Pflanzen kommunizieren unter der Erde

Mit Hilfe von Duftstoffen tratschen Pflanzen über und unter der Erde.

Wenn eine Tomatenpflanze von einer Raupe angegriffen wird, beginnt sie sich zu wehren und produziert Toxine. Gleichzeitig setzt sie Duftstoffe frei, die ihre Nachbarinnen warnen, sodass auch diese mit der Abwehr beginnen können. Die Duftstoffe bestehen aus Methyljasmonaten, die auch in Parfums häufig verwendet werden. Während der Studien zum Thema mussten Forscherinnen deshalb auf Chanel No5 verzichten, um die Tomatenpflanzen nicht zu verwirren.

Etwas später produziert die Tomate eine andere Duftstoffmischung, um einen Nützling herbeizulocken. Hochinteressant ist nun, dass die Tomate nicht nur weiss, dass sie verletzt ist, sie merkt auch ganz genau, wer sie verletzt hat. Wird sie von Spinnmilben angegriffen, produziert sie einen Duftstoff, der Raubmilben herbeilockt, bei einem Raupen-Angriff hingegen einen etwas anderen, mit dem sie Schlupfwespen anlockt, welche die Raupen parasitieren.
Woran aber merkt die Tomate, wer sie angreift? Am Speichel. Die Tomate erkennt am Speichel, wer sie gerade angreift, und produziert dann einen Duftstoff, der den richtigen Bodyguard anzieht. Ein grossartiges Kommunikationskunststück!

Alle Pflanzen kommunizieren mit Duftstoffen. Sie warnen sich gegenseitig, senden SOS-Signale aus, locken Nützlinge an, vertreiben Schädlinge und koordinieren ihr Verhalten. Bisher sind über tausend Duftstoffvokabeln bekannt, die aber nicht alle in einer Pflanze vorkommen. Es gibt einen Grundstock von fünf bis zehn Vokabeln, die allen Pflanzen gemein sind. Jede Pflanzenart hat zusätzlich ihren speziellen «Dialekt».

Auch unter dem Boden kommunizieren Pflanzen miteinander. Ein Wald scheint oberirdisch betrachtet aus isolierten Bäumen zu bestehen – Buche, Eiche oder Fichte. Unterirdisch jedoch verbinden sich die Baumwurzeln mit Pilzfäden zu einem riesigen Netz, dem Mykorrhiza-Netz, was auf Griechisch Pilzwurzel heisst. Alle unsere bekannten Pilze – Steinpilze, Pfifferlinge oder Totentrompeten – sind Teil dieses Netzes. In der Wissenschaft wird das unterirdische Netzwerk aus Pflanzenwurzeln und Pilzfäden WWW genannt: das Wood Wide Web.

Die meisten Pflanzen ausserhalb des Waldes bilden ebenfalls unterirdische Mykorrhiza-Netze mit einer etwas anderen Art von Pilzfäden. Ein Team um Andreas Wiemken von der Universität Basel konnte im Laborversuch zeigen, dass eine Hirse- und eine Flachspflanze unterirdisch miteinander Nährstoffe austauschen, falls ihre Wurzeln mit Mykorrhizapilzen verbunden sind – und das, obwohl die beiden Pflanzen nicht miteinander verwandt sind. Neben einer Hirse wuchs die Flachspflanze doppelt so gross – man kann sagen, die Hirse füttert den Flachs. Die Forscher sind überzeugt, dass die Pflanzen in geeigneten Mischkulturen, wie sie früher in der Landwirtschaft gang und gäbe waren, unter dem Boden eine Art dynamischen Marktplatz bilden. Pflanzen mit langen Wurzeln können Wasser ins gemeinsame Netz spenden, andere Stickstoff, Phosphate oder Zuckerverbindungen. Es ist ein ständiges Geben und Nehmen. Pflanzen geben überschüssige Nährstoffe ab und tauschen sie gegen solche ein, die sie gerade benötigen, wie in einem Bazar.

Dabei geht’s nicht immer bloss «friedlich» zu. Die Studentenblume (Tagetes) zum Beispiel scheidet ein Pflanzentoxin durch ihre Wurzeln ins Mykorrhiza-Netz aus und verteilt so das Toxin in ihrer Umgebung. Das hindert benachbarte Pflanzen am Wachsen.
Erste Versuche zeigen, dass Pflanzen über das Netz auch Informationen untereinander austauschen, einander zum Beispiel vor einer kommenden Gefahr warnen. Das Mykorrhizanetz funktioniert auch wie ein unterirdisches Internet der Pflanzengemeinschaften, und dies in noch ungeahntem Ausmass.

Wenn ich im Wald spazieren gehe, ist das ein ständiges Wispern und Murmeln, ein Murmeln von Duftstoffen, die ich nicht verstehe. Und unter meinen Füssen werden ebenfalls Informationen und auch Nährstoffe ausgetauscht – ein höchst dynamisches Geschehen. Diese Erkenntnisse geben mir das starke Gefühl: Ich bin nicht isoliert und die Bäume um mich herum auch nicht, sondern ich bin Teil dieses dynamischen Ganzen, eingebunden in das Gewebe der Natur.    



Buchtipps:
Florianne Koechlin (Hrsg.): Jenseits der Blattränder – eine Annäherung an Pflanzen. Lenos Verlag, 2014. Geb. Lenos Verlag. Fr. 32.–.

Florianne Koechlin: Pflanzen-Palaver. Lenos Verlag, 2009. Vergr.

Die Autorin führt das Blauen-Institut in Münchenstein. www.blauen-institut.ch
Von ihr wurde vor kurzem ein TEDx-Talk aufgeschaltet zum Thema «Tomaten sprechen, Birken lernen – haben Pflanzen Würde?»


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