiven.