«Tiere haben keine Ahnung von Freiheit oder Gefangenschaft»
Für viele Tierschützer ist es ein moralisches Unrecht, Tiere einzusperren. Stimmt nicht, denn mit Konzepten wie «Gefangenschaft» oder «Freiheit» können Tiere gar nichts anfangen, sagt Bernd Schildger, der Direktor des Berner Tierparks Dählhölzli, im Gespräch mit Klaus Petrus
Klaus Petrus: Kritiker bezeichnen Zoos als Gefängnisse. Sind Sie der Gefängnisdirektor des Berner Dählhölzli?
Bernd Schildger: Damit kann ich nichts anfangen. Und zwar schlicht deshalb, weil Tiere mit Konstrukten wie «frei» oder «gefangen» nichts anfangen können.
Wie meinen Sie das?
Nehmen wir das Beispiel des Hasen, der im Maul des Wolfes gefangen ist. Empfindet der Hase dies als Verlust seiner Freiheit? Nein, denn Konzepte wie «Gefangenschaft» oder «Freiheit» haben für ihn keinen realen Wert. Bedeutsam ist dagegen der Tod. Deshalb hat der Hase im Verlaufe der Evolution gelernt, gewisse Fluchttaktiken zu entwickeln, und der Wolf hat sich im Gegenzug bestimmte Jagdstrategien zurechtgelegt. Das ist, biologisch gesehen, alles.
Nun ist der Hase im Maul eines Wolfes aber nicht gerade typisch, wenn wir von Tieren in Gefangenschaft reden. Nehmen wir die Mastkaninchen, eingesperrt in enge Käfige. Würden Sie auch in diesem Fall sagen, es spiele für das Tier keine Rolle, ob es gefangen gehalten wird?
Ja, das würde ich sagen. Noch einmal: Es geht mir darum, dass «Gefangenschaft» oder «Freiheit» menschliche Konzepte sind. Wir übertragen sie auf Tiere, ohne uns über deren Bedürfnisse Gedanken zu machen. Das finde ich falsch.
Aber Sie werden wohl nicht bestreiten wollen, dass Mastkaninchen in ihrem natürlichen Verhalten massiv beeinträchtigt werden.
Selbstverständlich nicht. Sie können unter solchen Haltungsbedingungen fast nichts tun, das sie eigentlich tun würden oder möchten. Und selbstverständlich leiden sie darunter, dass ihr Verhaltensrepertoire derart stark eingeschränkt wird.
Wieso können Tiere mit «Freiheit» oder «Gefangenschaft» nichts anfangen?
Weil sie dazu kognitiv nicht in der Lage sind. Biologisch gesehen haben solche Konzepte für sie einfach keinen Nutzen.
Man könnte einwenden: Auch Säuglinge oder Demente sind dazu nicht fähig, und doch sperren wir sie nicht ein oder berauben sie ihrer Freiheit.
Das ist etwas Anderes, denn sie gehören zur Spezies Mensch.
Damit bevorzugen Sie Lebewesen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Spezies. Viele sind der Meinung, dieser Speziesismus sei eine ungerechtfertigte Form der Diskriminierung. Sind Sie ein Speziesist?
Ja, ich bin Speziesist, und ich habe kein Problem damit. Wir sind die einzige Spezies, die aufgrund ihrer geistigen Fähigkeiten in der Lage ist, die ganze Verantwortung für diesen Erdball zu übernehmen – und die das gefälligst auch tun sollte. Würden wir die Tiere auf unsere Stufe heben und ihnen zum Beispiel ein Recht auf Leben oder Freiheit einräumen, so hätte das fatale Folgen.
Die da wären?
Ganz einfach: Stünden Tiere auf derselben Stufe wie wir, so hätten sie auch dieselbe Verantwortung wie wir. Aber dann müssten wir uns auch gar nicht mehr um sie kümmern, wir würden unsere Verantwortung für sie abgeben. Stattdessen sollten wir uns lieber fragen, welches die biologischen Bedürfnisse der Tiere sind. Denn diese Bedürfnisse sind der einzige Gradmesser unserer moralischen Verantwortung gegenüber den Tieren. Wenn wir nicht wissen, was Tiere wirklich benötigen, wie können wir dann urteilen, ob unser Umgang mit ihnen moralisch gerechtfertigt ist?
Wie kann man dieser Flucht vor der Verantwortung entgegenwirken?
Wir müssen die Tiere wieder in unser emotionales Bewusstsein holen. Das können wir aber nur, wenn wir eine Nähe zu ihnen aufbauen und so ein Gefühl für die komplexen Lebenswelten der Tiere bekommen. Genau darin besteht die Aufgabe der Zoos: Sie sollen den Besuchern und Besucherinnen die Möglichkeit bieten, die Tiere selbst wahrzunehmen. Allerdings gibt es in unserer Gesellschaft die gegenläufige Tendenz.
Woran denken Sie?
Zum Beispiel an die Massentierhaltung. Die Tiere werden weggesperrt, stattdessen präsentiert uns die Werbung eine heile Welt mit glücklichen Hühnern, grünen Wiesen, blauem Himmel und güldener Sonne. Mit der Realität hat dies nichts mehr zu tun, im Gegenteil, das sind alles Mittel, um eine maximale Distanz zum Tier herzustellen. Kein Wunder, dass die Kinder heute meinen, die Chicken Nuggets würden, plakativ gesagt, auf Bäumen wachsen. Diese Tendenz halte ich für fatal, denn: Wenn es dem Menschen gelingt, die Nähe zu den Tieren zu zerstören, kann er mit ihnen machen, was er will.
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