Frieden ist möglich

Die Kultur des Dialogs ist einer der Wege dazu. Doris Marti befragt den Mediationsexperten Denis Bitterli

Doris Marti: Ist Frieden unter uns Menschen wirklich möglich oder Ist die Friedensbereitschaft blockiert?

Denis Bitterli: In der heutigen Welt ist die Gewissheit über den Nutzen eines einvernehmlichen Gesprächs leider immer noch zu klein. Obwohl dialogische Modelle reichlich vorhanden sind, haben viele Menschen den Glauben an Gespräche verloren. Immer noch wird zu viel mit Gewalt und militärischen Interventionen geregelt. Dabei fehlt es einzig an fehlenden dialogischen Erfahrungen. Wer erlebt hat, was ein Dialog bewirken kann, wird keine Gewalt mehr ausüben.

Ist Frieden Ihrer Meinung nach also möglich?

Ja, Frieden ist möglich. Voraussetzung ist die Bereitschaft, sich auf ein ehrliches Gespräch einzulassen. Die einzige Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lautet: „Wollen die Menschen aufeinander zugehen?“
Es gibt viele Zeichen, die darauf hindeuten, dass das dialogische Bewusstsein wächst. In den letzten Jahren sind zahlreiche Friedensinstitute in unterschiedlichen Ländern entstanden. Sogar die EU ist im Aufbau eines europäischen Friedensinstitutes. Das lässt hoffen.
Frieden heisst nicht, ohne Konflikte zu leben. Zum Frieden gehört auch der konstruktive Umgang mit Streit. Konflikte können sowohl im familiären wie auch im Gesellschaftlichen, im Politischen und im Wirtschaftlichen eine Chance sein, um neue Werte und Wege zu entdecken.

Was können wir konkret tun?

Jede Bürgerin und jeder Bürger kann dialogische Kompetenzen erlernen und so mithelfen, eine stabile Friedenskultur aufzubauen. Wir sollten davon wegkommen, die Verantwortung für die Miseren in der Welt anderen – den Politikerinnen und Politikern – zuzuschieben. Wir können selber was für den Wandel tun. Mit Petitionen oder Initiativen können wir Richtungswechsel einleiten. Mit einvernehmlicher Kommunikation können wir neue Wirklichkeiten erschaffen – im Kleinen wie auch im Grossen.
Noch ist unser politisches System auf Mehrheitsentscheide aufgebaut. Was würde geschehen, wenn wir Einheitsentscheide anstreben? Eine Politik, die anstelle der Frage „Wer ist dafür?“ die Frage „Was haben wir übersehen?“ stellt, ist am erfolgreichsten. Viele behaupten, dass Konsensdemokratien keine Chance hätten, da viel zu viel diskutiert würde. Die Erfahrung hat mich anderes gelehrt. Sobald nach konsensualen Lösungen gesucht wurde und auch Minderheitsanliegen integriert wurden, konnte sehr viel Zeit gespart werden. Zu Beginn brauchen die politischen Diskurse sicher mehr Arbeitsaufwand. Mittelfristig sind sie aber ein grosser Gewinn, da die Lösung breit abgestützt ist. Die Themen sind vom Tisch.

Mit den 6 dialogischen  Elementen werden erstaunliche Resultate möglich:
1. Bereitschaft zum Gespräch.
Für Dialog braucht es aufmerksame Ohren und respektvolle Lippen. Wenn wir auf den Gesprächspartner eingehen, aufmerksam zuhören und uns auf die unterschiedlichen Weltansichten einlassen, ist Austausch möglich. Wenn wir den Mitmenschen verstehen wollen und davon absehen, ihn von unseren Positionen zu überzeugen, dann schaffen wir die Basis für ein aufrichtiges Gespräch.

2. Fragen nach den wahren Hintergründen der Konflikte stellen.
In einem Dialog kommen alle Themen auf den Tisch. Es gibt keine Tabuthemen. Alles darf besprochen werden. Es ist wichtig, dass die Themen der Gegenpartei akzeptiert und die Meinung der andern Partei anerkannt werden.

3. Anliegen anstatt Meinungen austauschen.
Ein einvernehmliches Gespräch fragt nach den Ansichten. In vielen Diskussionen werden Argumente vorgebracht und Meinungen ausgetauscht. Im Dialog wird nach den Anliegen und den Interessen gefragt. Wenn nach den Motiven geforscht wird, können die Standpunkte in einem neuen Licht gesehen werden. Der Mensch kommt zum Vorschein. Vielfach öffnen Gespräche über Alltagssorgen, über menschliche Nöte und Befindlichkeiten zwischenmenschliche Türen.  Das Verständnis für einander wächst.

4. Lösungsmöglichkeiten entwickeln.
Wenn die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede benannt und offen gelegt sind, können wir nach Wegen suchen, wie die verschiedenen Standpunkte miteinander verbunden werden können. Die Erfahrung zeigte, dass vor allem das Ja zu den Unterschieden, die Grundlage für eine einvernehmliche Lösung schafft. Werden nur die Gemeinsamkeiten gesehen und werden die Verschiedenheiten vermieden, enden Dialoge in der Sackgasse.

5. Selbstverantwortung steht im Zentrum.
Es ist immer besser, sich selber zu fragen, was man für die Verbesserung der Situation betragen kann. Wartet man auf die Zeichen der Gesprächspartner, wartet man meist sehr lange. Mit dem Einbringen von Angeboten, können stockende Gespräche wieder in Gang und den Verhandlungsprozess in Schwung gebracht werden. Dabei ist es immer bedeutsam, den Nutzen aller im Auge zu behalten.

6. Gemeinsame Lösungen suchen.
Dialoge enden immer in einer Win-Win Lösung. Wird die Abmachung von allen als ein Gewinn betrachtet und werden die Vereinbarungen zu 100% mitgetragen, dann ist das Ziel eines einvernehmlichen Gespräches erreicht. Es ist immer wieder schön zu beobachten, wie leicht dies gelingt, wenn sich die Gesprächsteilnehmer in den Gesprächen vom Geiste des Dialoges leiten lassen.
Auch mit „schwierigen Gesprächspartnern“ sind Dialoge möglich. Mit der nötigen Gelassenheit, Geduld und Kreativität lassen sich alle für einvernehmliche Gespräche gewinnen. Dialogische Kenntnisse und Übung sind dazu sicher notwendig.

Was bedeuten die immer wieder zunehmenden  Feindbilder?

Oft entstehen Feindbilder, um die eigene Position zu stärken. Sie sind eine Vereinfachung der Problemlage und werden von Ohnmacht und Unwissen genährt. Sündenböcke werden vielfach dort benannt, wo die Selbstverantwortung abgelehnt wird. Es ist die Verlagerung der eigenen Verantwortung auf andere.
In den Feindbildern begegnen wir unseren Ängsten und unserem Schatten. Es ist wichtig diesen in die Augen zu sehen. In ihnen verbergen sich ungelöste Aufgaben. Wenn wir sie ernstnehmen und angehen, bauen wir  Feindbilder ab und Allparteilichkeit auf. Die Allparteilichkeit ist die dialogische Grundhaltung. In ihr erhalten alle Parteien den gleichen Wert.

Ist das der Weg zum Frieden?

Wenn Dialoge geführt werden, braucht es keine Kriege mehr. Krieg ist Ausdruck übersehener Interessen. Menschen, die in den Krieg ziehen, fühlen sich übergangen. Sie sind im tiefsten Sinne Menschen mit Mangel. Auch andere negative aggressive Auseinandersetzungen weisen auf enttäuschte, übergangene Anliegen hin.
Die gelebte dialogische Kultur macht Kriege überflüssig. Anstatt Kriege zu führen, würden alle an den Verhandlungstisch sitzen und gründlich und achtsam Lösungen erarbeiten. Sie würden gemeinsam die Zukunft für alle schmieden.
Um den Krieg zu überwinden, ist es notwendig genau hinzuschauen. Was spielt sich auf und neben den Schlachtfeldern ab? Welche Interessenkollusionen entfachen die militärischen Kontroversen? Welche Einflüsse kumulieren sich in kriegerischen Auseinandersetzungen? Die globalen Probleme der heutigen Zeit sind multidimensional. Es ist wichtig, alle Aspekte ans Licht zu holen. Nur so können wir dem Säbelrasseln ein Ende setzen.

Hat die Friedenskultur eine Chance?

Natürlich hat die Friedenskultur eine Chance. In uns allen lebt die Sehnsucht nach dem Frieden. Wir alle wissen, wie heilsam einvernehmliche Gespräche sind. Es herrscht allerdings mancherorts die Überzeugung, dass wir dafür kämpfen müssen. Das ist nicht nötig. Es reicht, wenn wir uns mit der Praxis des Dialogs vertraut machen.
Friedenskultur braucht Menschen, die als Vorbilder vorausgehen. Menschen, die befähigt sind, spielerisch mit dem Leben umzugehen und sich selber und die andern würdigen können.

Was brauchen unsere Kinder?

Kinder sind dialogische „Profis“. Sie sind offen und dialogisch begabt. Von Natur aus entdecken sie kreativ die Welt.  Als Lehrer und Schulleiter habe ich anfangs gedacht, dass Friedensarbeit bei den Kindern beginne. Im Klassenzimmer habe ich aber gemerkt, dass sie bei den Erwachsenen anfängt. Viele Lernprobleme und auffällige Verhaltensweisen sind auf systemische Ursachen zurückzuführen. Deshalb begann ich, immer mehr den Blick auf das zu richten, was das ganze System zur Stärkung des Dialogischen braucht. Eltern, die auf die Kinder bezogen eingehen, sie spüren und ernst nehmen, bereiten den Boden zu stärkender Verbundenheit. Sie unterstützen die Kinder darin, zu dialogfähigen Bürgerinnen und Bürger heranzuwachsen.

Das 1x1 des Friedens



Lehrgang mit Denis Marcel Bitterli ion der Aku-Wirkstatt



Daten 
28.2./1.3.2015
6.6./7.6.2015    
29.8./30.8.2015
7.11./8.11.2015
Zeiten    samstags  9.00 – 12.00 / 14.00 – 17.00 Uhr        sonntags   9.00 – 12.00 / 13.00 – 16.00 Uhr
Ort        Franziskushaus, Dulliken
Preis pro Wochenende: Fr. 350.-
Anmeldung    AKU Wirkstatt: [email protected], www.aku-wirkstatt.ch