Russlands bekanntester Kriegsgegner verhaftet

Nachdem vor Tagen der nationalistische Kriegsbefürworter Igor Girkin, ehemaliger Kommandeur der aufständischen Truppen im Donbass wegen «Extremismus» vor Gericht gezogen wurde, wurde jetzt der bekannte linke Soziologe Boris Kagarlitsky, erklärter Kriegsgegner unter dem Vorwurf der «Rechtfertigung von Terrorismus» verhaftet, schreibt russland-news
Veröffentlicht: 30. Jul 2023 - Zuletzt Aktualisiert: 30. Jul 2023

Boris Kagarlitsky, ein russischer Soziologe und marxistischer Theoretiker, der sich offen gegen Moskaus Invasion in der Ukraine ausgesprochen hat, wurde unter dem Vorwurf der „Rechtfertigung von Terrorismus“ festgenommen, wie sein Anwalt am Mittwoch mitteilte.

Der FSB habe Kagarlitsky in die Stadt Syktywkar in der nordwestrussischen Republik Komi gebracht, wo – 1000 Kilometer von Moskau entfernt – der Fall gegen ihn untersucht werde, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Tass. Kagarlitsky drohen bei einer Verurteilung bis zu sieben Jahre Haft.

Der Anwalt des Soziologen, Sergei Jerochow, sagte gegenüber der Presse, das Strafverfahren gegen seinen Mandanten stehe im Zusammenhang mit einem Beitrag in der Messaging-App Telegram, in dem Kagarlitsky die militärischen Auswirkungen der Explosion auf der Krim-Brücke im Oktober 2022 analysierte und über deren Folgen spekulierte. Ein Gericht in Syktywkar ordnete eine zweimonatige Untersuchungshaft gegen ihn an, wie die unabhängige Nachrichtenagentur Sota am Mittwoch berichtete.

Kagarlitsky, Professor an Moskauer Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und Direktor des Instituts für Globalisierung und soziale Bewegungen (IGSO), das 2018 vom russischen Justizministerium als „ausländischer Agent“ eingestuft wurde, hatte sich gegen die russische Invasion der Ukraine im Jahr 2022 ausgesprochen, weigerte sich jedoch im Gegensatz zu vielen anderen Kremlkritikern, das Land zu verlassen. 

Die Nachricht über seine Verhaftung und die Vorwürfe gegen Kagarlitzki verbreitete sich in Russland und über Russlands Grenzen sehr schnell. Aus Deutschland gab es umgehend Solidaritätsbekundungen. So protestierte Kerstin Kaiser, letzte Chefin der Rosa-Luxemburg-Stiftung, per Facebook gegen die Inhaftierung und kündigte eine Unterstützungskampagne und Spendenaktion zugunsten von Kagarlitski an. Die Partei DIE LINKE forderte seine sofortige Freilassung. 

In Russland äußerten sich Vertreter verschiedenster politischer Kräfte fassungslos ­– vom regierungsnahen Politologe Sergej Markow über den Libertären Michail Swetow bis hin zum kremlnahen Telegram-Kanal Nezygar. Noch nie in der Geschichte des neuen Russlands seien fast alle (mit ein paar unangenehmen Ausnahmen) so solidarisch, meint der Philosoph und Publizist Rustem Wachitow im Telegramkanal Rotes Eurasien.