Das IKRK hat einen massiven Stellenabbau angekündigt, 270 allein in Genf

Hat sich das IKRK verzettelt? Der prominente Westschweizer Journalist Jacques Pilet über «Das humanitäre Übergewicht»
Veröffentlicht: 15. Sep 2023 - Zuletzt Aktualisiert: 15. Sep 2023

Der jüngste Personalabbau beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), bei dem 270 Stellen in Genf gestrichen wurden, wirft eine Vielzahl von Fragen auf, die nur langsam ans Licht kommen. Wurde die Institution Opfer des Größenwahns? Hat sie sich in Aufgaben verzettelt, die andere erfüllem? Wer kontrolliert eigentlich die Verwaltung dieses riesigen Apparats? Warum haben einige Beitragszahler plötzlich kalte Füße bekommen? Steht uns eine drastische Reform dieses symbolträchtigen Hauses bevor? Man könnte die Überlegungen auf andere undurchsichtige humanitäre Organisationen ausweiten, die nach erfolgreichen Jahren ebenfalls von einer Verschlankung bedroht sind.

Als der Personalabbau in der IKRK-Zentrale angekündigt wurde, erfuhren wir, dass dort derzeit mehr als 1400 Personen beschäftigt sind. Weltweit sind es fast 20’000 Personen, von denen die meisten in ihrem eigenen Land im Einsatz sind.

Ein spektakulärer Anstieg: 2010 gab es 800 Mitarbeiter in der Genfer Zentrale, 1'400 Delegierte weltweit und 11'000 lokale Mitarbeiter.

Diese Zahlen belegen den Strategiewechsel in den Jahren, in denen Präsident Peter Maurer selbst sagte, er wolle einen Gang höher schalten. Das Aufgabenspektrum wuchs ins Unermessliche.

Die grundlegende und exklusive Verantwortung des IKRK besteht in erster Linie in Besuchen und Unterstützung von Kriegsgefangenen und politischen Gefangenen (die Unterscheidung wird angesichts der inneren Konflikte schwierig). Über diese Tätigkeit, ihre Erfolge und Misserfolge ist übrigens sehr wenig bekannt. Auf der offiziellen Website wird sie kaum hervorgehoben.

Mittlerweile kümmert sich das IKRK auch um Unterernährung, Gesundheit, Kinderbetreuung, Wasserversorgung... Die Liste ist lang. Damit betritt es Bereiche, die auf internationaler Ebene von anderen großen UN-Organisationen und einer Vielzahl anderer privater oder halböffentlicher Organisationen wahrgenommen werden. …

Die kürzlich eingesetzte Direktion und die neue Präsidentschaft versprechen eine Überprüfung der Strategie. Auch Strukturen, wie die Schaffung der Stelle eines Finanzdirektors. Na so was... Zu unserer Verblüffung stellen wir fest, dass diese Stelle bislang fehlte.

Auf Wunsch des Personals wurde auch ein "externes Audit" versprochen. Das ist gut. Aber worüber? Über die Bücher natürlich, über die Art der Verwaltung, über die strategischen Entscheidungen? Sollte es nicht auch ein effizienteres, permanentes Kontrollsystem geben?

Derzeit ist die Geschäftsleitung nur der Hauptversammlung Rechenschaft schuldig, dem höchsten Organ, das sich aus handverlesenen Delegierten zusammensetzt, die alle aus der Schweiz stammen und sich unter allen Umständen als völlig gefügig und wenig neugierig erwiesen haben.

Um seine Fettleibigkeit zu überwinden, braucht das IKRK Klarheit und Mut, und zwar über einen langen Zeitraum. Mehr als nur beruhigende verbale Pirouetten.

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