Hunger nach Kohle

Steht die Schweiz hinter dem weltweiten Ausstieg? fragt Patrik Berlinger
Veröffentlicht: 31. Mar 2023 - Zuletzt Aktualisiert: 31. Mar 2023

Kohle bleibt begehrt, teilt die Organisation Helvetas in ihrem Newsletter mit. Vor allem ärmere Länder setzten auf den günstigen Energieträger. Für die Schweizer Energieversorgung sei Kohle nicht relevant. Doch im internationalen Handel mit dem CO2-intensiven Rohstoff sei die Schweiz ein Schwergewicht. Beim gerechten Übergang hin zu einer emissionsfreien Energieversorgung weltweit komme darum der Schweiz eine besondere Rolle zu.

Im Beitrag heisst es weiter: «2021 wurde an der UNO-Klimakonferenz in Glasgow der weltweite Ausstieg aus der Kohle beschlossen. Der Entscheid wurde ein Jahr später in Sharm el-Sheikh bestärkt; die Schlusserklärung hält fest, dass die Länder ihre Kohleaktivitäten zurück- und Subventionen in die Kohleindustrie herunterfahren sollen. Doch in Wirklichkeit passiert gerade das Gegenteil. Fakt ist: Die weltweiten Subventionen für den Verbrauch von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas haben sich laut der Internationalen Energieagentur (IEA) 2022 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt – auf ein neues Allzeithoch von 1'100 Milliarden US-Dollar. Ausschlaggebend dafür ist der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. 

Westliche Länder haben den Bezug von Öl und Gas aus Russland heruntergefahren. Das Ziel ist, der russischen Regierung die Einnahmen zu entziehen, die zur Finanzierung des Kriegs benötigt werden. Weil man die erneuerbare Energiewende zu wenig konsequent vorangetrieben hat, sehen sich europäische Länder nun gezwungen, innert kürzester Zeit Hafen-Terminals zu bauen, um die entstehende Lücke mit teurem Flüssiggas (LNG) aus Ländern wie den USA, Algerien, Angola, Nigeria und Katar zu füllen. Gleichzeitig nehmen einige Länder Europas ihre Kohlekraftwerke wieder in Betrieb oder verlängern deren Laufzeit um ein paar Monate oder Jahre. Um die steigenden Energiekosten für die Menschen und die Wirtschaft abzumildern, subventionieren die Regierungen fossile Energien oder deckeln deren Marktpreise. 

Während Europa aus geopolitischen Motiven auf russische Ölimporte verzichtet, findet Putins Regime Käufer in anderen Weltregionen. Vor allem Länder wie China, Indien, Indonesien, Brasilien, Südafrika, Pakistan und Sri Lanka beziehen vermehrt günstiges Öl aus Russland. Gleichzeitig setzen viele Entwicklungs- und Schwellenländer stark auf Kohle, um ihren schnell wachsenden Hunger nach billiger Energie zu stillen. Die Nachfrage nach Kohle ist verheerend für das globale Klima. Denn Kohle ist mit einem Anteil von rund 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen der klimaschädlichste fossile Energieträger.  

Laut Global Energy Monitor werden weltweit mehr neue Kohlekraftwerke ans Netz genommen als alte abgeschaltet. Gegenwärtig laufen 2400 Kohlekraftwerke in 79 Ländern. Laut IEA erreichte der Verbrauch von klimaschädlicher Kohle im Jahr 2022 einen neuen Höchstwert. Gerade in Entwicklungsländern hat der Kohleverbrauch in den vergangenen zwanzig Jahren stark zugenommen. Am stärksten abhängig von Kohle sind die ärmsten Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen. In diesen Ländern deckt sie fast die Hälfte des gesamten Energiebedarfs ab.» 

«Auch wenn für ihre Energieversorgung Kohle nicht relevant ist, dominieren beim schweizerischen Energieverbrauch nach wie vor die nicht-erneuerbaren Energien mit einem Anteil von über zwei Dritteln. (...) Dennoch spielt Kohle für die Schweiz eine herausragende Rolle. Denn die Schweiz ist im internationalen Kohlehandel ein globales Schwergewicht. Laut der Organisation Public Eye werden rund 40 Prozent des internationalen Kohlehandels über die Schweiz abgewickelt. Gemäss Einträgen im Handelsregister sind 245 Firmen im Handel und in der Förderung von Kohle tätig. Sie befinden sich im «helvetischen Kohledreieck» Zug – Genf – Lugano. Es sind Schweizer Unternehmen, internationale Holdings, Handelszweige und Briefkastenfirmen. Darunter auch die wichtigsten Kohleförderer Russlands. Während Besitzstrukturen und Steuerverhältnisse intransparent sind, fehlt eine Aufsichtsbehörde, welche Sorgfaltspflichten der Rohstofffirmen in den Bereichen Menschenrechte, Umwelt oder Geldwäscherei überwachen könnte.»