Aus dem Leben eines Peace Watchers

Von Mai bis November 2013 leistete ich meinen Zivildienst als Menschenrechtsbegleiter im Rahmen von Peace Watch Switerzland in Guatemala. Ein Erfahrungsbericht

Peace Watch Switzerland (PWS) ist eine kleine NGO, die seit ihrer Gründung Mitte der 1990er-Jahre bereits über 500 Menschenrechtsbegleiter vorwiegend nach Lateinamerika, aber auch nach Israel/Palästina entsandt hat. In Guatemala werden die PWS-Freiwilligen in ein internationales Begleitprojekt eingebunden, das sich einerseits im Kampf für juristische Gerechtigkeit und gegen die Straflosigkeit, andererseits für Landrechte der indigenen Bevölkerung einsetzt. Beide Themen standen folglich auch im Zentrum meines Einsatzes.



Die Mehrheit meiner Einsatzzeit verbrachte ich in Ixil, der eher kalten Hochlandregion im Nordwesten des Landes. Die Region Ixil war vom 36-jährigen Bürgerkrieg besonders stark betroffen. Insbesondere zu Beginn der 1980er Jahre wurde das Gebiet trauriger Schauplatz des vom guatemaltekischen Militär verübten Genozids, bei welchem mehrere Tausend indigene Leute ihr Leben verloren. Das Militär versuchte der Guerilla den Boden zu entziehen und vermutete den Standort der sozialen Basis der Guerillas in der Region Ixil. Nach dieser Einschätzung wurde die gesamte Bevölkerung Ixils als subversiv betrachtet, wodurch militärische Operationen jeglicher Art gerechtfertigt wurden. Mithilfe rassistisch unterlegter Diskurse wurde das indigene Maya-Volk Ixil zu einem eigenständigen Ziel in der vom Militär verfolgten Politik der „Verbrannten Erde“, mittels welcher das Militär eine gross angelegte Zerstörung der Region anrichtete. So wurde die ethnische Gruppe Ixil zum inneren Feind erklärt, was 1981 zur Schaffung einer eigens auf das Gebiet zugeschnittenen Militäroperation – der „Operation Ixil“ – führte. In der Folge wurde die Ethnie der gleichnamigen Region eine der Hauptzielgruppen des Völkermordes, der neben einer systematischen Ermordung der Bevölkerung gewaltsame Vertreibungen und sexuelle Vergewaltigungen mit sich brachte. Die nach dem Ende des Bürgerkriegs 1996 eingesetzte UN-Wahrheitskommission Comisión para el Esclarecimiento Histórico hält fest, dass knapp die Hälfte der von Militärs und Paramilitärs verübten Gräueltaten in die Herrschaftszeit Montts fiel: Allein in den 16 Monaten unter Montt wurden zwischen 70 und 90% der Dörfer in der Region ausgelöscht – insgesamt um die 400 – und Tausende unschuldige Menschen getötet. Die Kommission kam zum Schluss, dass ein Akt des Völkermords gegen die indigene Maya-Bevölkerung begangen wurden.



Internationale Hilfe notwendig


Es hat Jahre gedauert, bis die Kriegsverbrechen juristisch aufgearbeitet wurden. Die guatemaltekische Justiz tut sich nach wie vor schwer damit, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Da der guatemaltekische Staat den Genozid nach wie vor nicht anerkennt, kämpfen die überlebenden Opfer, unterstützt durch verschiedene nationale und internationale Organisationen, um Anerkennung und Wiedergutmachung. Als Mitarbeiter der regionalen Gruppe Ixil unterstützte ich diesen Prozess, in dem ich verschiedene ZeugInnen, die im Genozid-Prozess aussagten, in ihren oft recht abgelegenen Dörfern besuchte und regelmässig an Sitzungen, Anlässe und Gerichtsprozesse begleitete. Dort ging es einerseits darum, den ZeugInnen moralische Unterstützung anzubieten und andererseits der aktuellen Situation der Menschenrechte vor Ort nachzugehen. Kaum verwunderlich, waren die Erlebnisse der Vergangenheit der von uns besuchten ZeugInnen nicht immer leicht zu verarbeiten und regten zum Nachdenken an.


Neben der Nichtanerkennung des Genozids ist die Unsicherheit ihres besiedelten Landes die andere Besorgnis der Bevölkerung Ixils. Wie andere indigene Völker leben die Ixil in ressourcenreichen Gebieten, was Konflikte um Landrechte und Landnutzung nach sich zieht. Während Jahrhunderten musste die indigene Bevölkerung Guatemalas mehrere einschneidende Kontrollen, Enteignungen und Verstaatlichungen ihrer bewohnten Gebiete über sich ergehen lassen. Die Friedensvereinbarungen 1996 sahen eine territoriale Neuordnung vor, welche es den Mitgliedern der CPR erlauben sollte, in ihre ursprünglichen Dörfer zurückzukehren – der Staat hat jedoch, wie bei anderen Versprechungen, seine Verpflichtungen nicht eingehalten. Stattdessen hat er sich verschiedenen Entwicklungsplänen und Megaprojekten von transnationalen Firmen geöffnet und dadurch eine neue, aber ähnlich effektive Strategie der Landkontrolle verfolgt. Im Rahmen des Friedensprozesses hat die Regierung die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifiziert, welche der indigenen Bevölkerung einen rechtsverbindlichen Schutz und Anspruch auf Grundrechte garantiert. Von der Einhaltung dieser Konvention ist in der Praxis leider sehr wenig zu sehen. Der Staat verteilt bereitwillig Landflächen an transnationale Firmen, welche dem Thema der Rechte der indigenen Bevölkerung mit Gleichgültigkeit begegnen. Insbesondere die Selbstbestimmungsrechte der indigenen Völker werden vom Staat und von privaten Unternehmen mit Füssen getreten. Angesichts der im zentralamerikanischen Vergleich geringen Staatseinnahmen Guatemalas ist es kaum verwunderlich, dass die Interessen von Grossgrundbesitzern priorisiert werden: 90% des bewirtschafteten Landes liegen in privatem Eigentum, ein Grossteil davon gehört der Oligarchie – der Anteil kommunal verwalteter Flächen ist aufgrund dieser einseitigen Besitzverteilung verschwindend klein. Die Division des Landes ist sinnbildlich für die nach wie vor grosse soziale Ungleichheit des zentralamerikanischen Staates.


Der Kampf um Selbstbestimmungsrechte der indigenen Bevölkerung ist daher kein einfaches Unterfangen, sind in diese Konflikte oft sowohl Regierungsbehörden, Polizei und Armee als auch private Unternehmen und ihre Sicherheitsfirmen involviert. Hoffnung geben dabei nicht wenige Erfolgsgeschichten des Widerstandes: Bereits in der Vergangenheit wusste sich die indigene Bevölkerung zu schützen, ihre natürlichen Ressourcen zu verteidigen und so das Wohl der Gemeinschaft zu gewährleisten – es ist zu erwarten, das sie die ihnen zustehenden Rechte auch in Zukunft mit aller Vehemenz durchzusetzen versuchen. Internationaler Hilfe kommt dabei eine zentrale Rolle zu, die Öffentlichkeit auf Menschenrechtsverletzungen zu sensibilisieren. Im Hinblick auf meine eigenen, kleinen Taten weiss ich mich glücklich zu schätzen und empfinde es als rühmlich, dass die Schweiz solche Zivildiensteinsätze anbietet und so die humanitäre Tradition des Landes weiterführt.



Mehr Informationen: www.peacewatch.ch
27. März 2014
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