So wie jeder Aufstieg auf einen Berg mit einem ersten Schritt beginnt, so sollen die vier kurzen Serienteile «Frieden lernen» sowohl Anstösse sein, als auch Neugier wecken, in Richtung inneren und äusseren Frieden. Teil 1.

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Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschliesst unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommen ihm Zweifel: «Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüsste er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloss weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht's mir wirklich.» – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er «Guten Tag» sagen kann, schreit ihn unser Mann an: «Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!»

Was Paul Watzlawick in seinem Buch «Anleitung zum Unglücklichsein» hier humoristisch beschreibt, kennen wir in abgeschwächter Form wohl alle: Was mit einer sachlichen und harmlosen Überlegung beginnt, wird mit Fantasien aus unserer Lebenserfahrung ergänzt und ausgeschmückt, bis sich der Bezug zur realen Ausgangslage immer mehr verliert. Man redet aneinander vorbei, oftmals ohne überhaupt zu realisieren, dass man es tut.

Zurück bleiben Missverständnisse und schlechte Gefühle, und keiner versteht den Grund der Irritation. Doch der Grundstein für die Störung des inneren und nachfolgenden äusseren Friedens ist damit unabsichtlich und meist unbewusst gelegt. Dabei hängt es von der Frustrationstoleranz eines Menschen ab, wie viele solcher Ministörungen es verträgt, bis gewissermassen der letzte Tropfen das Fass zum Überfliessen bringt und es zur aggressiven Eskalation kommt. So kann eine lange Kette von Ursachen und Wirkungen entstehen, und der Streit ist kaum aufzulösen, wenn man das ursprüngliche Kettenglied, den Verursacher, nicht erkennt.

Watzlawick versteht es, auf oft humorvolle Weise, einen Blick von aussen auf die menschliche Kommunikation zu werfen. Dies hilft uns zu verstehen, wie wir miteinander kommunizieren und dabei achtsamer werden. Hinschauen, wo ein Problem besteht, klar erkennen, was sachlich abläuft, und dies von unseren eigenen Deutungen und Projektionen zu unterscheiden, hilft uns, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen.

Dabei zeigt Watzlawick, dass es «nicht möglich ist, nicht zu kommunizieren». Selbst wenn ein Mensch schweigt, sich nicht äussert, gibt er damit ein Signal an sein Gegenüber ab, das wiederum von diesem interpretiert wird. Dies kann zu Reaktionen führen, die nichts mit der eigentlichen Situation zu tun haben. Wenn nicht verstanden wird, dass Kommunikation nie nur sachlich ist, sondern dass auch gefühlsmässig viel zwischen den Zeilen abläuft, werden wir zu Spielbällen zufälliger Interpretationen.

Wenn wir jedoch hinschauen, Verantwortung übernehmen, versuchen mit unserem Gegenüber zusammen herauszufinden, was alles auch auf der Gefühlsebene abläuft, dann werden wir zu Handelnden und laufen nicht Gefahr, in eine Opferrolle zu kommen. Denn gerade die Opferrolle führt auch zu Aggressionen: Auf Seiten des «Opfers», weil es sich unverstanden und ungerecht behandelt fühlt, auf Seiten des «Täters», weil die leidende Haltung des Opfers zu Schuldgefühlen beim Täter führen kann.

Doch das Erwecken von Schuldgefühlen hat auch immer eine aggressive, erpressende Komponente. Der Beschuldigte fühlt sich schlecht, wegen der oft unausgesprochenen Schuldzuweisungen und weil er ja als «Täter» eigentlich gar kein Recht hat, sauer zu werden. Da diese nicht ausgesprochene Situation nicht greifbar ist, macht sie machtlos und führt zu Sprachlosigkeit. Doch wir alle wissen, wo Worte fehlen, fliegen oft die Fäuste, und schon sind wir im Teufelskreis von Verletzung und Wut.

Dies können wir durch Bewusstwerdung der Zwischentöne und durch einen achtsameren Umgang miteinander entschärfen. Wir dürfen lernen zu Handelnden zu werden, statt passiv Erleidende zu bleiben. Und wunderbarerweise haben wir im Leben nicht nur die Wahl für unser Handeln und Fühlen, sondern wir MÜSSEN sogar wählen. Tun wir es nicht, dann wählt das Leben für uns. Das ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance, wirklich erwachsen und (selbst-)verantwortlich zu werden. Damit wir am Ende den Hammer, den wir uns wünschen, auch tatsächlich bekommen…

 


Ausblick: Im zweiten Teil der Serie wird es um konkrete Techniken einer gewaltfreien und achtsamen Kommunikation gehen.