Die penetrantesten Lügen der energiepolitischen Debatte

Nach Auffassung der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW droht nach Fukushima erneut, dass Lügen und Desinformationskampagnen rationale Entscheidungen in der Energiepolitik verhindern.

"Anstelle eines diffusen Meinungsstreits mit neuen wissenschaftlichen Studien brauchen wir jetzt den ungetrübten Blick auf einfache energiewirtschaftliche Sachverhalte", so IPPNW-Experte Henrik Paulitz. "Nur so werden Öffentlichkeit und Entscheidungsträger auf allen Ebenen in die Lage versetzt, endlich die richtigen Weichen zu stellen." Journalisten und Medien komme hierbei eine besondere Verantwortung zu, die Verlautbarungen der Konzerne ebenso kritisch zu hinterfragen und ausgewogen zu berichten, wie sie es bei Stellungnahmen atomkritischer Verbände machen. Die IPPNW skizziert die vier penetrantesten Lügen der aktuellen energiepolitischen Debatte:


Lüge Nr. 1: Wenn die deutschen Atomkraftwerke stillgelegt werden, müssen wir Atomstrom aus dem Ausland importieren.

Fakt ist: Deutschland kann allein mit seinen konventionellen Kraftwerken und seinen Wasserkraftwerken rund 80 Gigawatt Strom erzeugen, was dem maximalen Strombedarf entspricht. Meist wird erheblich weniger Strom verbraucht. Der Strom aus allen 17 deutschen Atomkraftwerksblöcken mit maximal rund 20 Gigawatt ist vollkommen überflüssig, selbst wenn man die Stromerzeugung aus Windenergie, Photovoltaik und Biomasse mit einer Spitzenleistung von heute schon 38 Gigawatt nicht berücksichtigt. Wenn Atomstrom aus dem Ausland importiert wird, dann liegt das zum einen an fehlerhaften Mechanismen an den Strombörsen. Zum anderen daran, dass etwa die Chemische Industrie auf dem Import französischen Atomstroms zu Dumpingpreisen besteht, statt die eigenen Stromsparpotenziale zu mobilisieren.


Lüge Nr. 2: Wir müssen vor allem die Offshore-Windenergie vorantreiben.

Fakt ist: In der Nord- und Ostsee sollen in den kommenden Jahren lediglich ein paar tausend Megawatt Offshore-Windenergie-Leistung aufgebaut werden (maximal 10 Gigawatt). Hingegen können an Land in ganz Deutschland kurzfristig weit mehr als 60 Gigawatt Windleistung zubaut werden, selbst wenn einzelne Bundesländer den Ausbau weiterhin blockieren sollten. Hinzu kommt ein gigantischer Photovoltaik-Zubau in Bürgerhand, den die Politik behindert. Die einseitige Offshore-Orientierung dient allein den Interessen der großen Energiekonzerne, die damit hohe Profite zu Lasten der Stromkunden erzielen wollen.


Lüge Nr. 3: Wir benötigen viele neue "Stromautobahnen" von Nord- nach Süddeutschland.

Fakt ist: Werden in ganz Deutschland und insbesondere auch in Süddeutschland endlich die erneuerbaren Energien wie auch dezentrale Energiespeicher systematisch vorangetrieben, dann werden keine neuen Verbundstromtrassen benötigt. Diese dienen allein der Absicherung der Marktmacht der Konzerne und sollen über drastische Strompreiserhöhungen erneut weitere Milliarden in die Konzernkassen spülen.


Lüge Nr. 4: Der Atomausstieg und der Umstieg auf Erneuerbare führt zwangsläufig zu massiven Strompreiserhöhungen.

Fakt ist: Während in den vergangenen Jahren die Kosten der Konzerne für den Atomstrom deutlich sanken, stiegen beständig die Strompreise, allein deswegen, weil die Atomkonzerne immer dreister abkassiert haben. Aufgrund falscher Preisbildungsmechanismen in Deutschland sind die Kosten von den Preisen für die Privathaushalte vollkommen abgekoppelt. Drastische Kostensenkungen durch die Einspeisung von Solarstrom (Photovoltaik) werden von den Konzernen auf rechtswidrige Weise nicht an die Stromkunden weitergegeben. Der immense Zubau erneuerbarer Energien in den vergangenen Jahren rechtfertigte laut Bundesnetzagentur keinerlei Strompreiserhöhung. Es ist unbestreitbar, dass eine dezentrale Energiewirtschaft in Bürgerhand, basierend auf heimischen erneuerbaren Energien, perspektivisch für die Bevölkerung die günstigste Alternative ist. Es gilt jetzt, das System der Abzocke durch Großkonzerne, den Import teurer Energierohstoffe und das Führen teurer Energiekriege auf Kosten der Steuerzahler zu beenden.

http://www.ippnw.de/
11. April 2011
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