Militarisierung deutscher Schulen und Hochschulen schreitet voran

Bayern beschliesst Bundeswehrförderungsgesetz
Veröffentlicht: 8. Aug 2024 - Zuletzt Aktualisiert: 8. Aug 2024

Die Deutschen mögen Boris Pistorius, stellt Helmut Ortner auf den NachDenkSeiten fest. Der Verteidigungsminister ist einer der beliebtesten Politiker der Republik. Sein Tagesbefehl, gültig über den Tag hinaus: «Deutschland muss kriegstüchtig werden». Das kommt anscheinend an im Land. Der Bundeswehr fehlt der Nachwuchs und auch deshalb braucht es eine Bundeswehrreform. Pistorius will daher die vor 13 Jahren ausgesetzte Erfassung von Wehrfähigen wieder aufbauen. Das Modell des Verteidigungsministers: Alle jungen Leute eines Jahrgangs sollen erfasst werden, aber niemand soll gezwungen werden, Wehrdienst zu leisten. Zumindest bis auf weiteres. 

Bayern marschiert nun voran. Bundesweit erstmalig wurde ein Bundeswehrförderungsgesetz beschlossen, das Hochschulen und Schulen zu einer engeren Kooperation mit der Bundeswehr verpflichtet. Es sieht vor, dass von Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen eine «reibungslose Zusammenarbeit» und ein «ungehinderter Zugang der Bundeswehr zu Forschung und Entwicklung an Hochschulen sichergestellt» werden. Wörtlich heißt es im Gesetzestext: «Erzielte Forschungsergebnisse dürfen auch für militärische Zwecke der Bundesrepublik Deutschland oder der NATO-Bündnispartner genutzt werden.» Das Kooperationsgebot von Hochschulen und Bundeswehr wird vorgeschrieben, in Fragen der nationalen Sicherheit sogar eine Kooperationspflicht.

Auch Schulen sind nach dem bayerischen Gesetz betroffen. Sie sollen «im Rahmen der politischen Bildung» und zu «Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik» enger mit «Jugendoffizieren» und «Karriereberatern der Bundeswehr» zusammenarbeiten, auch zur «beruflichen Orientierung über Berufs- und Einsatzmöglichkeiten» bei der Bundeswehr. Bisher konnten Schulen und Lehrkräfte selbst entscheiden, ob sie die Bundeswehr in den Sozialkundeunterricht einbinden, jetzt wird es praktisch zum Zwang. Dies beeinträchtige die Gewissensfreiheit der Schüler, die auf diese Weise einseitig beeinflusst werden, kritisiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern in einer Petition. Sie verweist auf einen bedenklichen Trend: Die Bundeswehr hat in den letzten fünf Jahren bundesweit fast 8.000 Minderjährige rekrutiert und an Waffen ausgebildet (mit Einverständnis der Erziehungsberechtigten) – mit zuletzt steigender Tendenz. Und dies, obwohl der UN-Kinderrechtsauschuss ein Rekrutierungsalter von über 18 Jahren, also Volljährigkeit, fordert, um die weltweite Rekrutierung von Kindersoldaten auszuschließen. 

Ausserhalb des Landtags regt sich spürbarer Protest. Mehr als 1.500 Personen – darunter die Theologin Margot Käßmann, der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler und der ehemalige IG-Metall-Chef Jürgen Peters – unterzeichneten eine Petition gegen das Gesetz. Sie befürchten unter anderem, mit der Umsetzung gehe eine «Militarisierung des Bildungs- und Forschungsbereichs» einher. Das neue Bundeswehrförderungsgesetz greife «unverhältnismässig in die Autonomie der Hochschulen und damit in die Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit ein» und verstosse «gegen die Gewissensfreiheit an Schulen“. Bayerns Ministerpräsident Söder (CSU) hält das Gesetz dagegen für «unbedingt notwendig». Andere Bundesländer werden dieser Linie folgen, prognostiziert Helmut Ortner. 


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