Apocalypse when?
Es herrscht wieder einmal Endzeitstimmung. Das ist in der Geschichte schon öfter vorgekommen, ein Untergang, wie wir ihn uns heute vorstellen, ist aber offensichtlich nicht eingetreten. Was ist also dran, wenn mehr als die Hälfte der Amerikaner glauben, in der Endzeit zu leben? Und welchen Einfluss auf das kollektive Bewusstsein hat es, wenn so viele Menschen überzeugt sind, das Ende der Tage stehe bevor?
«Der Mythos vom Weltuntergang und anschliessendem neuen Goldenen Zeitalter gehört zu den bedeutendsten Vorstellungsmustern der gesamten Menschheit. Seine Grundlage ist der Wunsch vieler Menschen nach Veränderung der bestehenden, als dekadent und ungerecht empfundenen Verhältnisse und die Sehnsucht nach einem freien sorglosen, friedvollen Leben in der Welt der Fülle und Sicherheit», schreibt der österreiche Sektenspezialist Roman Schweidlenka. Nicht nur viele Sekten und esoterische Splittergruppen, für die Weltuntergangszenarien typisch sind, sondern auch die drei politisch mächtigsten Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam gründen ihre Anziehungskraft massgeblich auf Endzeitvisionen und Erlösungshoffnungen. Victor und Victoria Trimondi schreiben in ihrem anfangs 2006 erschienenen Buch «Krieg der Religionen – Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse» gar von einer «apokalyptischen Matrix», die die drei monotheistischen Weltreligionen durchzieht und ihren fundamentalistischen Vertretern die Legitimation zur Gewaltanwendung gibt. Besonders stark ist diese Fraktion unter den Neokonservativen der USA, aber auch im Judentum und im Islam wird zum Endkampf gerüstet. In den USA sind gemäss einer Umfrage von Time/CNN 59 Prozent davon überzeugt, in der von der Bibel prophezeiten Endzeit zu leben! Wie ein morphogenetisches Feld legen sich die apokalyptischen Vorstellungen über die Wahrnehmung der Menschen und interpretieren alles Passende und Unpassende als Zeichen der nahenden Endzeit.
Viele historische Prophezeiungen seien bis heute wirksam, weil die Menschen nach ihnen handelten, stellt auch Prof. Felicitas Schmieder von der Universität Hagen fest, das sich wissenschaftlich mit der Geschichte der Prophetie befasst. Dabei sei Prophetie immer auch politisch gewesen. Das trifft heute mehr denn je zu. Es sind nicht nur religiöse Gruppen mit oft schwer nachvollziehbaren Vorstellungen, sondern auch Umweltschutzorganisationen, Politiker, Wissenschaftlerinnen, ja sogar Banker, die einen Systemzusammenbruch vorhersagen. Fast jedes zivilisatorische Problem mündet unter dem Einfluss dieser apokalyptischen Matrix und entsprechender statistischer Bearbeitung in ein Untergangs-Szenario, wenn nicht sofort Massnahmen ergriffen werden. Jüngstes Beispiel ist eine im renommierten Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichte Studie, nach der die Leerfischung der Ozeane zu einem Zusammenbruch des marinen Ökosystems mit ungeahnten Folgen führt.
Die meisten der Theorien tragen zwar das Gütesiegel ihrer wissenschaftlichen Absender, aber beweisen lässt sich heute fast alles, auch das Gegenteil. Sogar das CO2 als Verursacher der Klimaerwärmung kann ernsthaft in Frage gestellt werden. Immerhin sind die Kurven des Temperatur-anstiegs in der Atmosphäre und der Aktivität der Sonnenflecken fast deckungsgleich. So gibt es denn nicht wenige Kritiker, die behaupten, die Atomlobby schüre geschickt die Angst vor einem Klimakollaps, um endlich wieder ins Geschäft zu kommen.
Fakten, Meinungen, Interpretationen und Prophezeiungen vermischen sich so zu einem undurchdringlichen Haufen, in dem jede einzelne Informationseinheit gleichzeitig wahr und falsch sein kann. Dabei geht vergessen, dass das Leben auf der Erde in einem labilen systemischen Gleichgewicht steht, das von einer Unzahl von Faktoren beeinflusst wird, unter denen die menschliche Zivilisation – in sich selber ein labiles System – zweifellos die grösste Wirkung ausübt. Wenn es darum geht, die Stabilität des Gesamtsystems zu beurteilen, können wir nicht allein die Fische, das Klima, die Militarisierung oder die Verschuldung betrachten, sondern müssen versuchen, das Ganze im Auge zu behalten. Und da liefert uns der englische Physiker und Zukunftsforscher Peter Russell einen spannenden Einstieg. Während die Differenzierung der Urmaterie in verschiedene Atome und Moleküle noch Milliarden von Jahren beanspruchte, entwickelte sich das Leben vergleichsweise rasch. Noch weniger Zeit brauchte die Entstehung des Menschen, mit dem sich das Tempo der Veränderung erneut potenzierte. Während die Epoche des Mittelalters tausend Jahre dauerte, erleben wir heute, bedingt durch Industrialisierung und Technologisierung viel schnellere kulturelle Umschwünge, sodass jeder Mensch in seinem Leben mindestens einen epochalen Umschwung mitmacht. Der Philosoph Heinrich Rombach prägte dafür den Begriff «Geschichtskontraktion». Für Russell wird die Entwicklung durch die Wissensexplosion des Informationszeitalters noch einmal derart beschleunigt, dass die Kurve in die Vertikale einbiegt, die Entwicklung unendlich schnell wird und sich ein «weisses Loch in der Zeit» aufreisst.
Es spricht tatsächlich einiges dafür, dass die vom Menschen geschaffene Welt von einer beginnenden Kettenreaktion erfasst wird.
Eigentlich ist es vielmehr eine «Netzreaktion» unseres zivilisatorischen Systems, da ein Problem nicht nur ein nächstes berührt wie in einer Kette, sondern eine Vielzahl von anderen verstärken kann. Dazu ein paar Beispiele von besonders gefährdeten Knoten in diesem Netz:
• Wir beginnen mit dem Zins, weil er ein zentraler, überaus mächtiger und für die meisten weitgehend unsichtbarer Motor mit langfristig unkontrollierbarer Sprengkraft ist. Er führt u.a. zum Wachstumszwang, zu einer sich beschleunigenden Umlagerung von Einkommen von denen, die Werte schöpfen (die Arbeitenden) zu denen, die Werte verwalten (den Besitzenden) und zu einer zunehmenden Verschuldung. Die Konsequenz sind sinkender Lebensstandard – die Dritte Welt ist längst kollektiv unter das Existenzminimum gefallen. Im reichen Westen sind immer mehr davon betroffen – ein sozialer Sprengsatz, der sich leicht und fast jederzeit an einem kleinen Funken entzünden kann. Die verschuldeten Staaten müssen machtlos zuschauen und werden letztlich zur Gewalt greifen müssen.
Der Überfluss der reichen Länder führt seinerseits zu einem umweltbelastenden Lebensstil. Die Konsequenzen sind Klimaerwärmung (gefährdet die Ernährung und zerstört den Lebensraum in Küstenregionen), Vergiftung der Umwelt (treibt die Krankheitskosten in die Höhe und reduziert die Belastungsfähigkeit der Menschen ausgerechnet jetzt, wo wir besonders gefordert sind).
• Der Rückgang der Erdölförderung führt zu Verknappung und Verteilkämpfen und zu einer Verlagerung der Energieproduktion in andere Bereiche mit hohem Gefahrenpotenzial: Hunderte von Kohlekraftwerken sind geplant, die die Klimaveränderung weiter beschleunigen. Biotreibstoffe forcieren die Abholzung, fördern die Monokulturen (gefährden die Artenvielfalt und das Gleichgewicht der natürlichen Lebensräume) und entziehen Agrarflächen der Nahrungsmittelproduktion.
• Die Globalisierung führt zu einem gigantischen Tausch von Arbeitsplätzen gegen Billigprodukte. Hauptnutzniesser sind die multinationalen Konzerne, die dort produzieren, wo die Arbeit billig und dort verkaufen, wo sie (noch) teuer ist und die Preise hoch sind. Hauptverlierer sind die souveränen Staaten, die zunehmend an Einfluss verlieren und gleichzeitig mit wachsenden Problemen (Arbeitslosigkeit, Verarmung) konfrontiert sind. Die Globalisierung zerstört, nebenbei erwähnt, auch die Demokratie, wie wir sie bis jetzt kannten, weil die massgeblichen Entscheide ausserhalb des Kompetenzbereichs der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gefällt werden.
Das sind ein paar Problemknoten im eher physischen Bereich des Netzes, das eigentlich unsere Zivilisation tragen sollte. Im sozialen Sektor, von wo die Reparaturimpulse herkommen müssten, sieht es nicht besser aus:
• Auf der einen Seite werden wir über die Werbung mit einer immer grösseren Flut von illusionären Wohlfühl-Botschaften in eine Schein-Sicherheit gelullt, auf der anderen Seite zerstört die unkontrollierte Gewalt in Medien, Internet und Computerspielen die tatsächliche Sicherheit der Menschen. Diese Schizophrenie verstellt uns den Blick auf die Wirklichkeit: auf das Gute im Menschen, aber auch auf die grossen Aufgaben dieser Zeit.
• Die sozialen Netze und die Solidarität unter den Generationen sind durch die Verschuldung der öffentlichen Hand akut bedroht.
• Weil das Überleben von immer mehr Systemkomponenten akut bedroht ist, steigt die Neigung zur Gewaltanwendung, sei es durch einfache Drohung, durch Terror oder durch offenen Krieg.
Am gefährlichsten sind vermutlich die für die meisten Menschen unsichtbaren Problemknoten:
Die Instabilität des internationalen Finanzsystems durch die horrende Verschuldung des Dollars, von dem mittlerweile auch eminente Experten wie Paul Volcker einen Kurszerfall erwarten.
Der religiöse und der politische Fundamentalismus und der wachsende Nationalismus, die man ja nicht bei sich selber, sondern nur bei den anderen wahrnimmt, verhindert den so dringenden Konsens.
Die Krux ist nicht die Dynamik der einzelnen Problembereiche, die isoliert vielleicht noch kontrollierbar wären, sondern die beschleunigende Wirkung, die sie aufeinander ausüben. Jedes Problem, das sich verschärft, verschlimmert die Situation in einem oder mehreren der anderen Bereiche. Die lenkenden Kräfte dieser Welt sind wie ein Jongleur, der gleichzeitig Bälle, Teller, Keulen, Fackeln und Messer in der Luft halten muss. Ständig kommen neue hinzu, und irgendwann ist Schluss.
Einigermassen verlässliche Prognosen sind in dieser Situation nicht möglich. Aber das schwächste Glied in der Kette, bzw. der fragilste Knoten im Netz lässt sich identifizieren: das internationale Finanzwesen. Basis der riesigen Geldmengen, die ständig auf der Suche nach den profitabelsten Anlagen den Globus umkreisen, sind die exorbitanten privaten und öffentlichen Schulden der USA von gegen einer halben Million Dollar pro Haushalt. Diese Schulden werden mit Sicherheit nie zurückbezahlt werden können, und damit sind natürlich auch die Guthaben auf den Gegenkonten akut gefährdet. Das Spiel kann mehr oder weniger jederzeit zu Ende gehen, und die Zeichen häufen sich, dass dieser Zeitpunkt näher rückt. Noch nie haben amerikanische Manager so viele Papiere ihrer eigenen Gesellschaften verkauft, wie in den letzten Monaten – sie vertrauen offenbar nicht einmal mehr ihrem eigenen Tun. Die Londoner Bank N.M. Rothschild, seit Jahrhunderten eine der bestinformierten Institutionen der Branche, ist ganz aus dem Geschäft mit Derivaten ausgestiegen. Sogar Jean-Pierre Roth, Präsident der Schweizerischen Nationalbank warnt: «Die jüngsten Entwicklungen an den Finanzmärkten stimmen nicht beruhigend.» Deutlicher kann sich ein Zentralbanker fast nicht ausdrücken. Eine Naturkatastrophe, soziale Unruhen oder ein Terroranschlag können genügen, die Massenpsychologie der Anleger grossflächig ins Rutschen zu bringen.
Auch wenn sich daraus keine unmittelbaren Handlungsansätze ergeben, lohnt sich ein Blick auf die tiefer liegende Ursache der gegenwärtigen Krise, den Egoismus und die daraus folgende Gier. Mit dem Geld der Superreichen könnten ja die meisten Probleme gelöst oder entschärft werden und es fragt sich schon, was den Damen und Herren auf ihren schon bald platzenden Geldballonen in diesen Zeiten so durch den Kopf geht. Glauben sie womöglich, in ihren Ghettos glücklich überleben zu können, wenn die Welt um sie herum zerbricht? Wäre es nicht auch für sie langfristig sinnvoller, ihre gigantischen Vermögen auf zehn Millionen zu reduzieren und den grossen Rest der Welt zurückzugeben, die sie und ihre Vorfahren und Handlanger ausgebeutet haben? Es bliebe immer noch genug für Ferienhäuser, Yachten und rauschende Partys à discretion.
Es scheint leider vielmehr so, als müsse der Egoismus mit Zwang gebrochen werden, in einem weltumspannenden Ereignis, das uns alle erfasst, denn auch wir spielen unsere Rolle in diesem unseligen Spiel und auch wir verändern uns nur, wenn wir müssen.
Der Entwicklungsschub, der die Welt in einem solchen Moment erfasst, könnte durchaus als «weisses Loch» bezeichnet werden. Wenn das Geld seinen Wert verliert, müssen alle Verträge neu ausgehandelt werden, braucht es eine neue Rechtsordnung – ein Gerechtigkeitsimpuls, wie ihn die Welt noch nie gesehen hat. Wir werden, wenn wir überleben wollen, unseren Egoismus erkennen und überwinden müssen. Das kann in guten Treuen als Offenbarung oder griechisch «Apokalypse» bezeichnet werden. Die ganz grosse Krise trägt in sich die ganz grosse Chance zur Überwindung des Materialismus und zu einer spirituellen Erneuerung, wie sie in vielen alten Schriften vorhergesagt wird. Das ist beileibe kein Grund zur Panik, die Umstände sind auch kein Grund zur Freude, aber ganz sicher ein Grund zur Vorbereitung.
Viele historische Prophezeiungen seien bis heute wirksam, weil die Menschen nach ihnen handelten, stellt auch Prof. Felicitas Schmieder von der Universität Hagen fest, das sich wissenschaftlich mit der Geschichte der Prophetie befasst. Dabei sei Prophetie immer auch politisch gewesen. Das trifft heute mehr denn je zu. Es sind nicht nur religiöse Gruppen mit oft schwer nachvollziehbaren Vorstellungen, sondern auch Umweltschutzorganisationen, Politiker, Wissenschaftlerinnen, ja sogar Banker, die einen Systemzusammenbruch vorhersagen. Fast jedes zivilisatorische Problem mündet unter dem Einfluss dieser apokalyptischen Matrix und entsprechender statistischer Bearbeitung in ein Untergangs-Szenario, wenn nicht sofort Massnahmen ergriffen werden. Jüngstes Beispiel ist eine im renommierten Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichte Studie, nach der die Leerfischung der Ozeane zu einem Zusammenbruch des marinen Ökosystems mit ungeahnten Folgen führt.
Die meisten der Theorien tragen zwar das Gütesiegel ihrer wissenschaftlichen Absender, aber beweisen lässt sich heute fast alles, auch das Gegenteil. Sogar das CO2 als Verursacher der Klimaerwärmung kann ernsthaft in Frage gestellt werden. Immerhin sind die Kurven des Temperatur-anstiegs in der Atmosphäre und der Aktivität der Sonnenflecken fast deckungsgleich. So gibt es denn nicht wenige Kritiker, die behaupten, die Atomlobby schüre geschickt die Angst vor einem Klimakollaps, um endlich wieder ins Geschäft zu kommen.
Fakten, Meinungen, Interpretationen und Prophezeiungen vermischen sich so zu einem undurchdringlichen Haufen, in dem jede einzelne Informationseinheit gleichzeitig wahr und falsch sein kann. Dabei geht vergessen, dass das Leben auf der Erde in einem labilen systemischen Gleichgewicht steht, das von einer Unzahl von Faktoren beeinflusst wird, unter denen die menschliche Zivilisation – in sich selber ein labiles System – zweifellos die grösste Wirkung ausübt. Wenn es darum geht, die Stabilität des Gesamtsystems zu beurteilen, können wir nicht allein die Fische, das Klima, die Militarisierung oder die Verschuldung betrachten, sondern müssen versuchen, das Ganze im Auge zu behalten. Und da liefert uns der englische Physiker und Zukunftsforscher Peter Russell einen spannenden Einstieg. Während die Differenzierung der Urmaterie in verschiedene Atome und Moleküle noch Milliarden von Jahren beanspruchte, entwickelte sich das Leben vergleichsweise rasch. Noch weniger Zeit brauchte die Entstehung des Menschen, mit dem sich das Tempo der Veränderung erneut potenzierte. Während die Epoche des Mittelalters tausend Jahre dauerte, erleben wir heute, bedingt durch Industrialisierung und Technologisierung viel schnellere kulturelle Umschwünge, sodass jeder Mensch in seinem Leben mindestens einen epochalen Umschwung mitmacht. Der Philosoph Heinrich Rombach prägte dafür den Begriff «Geschichtskontraktion». Für Russell wird die Entwicklung durch die Wissensexplosion des Informationszeitalters noch einmal derart beschleunigt, dass die Kurve in die Vertikale einbiegt, die Entwicklung unendlich schnell wird und sich ein «weisses Loch in der Zeit» aufreisst.
Es spricht tatsächlich einiges dafür, dass die vom Menschen geschaffene Welt von einer beginnenden Kettenreaktion erfasst wird.
Eigentlich ist es vielmehr eine «Netzreaktion» unseres zivilisatorischen Systems, da ein Problem nicht nur ein nächstes berührt wie in einer Kette, sondern eine Vielzahl von anderen verstärken kann. Dazu ein paar Beispiele von besonders gefährdeten Knoten in diesem Netz:
• Wir beginnen mit dem Zins, weil er ein zentraler, überaus mächtiger und für die meisten weitgehend unsichtbarer Motor mit langfristig unkontrollierbarer Sprengkraft ist. Er führt u.a. zum Wachstumszwang, zu einer sich beschleunigenden Umlagerung von Einkommen von denen, die Werte schöpfen (die Arbeitenden) zu denen, die Werte verwalten (den Besitzenden) und zu einer zunehmenden Verschuldung. Die Konsequenz sind sinkender Lebensstandard – die Dritte Welt ist längst kollektiv unter das Existenzminimum gefallen. Im reichen Westen sind immer mehr davon betroffen – ein sozialer Sprengsatz, der sich leicht und fast jederzeit an einem kleinen Funken entzünden kann. Die verschuldeten Staaten müssen machtlos zuschauen und werden letztlich zur Gewalt greifen müssen.
Der Überfluss der reichen Länder führt seinerseits zu einem umweltbelastenden Lebensstil. Die Konsequenzen sind Klimaerwärmung (gefährdet die Ernährung und zerstört den Lebensraum in Küstenregionen), Vergiftung der Umwelt (treibt die Krankheitskosten in die Höhe und reduziert die Belastungsfähigkeit der Menschen ausgerechnet jetzt, wo wir besonders gefordert sind).
• Der Rückgang der Erdölförderung führt zu Verknappung und Verteilkämpfen und zu einer Verlagerung der Energieproduktion in andere Bereiche mit hohem Gefahrenpotenzial: Hunderte von Kohlekraftwerken sind geplant, die die Klimaveränderung weiter beschleunigen. Biotreibstoffe forcieren die Abholzung, fördern die Monokulturen (gefährden die Artenvielfalt und das Gleichgewicht der natürlichen Lebensräume) und entziehen Agrarflächen der Nahrungsmittelproduktion.
• Die Globalisierung führt zu einem gigantischen Tausch von Arbeitsplätzen gegen Billigprodukte. Hauptnutzniesser sind die multinationalen Konzerne, die dort produzieren, wo die Arbeit billig und dort verkaufen, wo sie (noch) teuer ist und die Preise hoch sind. Hauptverlierer sind die souveränen Staaten, die zunehmend an Einfluss verlieren und gleichzeitig mit wachsenden Problemen (Arbeitslosigkeit, Verarmung) konfrontiert sind. Die Globalisierung zerstört, nebenbei erwähnt, auch die Demokratie, wie wir sie bis jetzt kannten, weil die massgeblichen Entscheide ausserhalb des Kompetenzbereichs der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gefällt werden.
Das sind ein paar Problemknoten im eher physischen Bereich des Netzes, das eigentlich unsere Zivilisation tragen sollte. Im sozialen Sektor, von wo die Reparaturimpulse herkommen müssten, sieht es nicht besser aus:
• Auf der einen Seite werden wir über die Werbung mit einer immer grösseren Flut von illusionären Wohlfühl-Botschaften in eine Schein-Sicherheit gelullt, auf der anderen Seite zerstört die unkontrollierte Gewalt in Medien, Internet und Computerspielen die tatsächliche Sicherheit der Menschen. Diese Schizophrenie verstellt uns den Blick auf die Wirklichkeit: auf das Gute im Menschen, aber auch auf die grossen Aufgaben dieser Zeit.
• Die sozialen Netze und die Solidarität unter den Generationen sind durch die Verschuldung der öffentlichen Hand akut bedroht.
• Weil das Überleben von immer mehr Systemkomponenten akut bedroht ist, steigt die Neigung zur Gewaltanwendung, sei es durch einfache Drohung, durch Terror oder durch offenen Krieg.
Am gefährlichsten sind vermutlich die für die meisten Menschen unsichtbaren Problemknoten:
Die Instabilität des internationalen Finanzsystems durch die horrende Verschuldung des Dollars, von dem mittlerweile auch eminente Experten wie Paul Volcker einen Kurszerfall erwarten.
Der religiöse und der politische Fundamentalismus und der wachsende Nationalismus, die man ja nicht bei sich selber, sondern nur bei den anderen wahrnimmt, verhindert den so dringenden Konsens.
Die Krux ist nicht die Dynamik der einzelnen Problembereiche, die isoliert vielleicht noch kontrollierbar wären, sondern die beschleunigende Wirkung, die sie aufeinander ausüben. Jedes Problem, das sich verschärft, verschlimmert die Situation in einem oder mehreren der anderen Bereiche. Die lenkenden Kräfte dieser Welt sind wie ein Jongleur, der gleichzeitig Bälle, Teller, Keulen, Fackeln und Messer in der Luft halten muss. Ständig kommen neue hinzu, und irgendwann ist Schluss.
Einigermassen verlässliche Prognosen sind in dieser Situation nicht möglich. Aber das schwächste Glied in der Kette, bzw. der fragilste Knoten im Netz lässt sich identifizieren: das internationale Finanzwesen. Basis der riesigen Geldmengen, die ständig auf der Suche nach den profitabelsten Anlagen den Globus umkreisen, sind die exorbitanten privaten und öffentlichen Schulden der USA von gegen einer halben Million Dollar pro Haushalt. Diese Schulden werden mit Sicherheit nie zurückbezahlt werden können, und damit sind natürlich auch die Guthaben auf den Gegenkonten akut gefährdet. Das Spiel kann mehr oder weniger jederzeit zu Ende gehen, und die Zeichen häufen sich, dass dieser Zeitpunkt näher rückt. Noch nie haben amerikanische Manager so viele Papiere ihrer eigenen Gesellschaften verkauft, wie in den letzten Monaten – sie vertrauen offenbar nicht einmal mehr ihrem eigenen Tun. Die Londoner Bank N.M. Rothschild, seit Jahrhunderten eine der bestinformierten Institutionen der Branche, ist ganz aus dem Geschäft mit Derivaten ausgestiegen. Sogar Jean-Pierre Roth, Präsident der Schweizerischen Nationalbank warnt: «Die jüngsten Entwicklungen an den Finanzmärkten stimmen nicht beruhigend.» Deutlicher kann sich ein Zentralbanker fast nicht ausdrücken. Eine Naturkatastrophe, soziale Unruhen oder ein Terroranschlag können genügen, die Massenpsychologie der Anleger grossflächig ins Rutschen zu bringen.
Auch wenn sich daraus keine unmittelbaren Handlungsansätze ergeben, lohnt sich ein Blick auf die tiefer liegende Ursache der gegenwärtigen Krise, den Egoismus und die daraus folgende Gier. Mit dem Geld der Superreichen könnten ja die meisten Probleme gelöst oder entschärft werden und es fragt sich schon, was den Damen und Herren auf ihren schon bald platzenden Geldballonen in diesen Zeiten so durch den Kopf geht. Glauben sie womöglich, in ihren Ghettos glücklich überleben zu können, wenn die Welt um sie herum zerbricht? Wäre es nicht auch für sie langfristig sinnvoller, ihre gigantischen Vermögen auf zehn Millionen zu reduzieren und den grossen Rest der Welt zurückzugeben, die sie und ihre Vorfahren und Handlanger ausgebeutet haben? Es bliebe immer noch genug für Ferienhäuser, Yachten und rauschende Partys à discretion.
Es scheint leider vielmehr so, als müsse der Egoismus mit Zwang gebrochen werden, in einem weltumspannenden Ereignis, das uns alle erfasst, denn auch wir spielen unsere Rolle in diesem unseligen Spiel und auch wir verändern uns nur, wenn wir müssen.
Der Entwicklungsschub, der die Welt in einem solchen Moment erfasst, könnte durchaus als «weisses Loch» bezeichnet werden. Wenn das Geld seinen Wert verliert, müssen alle Verträge neu ausgehandelt werden, braucht es eine neue Rechtsordnung – ein Gerechtigkeitsimpuls, wie ihn die Welt noch nie gesehen hat. Wir werden, wenn wir überleben wollen, unseren Egoismus erkennen und überwinden müssen. Das kann in guten Treuen als Offenbarung oder griechisch «Apokalypse» bezeichnet werden. Die ganz grosse Krise trägt in sich die ganz grosse Chance zur Überwindung des Materialismus und zu einer spirituellen Erneuerung, wie sie in vielen alten Schriften vorhergesagt wird. Das ist beileibe kein Grund zur Panik, die Umstände sind auch kein Grund zur Freude, aber ganz sicher ein Grund zur Vorbereitung.
01. Januar 2007
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