Der Ruf nach einer umfassenden Bildung – mit praktischen Umsetzungsvorschlägen

Er ist unüberhörbar bei Eltern, Lehrern und pädagogisch Engagierten. Von Seiten der Schüler ist es schon vielmehr ein Not-Ruf. Aufgrund der intellektuellen  Einseitigkeit, des Wettbewerbs und des Tempos «entgleisen» immer mehr Schüler.
Ein sehr grosser Teil von ihnen braucht heute sog. flankierende Massnahmen, um überhaupt irgendwie mithalten zu können. Im herrschenden Schulsystem steht nicht das Gesamtpotenzial  des Kindes im Vordergrund, es ist im Grundduktus ein einseitiges Wettbewerbs- , Konkurrenz- und Erfolgsklima darwinscher Art, in dem der Stärkste, Beste und Klügste der Erfolgreichste   ist. Erinnert uns diese Schulmentalität nicht 1: 1 an unsere auf Macht und Erfolg aufgebautes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem. Im Mittelalter hatten die Kirchen und Klöster das Sagen in der Bildung, danach war es die Wissenschaft, heute gibt die Wirtschaft ganz klar die Spielregeln durch. Wollen wir unsere Kinder wirklich einem solchen System anvertrauen. Wäre es nicht mehr als naheliegend, dass sich Schule und Bildung aus dem Wesen und den Bedürfnissen des Kindes selbst abliest und ableitet. Warum kommen den Kindern ihre immense Begeisterungsfähigkeit, ihr Wissensdurst, ihre Kreativität, ihre natürliche Fähigkeit des Miteinanders  in der Schule oft so rasch abhanden.

Vor kurzem wurden in einem grösseren Kreis aktuelle Gegenwartsfragen, darunter natürlich auch das Thema Bildung besprochen und bewegt. Dort wurden Ideen vorgestellt, wie sie mich selbst schon seit längerer Zeit beschäftigen und wie ich sie als Lehrerin und Therapeutin zum Teil  auch schon umgesetzt habe. Die «Bildung» beginnt in der Natur , im Wald – Kindergarten. Innerhalb der 4 Jahreszeiten «lernen» die 4 -6 jährigen  Kinder in freier Natur, einquartiert in bestehenden oder extra dafür gebauten Wagen, welche die nötige Wärme und Geborgenheit gewährleisten. Natürlich wird übers ganze Jahr der Wald mit seinen Jahreszeiten und Stimmungen, den Steinen, Bächen, Tieren, Pflanzen zum Lern-, Erlebens- und Erfahrungsraum .Wie nebenbei erweitert und vertieft das Kind die Muttersprache, erlernt aber benennend , erforschend , singend und sprechend gleich noch eine zweite Sprache, die es sich auf dieser Altersstufe am allereinfachsten und natürlichsten einverleibt. Daneben ist eine «erweiterte» Sozialkompetenz der Kinder untereinander ein grosses Thema: einander zuhören, Stille erleben, auf die Natur lauschen, im Spiel soziale Spielregeln erfahren, kleine Mutproben bestehen, einen gesunden Selbstwert aufbauen, Nähe und Distanz, verweilen ohne immer etwas tun zu müssen, am Feuer sitzen, erzählen, erforschen, berichten, sammeln , singen, tanzen ,feiern, werken, Hochs und Tiefs erleben und ausdrücken können. Nebst der Natur kommt durch Märchen , Geschichten,  Sprache, Aktuellem die  Kultur und wie gesagt die dritte Säule der Sozialkompetenz zum Tragen in dieser gelebten, erfahrenen Gemeinschaft.
Wie würde wohl eine Gesellschaft aussehen, die von solchen Menschen später inauguriert würde, Menschen, die von Grund auf ihre Kreativität, ihre Fähigkeit des Miteinanders, eine bewusste Achtsamkeit und Pflege der Natur gegenüber leben und kultivieren durften. Es ist müssig zu sagen, dass der spätere Schulunterricht, der dann schwerpunktmässig  in Schulzimmern stattfinden würde auf diesem lebendigen und ganzheitlichen Fundament aufbauen würde , dem nebst der Pflege des Intellektuellen, dem Handwerklich- Technischen und vor allem auch dem Künstlerischen eine gleichwertige grosse  Bedeutung zukäme .Nach  wie vor sind Toleranz, Selbständigkeit und soziales Miteinander wichtigste Elemente des Unterrichts. Auf dem Schulhausgelände stehen weiterhin «Wagen» mit grosszügig überdeckten Espaces, wo die grösseren Schüler im Freien werken, töpfern, Holz und Metall bearbeiten . Schon von der 1. Klasse an wird der Unterricht durch Lehrausgänge zu Handwerkern, Künstlern, Bauern etc. bereichert und belebt. Ein Schulgarten auf dem Gelände oder ausserhalb ermöglicht Erfahrungen im Gärtnern und botanischen Forschen. Projektarbeiten in kleineren Gruppen mit ganz verschiedenen Schwerpunkten finden häufig statt: drinnen und draussen ,mit Schwerpunkt in kreativer, sozialer, handwerklicher, künstlerischer, intellektueller Kompetenz, damit sich der Schüler/die Gruppe selber als Gestalter, als schöpferisch Gestaltende erleben und mit innerem Feuer dabei sind und nicht mit zu viel Wissen von aussen berieselt und vollgestopft  werden. Selbsterschaffenes Wissen löst Engagement und Befriedigung aus. Einseitig  Zum Lernen und Aufnehmen genötigt zu werden «löscht ab».
Mir ist bewusst, dass das meiste davon in einzelnen Privat- und Alternativschulen schon bewährt praktiziert wird, aber unsrer breite Volksschule muss sich in beschriebenem Sinne direkt dem Leben öffnen, ins Leben hinein greifen, eben –eine Schule fürs Leben sein. Auf dieser bewusst umfassend breitgefächerten  Volksschulbasis, die dem Potenzial jedes Kindes gerecht wird, wäre es ein Leichtes, danach auf der OS-Stufe, in einer Berufsmatura oder in einem Studium den Weg der ureigenen Interessen und Begabungen weiter zu verfolgen. Natürlich müsste auch die Lehrerausbildung entsprechend vielseitig und umfassend sein. Die neue Schule ist die neue Gesellschaft von morgen. Wie wäre das , wenn der «ganze Mensch» sich mit seinen Talenten und Fähigkeiten, seinem Potenzial und Engagement schon als Jugendlicher und später als Erwachsener motiviert , aktiv und vielseitig kompetent und von echtem sozialem Interesse beflügelt in die Gesellschaft einbringen würde. Wie könnte da unser «Bruttosozialglück» aussehen und sich anfühlen. Ich meine, es lohnt sich, eine neue Schule und Lehrerausbildung zu erschaffen. Lets go.

10. August 2014
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