Kissingers Warnung kommt zur rechten Zeit
Der drohende Krieg mit Russland und China sei zum Teil vom Westen selbst verursacht worden, sagt der 99-jährige Geopolitiker. Er empfiehlt Optionen der Entspannung.
Der ehemalige US-Aussenminister Henry Kissinger hat mit seinen 99 Jahren schon viele Krisen erlebt. Doch zu den aktuellen strategischen Spannungen sagte er: «Wir stehen am Rande eines Krieges mit Russland und China um Dinge, die wir zum Teil selbst verursacht haben, ohne eine Vorstellung zu haben, wie das enden wird oder wohin es führen soll.» Die Warnung erschien in einem Interview mit dem Wall Street Journal am 12.8. Das WSJ merkt an: «
Kissinger sieht in der Diplomatie einen Balanceakt zwischen Grossmächten, der von der Möglichkeit einer nuklearen Katastrophe überschattet wird. Das apokalyptische Potential der modernen Waffentechnologie macht seiner Ansicht nach die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts zwischen feindlichen Mächten, wie unangenehm es auch sein mag, zu einem vorrangigen Gebot der internationalen Beziehungen.»
Wenn Kissinger warnt, dass wir uns am Rande des nuklearen Armageddon befinden, ist das ernstzunehmen. Aber man sollte auch betonen, dass seine Auffassung vom «Gleichgewicht der Kräfte» – d.h. die Geopolitik des Empire – die Welt erst an diesen Krisenpunkt gebracht hat. Er fuhr fort, es sei unwahrscheinlich, dass der Westen Russland und China gegeneinander ausspielen könne, deshalb sei das einzige, was der Westen tun kann, «die Spannungen nicht forcieren und Optionen schaffen, aber dafür braucht man ein Ziel».
Dennoch verschärfen Washington und die meisten europäischen Regierungen die Spannungen weiter, insbesondere um die Ukraine und Taiwan. Sie beteiligen sich faktisch am Krieg gegen Moskau und führen einen Wirtschaftskrieg, der ihren eigenen Volkswirtschaften viel mehr schadet als der Russlands. Nun mehren sich in den USA und Europa die Rufe nach wirtschaftlicher Abkopplung von China, was noch viel verheerendere Folgen hätte.
Ein Beispiel: Fünf grosse chinesische Staatsunternehmen haben entschieden, ihre Aktien von der New Yorker Börse zu nehmen, der Grund sind die strengen Auflagen aus Washington. Wenn alle anderen chinesischen Unternehmen das Gleiche tun, wäre das ein Verlust von mehr als 1 Bio.Dollar an Aktienwerten.
Und ein anderes Beispiel aus Deutschland: Ökonomen des Münchener Instituts für Wirtschaftsforschung (IfO) haben berechnet, welche Folgen eine Abkopplung der EU und Deutschlands von China hätte. Demnach würde Deutschland etwa 10 Prozent seiner Wirtschaftskraft verlieren, wenn die Produktion, die derzeit in China stattfindet, nach Hause zurückgeholt würde. Bei Verlagerung der Produktion in andere EU-Länder, die Türkei und Nordafrika läge der Verlust um 4,2 Prozent. Wenig überraschend wäre der Automobilsektor am stärksten betroffen, gefolgt von anderen Schwerindustrien.
Diese Zahlen sind noch zu niedrig angesetzt, weil sie Folgeeffekte solch drastischer Veränderungen nicht berücksichtigen. Dennoch plädieren die Autoren der Studie für einen Abbau der Abhängigkeit von China (und Russland). Es ist sicherlich eine Illusion, zu glauben, dass die USA, deren Wirtschaft noch schlechter dasteht als die europäische, das ersetzen könnten, was heute von China geliefert wird, auch wenn die Autoren dies vorschlagen…
__________
Der Text stammt mit Zustimmung des Verlags aus dem (kostenpflichtigen) Newsletter des Schiller-Instituts.
von:
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können