Selenski kündigt für «dieses Jahr» einen neuen Friedensplan an
Nach dem Misserfolg auf dem Bürgenstock und der Friedensinitiative von China und Brasilien muss der ukrainische Präsident Gesprächsbereitschaft zeigen.
Die bisher geltende «Friedensformel» von Selenski» verlangte faktisch eine Kapitulation von Russland: Rückzug auf die Grenzen von 2014, Rückgabe der Krim und Reparationen für die Kriegsschäden. Um einen solchen «Frieden» durchsetzen zu können, müsste die Ukraine, bzw. der kollektive Westen, Russland nicht nur schwächen, sondern besiegen.
Die Erkenntnis der Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens hat sich inzwischen durchgesetzt. Da der Krieg die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen praktisch aller Staaten entscheidend schädigt, haben China und Brasilien die Initiative ergriffen und am 23. Mai 2024 ein «Common Understanding» für einen Weg zu Verhandlungen veröffentlicht.
Die sechs Punkte in der Zusammenfassung:
- Drei Prinzipien zur Deeskalation: keine Ausweitung des Schlachtfeldes, keine Eskalation der Kämpfe und keine Provokation durch irgendeine Partei.
- Dialog und Verhandlungen sind die einzige praktikable Lösung für die Krise in der Ukraine.
- Verstärkung der humanitären Hilfe
- Vermeidung einer nuklearen Krise mit allen möglichen Anstrengungen.
- Keine Angriffe auf Kernkraftwerke
- Keine Aufteilung der Welt in isolierte politische oder wirtschaftliche Gruppen. Zusammenarbeit zum Schutz der globalen Industrie- und Versorgungsketten.
Vor allem der letzte Punkt dürfte für China entscheidend sein. Als wichtigstes Produktionsland der Welt sind funktionierende Lieferketten sein Lebensnerv.
Die von China und Brasilien angestrebten Friedensgespräche könnten im November stattfinden, wenn Brasilien Gastgeber der G20 ist und zusammen mit China eine grosse Mehrheit des globalen Südens zusammenbringen dürfte. Zudem sind dann die Wahlen in den USA gelaufen und die haben einen entscheidenden Einfluss auf die Haltung des Westens in Bezug auf die Ukraine.
«Ohne China gibt es keine Lösung», sagte auch der Hauptorganisator des «Peace Summit on Ukraine» auf dem Bürgenstock, Botschafter Gabriel Lüchinger am Montag nach dem Gipfel gegenüber Radio SRF.
Auch Donald Trump, aus heutiger Sicht der wahrscheinliche nächste US-Präsident, signalisiert ein deutliches Interesse, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Zum einen gibt er zu, dass der Krieg durch die NATO-Kandidatur der Ukraine «provoziert» worden sei, das Gegenteil der bisher geltenden westlichen Sprachregelung. Zudem behauptete er, er würde den Krieg noch vor seinem Amtsantritt beenden, falls er gewählt würde.
Diese Entwicklung setzt Selenski unter Druck. Plötzlich erscheint er als das wesentlichste Hindernis auf dem Weg zu einem Frieden, der nicht nur von den Bevölkerungen der meisten Länder ersehnt wird, sondern auch von immer mehr Regierungen vor allem aus dem globalen Süden gefordert wird.
Nun versucht Selenski, das diplomatische Heft wieder in die Hand zu bekommen. Am 27. Juni erklärte er in einer Rede in Brüssel im Beisein von EU-Ratspräsident Charles Michel (aus ukrainischer Quelle, maschinell übersetzt):
«In einer Rede in Brüssel sagte der [ukrainische] Präsident [Selenski], die Ukraine wolle in naher Zukunft Verhandlungen über die Beendigung des Krieges aufnehmen.
‹Die Ukraine will den Krieg nicht verlängern, wir wollen nicht, dass er jahrelang andauert. Wir müssen innerhalb weniger Monate einen Plan zur Beilegung des Konflikts auf den Tisch legen›, sagte er. Selenski sagte, dass in naher Zukunft ein Plan für den zweiten Weltgipfel entwickelt werden soll.»
Am Tag darauf wurde Selenski an einer Pressekonferenz in Kiew deutlicher (maschinelle Übersetzung aus dem Ukrainischen, Quelle):
«Präsident Wolodymyr Selenski hat erklärt, dass die Ukraine ihren detaillierten Friedensplan ‹noch in diesem Jahr› vorlegen wird. Dies kündigte der Präsident auf einer Pressekonferenz in Kiew an.
‹Es ist sehr wichtig für uns, einen Plan zur Beendigung des Krieges vorzulegen, der von der Mehrheit der Welt unterstützt wird. Das ist der diplomatische Weg, an dem wir arbeiten. Nicht alles hängt von uns ab, unsere Produktion von Technologie, Drohnen und Artillerie nimmt wirklich zu, denn wir müssen auf dem Schlachtfeld stark sein. Denn Russland versteht nichts anderes als Gewalt. Das sind zwei parallele Prozesse: stark sein und einen detaillierten, klaren Plan entwickeln, und der wird dieses Jahr fertig sein›, sagte Selenski.»
Was ist vom neuen Plan zu erwarten? Dass Selenski die Bedingungen für einen Frieden diktieren kann, ist ausgeschlossen. Dazu fehlt ihm die militärische Stärke. Aber er signalisiert mit der Ankündigung, dass er den diplomatischen Weg, den China und Brasilien eingeschlagen haben, nicht behindern wird und ihn vielleicht sogar mitgestalten möchte.
Es ist daran zu erinnern, dass Selenskis alte «Friedensformel» drei Punkte aus dem chinesischen Friedensplan vom Februar 2023 enthielt. Und es waren genau die drei Punkte, die auch auf dem Bürgenstock verhandelt wurden: Gefangenenaustausch, Sicherung der Getreideexporte und der Schutz der Atomanlagen.
Der chinesische Plan – wegen seiner vagen Formulierungen vom Westen abgelehnt – scheint langsam Form anzunehmen. Er schlägt keine konkrete Lösung vor, sondern will erst einmal erreichen, dass wieder miteinander gesprochen wird.
Friedensgespräche beginnen in der Regel im Geheimen. In den nächsten Wochen und Monaten könnten in einem abgeschiedenen geopolitischen Gewächshaus durchaus Friedenspflänzchen zu spriessen beginnen.
Was für eine Erleichterung!
Quellen:
Украина подписала соглашение о безопасности с ЕС. Что в нем написано. 27.6.2024
Зеленский анонсировал вынесение Украиной нового мирного плана до конца года. 28.6.2024
Regierung Brasiliens: Brazil and China present joint proposal for peace negotiations with the participation of Russia and Ukraine. 23.5.2024
Andrew Korybko: Switzerland Said That The Next Talks On Ukraine Will Be Much More Different Than The Last. 20.6.2024
Regierung der Ukraine: WHAT ISZELENSKYY’S 10-POINT PEACE PLAN? 11.8.2023
CTV: Trump says he can end the Russia-Ukraine war in one day. Russia’s UN ambassador says he can’t. 2.7.2024
Gwynne Dyer: Ukraine: ‘We have provoked this war’. 28.6.2024
von:
Über
Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können