Ein Jahr ist kein Jahr

Erkenntnisse aus einem Jahr Selbstversorgung

Ein Winterkleid für mein Gemüse? Ja, klar. Ende November friere nicht nur ich, sondern auch mein Gemüse. Ich mulche darum meinen Rettich und Lauch mit Stroh, um sie vor Frost zu schützen. Den übrig gebliebenen Mangold decke ich zusätzlich mit einem Flies zu. Denn so mild wie der letzte Winter wird dieser kaum werden. Diese Arbeit verrichtend weiss ich, dass nun definitiv Off-Season ist – auch hier in Südfrankreich. Zeit also, um mein erstes Selbstversorgerjahr zu überdenken und ein Fazit zu ziehen.


Das Ziel, mich mit Gemüse aus meinem Garten versorgen zu können, habe ich weitgehend erfüllt. Zu Beginn der Saison musste ich zwar noch auf die grosse Vielfalt verzichten, aber ab Juni wurden die Ernten kontinuierlich bunter. Saisonales Gemüse, wie es zurzeit der Chicorée oder der Nüssler sind, habe und hatte ich immer en masse. Hingegen muss ich jetzt leider feststellen, dass ich nicht genügend Lagergemüse wie Kartoffel und Kürbis angebaut habe.


Was mein Stück Land im Speziellen betrifft, bleibt die grosse Herausforderung der Wasserhaushalt, da mir fliessendes Wasser fehlt. Das gesammelte Regenwasser muss ich rigoros einteilen. Doch erst diese Notsituation hat mich nach neuen Kulturtechniken suchen lassen, die ich wohl sonst gar nicht in Betracht gezogen hätte. Wegen der geringen Bewässerung war mein Gemüse dieses Jahr im Vergleich zu anderen kleiner. Dafür umso schmackhafter!

Nach meinem ersten Selbstversorgerjahr kann ich vier Erkenntnisse festhalten:
Erstens: Die gegenseitige Unterstützung und ein grosser Haufen Heinzelmännchen waren unabdingbar. Besonders zu Beginn der Saison habe ich es nur dank Tauschgeschäften mit befreundeten GemüsebäuerInnen geschafft, kein Geld für Gemüse auszugeben und mein Lagergemüse aufzustocken.


Ich bin kein Fan von völliger Selbstversorgung. Im Gegenteil: Mich von Beginn an mit lokalen Akteuren aus der Landwirtschaft und passionierten GärtnerInnen zu verbinden, brachte mir nicht nur vielerlei Unterstützung, sondern auch soziale Verankerung.

Zweitens: Mein Sammlerinstinkt kam auf seine Kosten. Ich finde es schade, die Geschenke von Mutter Natur einfach liegen zu lassen. Durch das Sammeln wilder Kräuter, Pilze, Nüsse und Früchte erleichterte ich mir mein Leben und reduzierte gleichzeitig Lebensmittelausgaben. In Frankreich ist das Recht zur Nachlese sogar im Gesetz festgehalten. Zum Glück, so musste ich nicht im Dunkeln durch die Landschaft schleichen.


Drittens: Es macht Sinn, in gutes Material zu investieren. Ich bin zwar ein grosser Recyling-Freund (mein neuster Fund: eine Badewanne als Wasserreservoir), doch ohne gezielte materielle Investitionen geht es nicht. Denn ohne geeignete Gartenwerkzeuge kein angenehmes Arbeiten, ohne Siebe und Dreschmaschine keine Saatgutgewinnung, ohne Mühle kein Mehl und ohne Trocknungsanlage keine energiearme Konservierung. Mein Tipp: Kostenintensive Werkzeuge und Maschinen, wie beispielsweise eine Mühle, sollten kollektiv angeschafft werden.

Viertens … ist da noch die Geduld! Ein Jahr Selbstversorgung ist nicht ein Jahr – es sind mehrere. Wer Lebensmittelautonomie erlangen will, braucht einen langen Atem. Meine diesen Herbst gepflanzten Erdbeeren zum Beispiel kann ich erst nächstes Jahr essen. Dazu benötige ich eine Engelsgeduld, viel Ausdauer, noch mehr Hartnäckigkeit und insbesondere keine Zweifel an meinem Tun. Ich muss bereit sein, im Jetzt Zeit zu investieren, um erst Jahre später davon zu profitieren.


Das wurde mir deutlich vor Augen geführt, als ich anlässlich des Hügelbeetworkshops zwei dieser Beete gebaut habe. Himmel, war das ein Aufwand! – dafür habe ich eine Basis für mehrere Jahre gelegt.


Sich selbst zu versorgen, bleibt ein anspruchsvolles Ziel. Die Vision der Selbstversorgung ist stark von diversen Faktoren abhängig, und das Gelingen eine tägliche Herausforderung. Richtungsweisend ist, ein Stück Land zur Verfügung zu haben, auf dem man seine Ambitionen über mehrere Jahre pflegen kann. Ich empfehle jedoch, klein anzufangen: Ein wenig Gemüse wächst überall – ob auf dem Balkon, in einem Innenhof oder sonst wo. Man muss es nur wollen. In diesem Sinn, meine lieben LeserInnen, wünsche ich Ihnen ein gutes Gartenjahr 2015!


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Mit der Zeitpunkt-Ausgabe Nr. 135 geht Pascal Mülchis (29) Selbstversorger-Journal zu Ende – nicht aber seine Lust zur Selbstversorgung. Darüber berichtet er weiterhin auf seiner Homepage: pascoum.wordpress.com