Wie halten Sie's mit der Neutralität?

Ist sie noch zeitgemäss? Wir fragten - unsere Leser und Leserinnen antworten...

Visual Neutralität
Leserumfrage Neutralität. Visual: Nicole Maron

«Neutralität» ist eines der beiden Titelthemen des Zeitpunkt-Magazins, das Mitte Februar erscheinen soll.

Die Frage möchten wir gerne an Sie weitergeben: Was bedeutet es für Sie, heute neutral zu sein? Was wünschen Sie – oder fordern Sie von der Politik? Dürfen wir uns heraushalten aus Kriegen? Welche politische Haltung finden Sie angebracht – für die Schweiz oder für Deutschland – auch angesichts der ökonomischen Verflechtungen und Bündnisse? Welche Einflussnahme hat ein neutraler Staat heute?

Danke für die vielen auch kontroversen Antworten...  die ersten veröffentlichen wir hier...

«Herzlos»

Hätten wir das Rote Kreuz? In Genf? Hätten wir die UNO ausser in New York? Nur Dank der Neutralität kann verhandelt werden, auf neutralem Boden natürlich. Auf dem Boden der einen oder anderen Partei sicher nicht.… Nur Verhandlung kann Frieden bringen. Parteinahme verstärkt jeden Krieg. Wie unbedacht und herzlos oder der Propaganda der einen oder anderen Partei erlegen muss ein Mensch sein, der dies nicht vermag zu verstehen?

Fritz Leibundgut


«Verflochtene Welt»

Ich finde, dass in der heutigen verflochtenen Welt Neutralität so nicht mehr geht. Wir sollten klar Stellung beziehen, wenn es unzweifelhaft einen Aggressor gibt und ein überfallenes Land, gleichgültig was die Vorgeschichte war oder hätte sein können. Ob es sinnvoll ist, Waffen zu liefern, ist eine andere Frage. Was ist die Alternative, wenn vor allem der Aggressor, aber auch das angegriffene Land nicht zu Friedensgesprächen bereit sind?

André Gerber, Oberhofen am Thunersee


«Für mich gehört untrennbar zur Neutralität die Diplomatie»

Die Neutralität der Schweiz ist mir nach wie vor sehr wichtig und meines Erachtens auch zeitgemäss. Dies heisst jedoch nicht, dass die Schweiz nicht Stellung beziehen soll, wenn das Völkerrecht verletzt wird, egal durch wen dies erfolgt. Nur so macht das Völkerrecht ja erst Sinn, und Neutralität heisst ja schliesslich nicht, wie die 3 Affen so zu tun, als würde man Unrecht nicht erkennen. 

Für mich gehört untrennbar zur Neutralität die Diplomatie dazu und dass niemand ausgeschlossen wird aus der Menschheitsfamilie. Zur Neutralität gehört aber eindeutig nicht, dass Waffen (wenn überhaupt) in Krisengebiete und an Kriegsparteien gesendet werden.

Und Deutschland, meine Heimat? Deutschland ist leider durch die Nato-Mitgliedschaft nicht neutral und durch die Stationierung der amerikanischen Armee nicht frei. Deutschland hat alle Erfahrungen und Grundsätze aus dem früher begangenen Unrecht über Bord geworfen. Hier geht die scheinbare Sühne zur Zeit meines Erachtens in die völlig falsche Richtung. 

Waren wir damals im Bonner Hofgarten blauäugig? (Die Leserin meint die grosse Friedensdemonstration von 1980 gegen die Stationierung der Mittelstreckenraketen in Deutschland...d.R.) Ich glaube nicht, denn wir haben zwar nicht durch gemeinsame transzendentale Meditation, aber den gemeinsamen Glauben an eine mögliche Abrüstung gespürt, dass unter uns 200.000 Menschen Frieden war.

Gabriele Studerus


Visual

 

Bitte schicken Sie uns Ihre Antworten gerne an [email protected] – wir möchten sie auf unserem Infoportal und einige auch im Magazin veröffentlichen. 

11. Januar 2024
von:

Kommentare

Ein Kommentar zu «verflochtene Welt»

von [email protected]
"Klar Stellung beziehen" muss meines Erachtens auch aus einer neutralen Haltung möglich sein. Dabei ist es aber immer wichtig, dass beide resp. alle Seiten inkl. Vorgeschichten für die Stellungnahme/Kritik miteinbezogen werden. So zB auch im Ukraine-Krieg. Daniele Ganser - der nicht nur ein exzellent recherchierender Historiker, sondern freizeitlich auch ein bekennender Fussballfan ist – verteilte darum bereits zu Beginn dieses Krieges symbolisch 3 rote Karten: Je eine - an den ehemaligen US-Präsidenten Barak Obama (weil der Putsch auf dem Maidan anno 2014 von der US- (also seiner) -Regierung erwiesenermassen "gesponsort" war, s. dazu zB https://www.infosperber.ch/politik/welt/neustes-zum-maidan-ein-putsch-und-keine-revolution-in-wuerde/). - sowie an den ukrainischen Präsidenten Selensky (weil er entgegen seiner Wahlversprechen den Bürgerkrieg in seinem Land – eine Folge des genannten Putschs, welchem bis 2022 bereits 14'000 Menschen zu Opfer gefallen waren – nicht beendete) - und an den russischen Präsidenten Putin, weil er seine Armee am 24.2.22 völkerrechtswidrig in die Ukraine einmarschieren liess. Falls mit "keine Gesprächsbereitschaft" Ukraine/Russland gemeint waren: am 29. März 2022, also nur rund einen Monat nach Kriegsbeginn, fanden in Istanbul erfolgreiche Friedensverhandlungen zwischen Selensky und Putin statt. Doch die Friedensbemühungen wurden vom Westen resp. von der US- und der britischen Regierung verhindert. "Der Westen sei nicht bereit, den Krieg zu beenden", teilte Boris Johnson dem ukrainischen Präsidenten am 9. April 2022 mit. Womit die Verhandlungen gestorben und der fatale Krieg seinen weiteren Verlauf nahm. Detailliert nachzulesen in der Emma vom 3.3.2023 (s. https://www.emma.de/artikel/ukraine-frieden-war-greifbar-340721)   Für mich verbietet Neutralität es grundsätzlich, Waffen zu liefern, ohne Ausnahme. Frieden wurde meines Wissens noch nie durch Waffen geschaffen, sondern nur durch Verhandlungen. Und Wirtschaftssanktionen sind zudem auch schon eine Form von Kriegshandlungen.   Gerda Tobler