Wasser als Waffe

Menschen haben Wasser immer wieder als Kriegsmittel eingesetzt. Länder halten sich nicht an das Völkerrecht – und ignorieren alle ethischen Grenzen, indem sie Wasser als Waffe benutzen. (Ein Beitrag aus dem neuem Zeitpunkt.) #wasserspezial

Moses
Auch die Bibel berichtet schon von Wasser als Waffe: Hier lässt Moses seine Feinde ertrinken. (KI-generiert, Pixabay)

Der mittlerweile auch vor den Weltgerichtshof gebrachte Völkermord in Gaza durch Israel begann nicht mit Panzern und Geschossen, sondern mit einer Blockade. Noch im Oktober vergangenen Jahres riegelte die israelische Armee den Gaza-Streifen komplett von der Aussenwelt ab – und kappte auf diese Weise die Wasserversorgung von rund zwei Millionen Menschen. Die Wasserknappheit entwickelte sich innerhalb weniger Wochen zu einem riesigen Problem und verschärfte die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen, wie Saeb Laqan Khan von der Wasserabteilung in Yunis den wenigen interessierten westlichen Medien erklärte: «Die Bewohner des Gazastreifens stehen vor einer humanitären Katastrophe mit sehr schlimmen Folgen, weil die Wasserversorgung nicht gewährleistet ist. Es gibt kein Wasser, das in die Leitungen gepumpt werden kann, weder über Brunnen noch über die Verteilung».

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Lediglich 300 Milliliter pro Tag und Kopf standen damals der Bevölkerung noch zur Verfügung – zwischen zwei und drei Litern gelten in südlichen Ländern als lebenserhaltende Menge.

Trinkwasser ist ein lebenswichtiges Gut, laut der UNO ein Menschenrecht, das für alle Menschen zugänglich sein sollte. Im aktuellen Krieg Israels gegen die Palästinenser ist Wasser womöglich eine mächtigere Waffe als Stahl und Blei. Dass die israelische Regierung ihren Angriff mit der Kappung der Wasserversorgung startete, mag aufgeklärt Denkende im Jahr 2024 schockieren. Neu ist diese menschenverachtende Strategie allerdings nicht.

Wasser zur Kontrolle, Unterdrückung oder Zerstörung von Menschen und Ländern kam in der Vergangenheit unzählige Male zum Einsatz. Die Strategie von Wasser als Kriegsmittel gegen Menschen zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Menschheitsgeschichte:

Die Assyrer, die im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. ein mächtiges Reich im Nahen Osten errichteten, nutzten Wasser, um ihre Feinde zu belagern, zu schwächen oder zu ertränken. Sie bauten Dämme, Kanäle und Tunnel, um Flussläufe zu verändern oder die Wasserzufuhr ganz zu kappen.

Die Mongolen, die im 13. Jahrhundert weite Teile Asiens und Europas eroberten, verwendeten Wasser als Waffe der Massenvernichtung. Sie zerstörten die Bewässerungssysteme ihrer Gegner, um Hungersnöte und Seuchen auszulösen. Sie öffneten auch die Schleusen von Staudämmen, um ganze Städte zu überfluten.

Die Nazis, die im Zweiten Weltkrieg versuchten, Europa und die Welt zu beherrschen, setzten Wasser als Mittel der Vernichtung und des Völkermords ein. Sie zerstörten die Wasserversorgung von Ghettos und Konzentrationslagern, um die Insassen verdursten oder krank werden zu lassen. Zudem vergifteten sie Brunnen und Flüsse, um die Zivilbevölkerung auszurotten.

Die USA, die im Vietnamkrieg gegen den kommunistischen Norden des Landes kämpften, führten eine massive Operation zur Zerstörung der Reisernte durch. Sie sprühten Herbizide wie Agent Orange über Dschungel und Felder aus und töteten damit Pflanzen ab und verseuchten das Wasser. Sie bombardierten auch Dämme und Kanäle, um Überschwemmungen und Dürren zu verursachen.

Der Sudan, der seit den 1980er Jahren von einem Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden heimgesucht wird, nutzte Wasser als Instrument der Unterdrückung und des Völkermords. Die Regierung im Norden kontrollierte den Nil und seine Nebenflüsse und verweigerte dem Süden den Zugang zu Wasser.

Allein der Blick auf solche Beispiele lässt erschaudern. Doch Menschen durch Wasserentzug zu töten birgt noch einen weiteren Aspekt: Es demoralisiert die Betroffenen, raubt ihnen jegliche Widerstandskraft und lässt sie, im Falle des Verdurstens, elendig im Zeitlupentempo sterben.

Verdursten ist ein qualvoller Tod. Die Symptome kommen zunächst schleichend daher und sind unter anderem trockener Mund, Schwäche, Schwindel, Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Halluzinationen und Krämpfe. Was dann folgt, ist der Kollaps des gesamten Organismus: Der Blutdruck sinkt, die Herzfrequenz steigt und die Nieren versagen. Bis zum Schluss versucht der Körper, Wasser zu sparen. Dazu reduziert er die Schweiss- und Urinproduktion. Doch dieses biochemische Notprogramm hilft nicht. Die Haut wird trocken und rissig, die Augen sinken ein, die Zunge schwillt an. Der Tod tritt ein, wenn das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird und die lebenswichtigen Funktionen komplett ausfallen.

Der Einsatz von Wasser als Waffe ist eine Verletzung des humanitären Völkerrechts: Dieses sieht den Schutz von Zivilisten und zivilen Objekten in bewaffneten Konflikten vor. Wasser und Wasserinfrastruktur gelten als lebensnotwendige Güter, unerlässlich für das Überleben und die Gesundheit von Menschen unerlässlich.

Aus ethischer Sicht steht fest: Wenn lebensnotwendige Güter gezielt angegriffen, zerstört oder manipuliert werden, um Gegner zu schwächen oder zu bestrafen, werden Menschenrechte wie das Recht auf Leben, Gesundheit und Würde verletzt.

Die Verwendung von Wasser als Waffe kann zu sekundären, schwerwiegenden humanitären und ökologischen Folgen führen: Hungersnöte, Seuchen, Vertreibungen und Umweltschäden.

Der Theologe und Ethiker Jürgen Moltmann, der mit seinem bahnbrechenden Werk «Theologie der Hoffnung» bereits im Jahr 1964 Weltruhm erlangte, plädiert in seinen Werken für eine ökologische Ethik, die das Wasser als Geschenk Gottes und als Menschenrecht achtet und die sich gegen jede Form von Wasserkrieg oder Wasserdiktatur wendet.

Kriege und Genozide sind zwar die barbarischste Art, die Existenz und Würde der Menschen zu vernichten. Doch auch in so genannten Friedenszeiten erweist sich das kostbare Nass als Instrument der Begierde – für global agierende Konzerne. Das schilderte Papst Franziskus in seiner viel beachteten Enzyklika «Laudato Si» des Jahres 2015. Er schrieb: «Während die Qualität des verfügbaren Wassers ständig schlechter wird, nimmt an einigen Orten die Tendenz zu, diese knappe Ressource zu privatisieren; so wird sie in Ware verwandelt und den Gesetzen des Marktes unterworfen. (…) In Wirklichkeit ist der Zugang zu sicherem Trinkwasser ein grundlegendes, fundamentales und allgemeines Menschenrecht, weil es für das Überleben der Menschen ausschlaggebend und daher die Bedingung für die Ausübung der anderen Menschenrechte ist. Diese Welt lädt eine schwere soziale Schuld gegenüber den Armen auf sich, die keinen Zugang zum Trinkwasser haben, denn das bedeutet, ihnen das Recht auf Leben zu verweigern, das in ihrer unveräusserlichen Würde verankert ist.»

Multinationale Konzerne lassen solche Betrachtungen faktisch unberührt. Denn mit kaum einer anderen Ressource lässt sich so viel Geld verdienen wie mit Wasser. So schreibt der Schweizer Konzern Nestlé zwar auf seiner Webseite: «Wasser ist zu 100 Prozent ein Menschenrecht und das ist fest in unseren Unternehmensgrundsätzen verankert.» Die Realität sieht freilich weniger charmant aus, wie die Pariser Rechtsprofessorin Aurore Chaigneau erklärt: «Nestlé Waters stellen sich als Hüter der Ressource Wasser dar. Doch aus rechtlicher Sicht sind sie bloss Nutzer. Halten wir fest, dass sie nur da sind, um abgefülltes Wasser zu verkaufen. Dieses Unternehmen hat nur einen Zweck, nämlich aus der Ausbeutung von Wasser Profit zu schlagen».

Profit schlagen dürfte am Ende auch Israel im zerbombten und entvölkerten Gazastreifen. Denn Israels nationales Wasserunternehmen Mekorot begann bereits 2019 mit dem Bau einer vierten Wasser-Pipeline in den Gazastreifen. Nach Ende des Genozids in Gaza wird Israel demnach nicht nur erneut die lukrative Trinkwasserversorgung übernehmen können – sondern sich von den Überlebenden in Gaza auch noch die Wartung der lebenswichtigen Pipelines versilbern lassen.


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