Gewählt ist: das geometrische Mittel
Die Volkswahl des Bundesrats bringt die Demokratie nicht weiter
Die Schweiz hat die stabilste Regierung der Welt. Seit 165 Jahren ist sie ununterbrochen im Amt. Das hat zwar nicht nur Vorteile: Neues Personal – wenn es denn nötig ist – ist nicht einfach einzustellen. Aber gerade in bewegten Zeiten ist Kontinuität ein Wert, den man nicht leichtfertig über Bord werfen darf.
Genau dies will aber die SVP-Initiative zur Volkswahl des Bundesrates, über die wir am 9. Juni abstimmen. Geboren wurde sie aus dem Frust der SVP über die Abwahl von Christoph Blocher. Als reine Trotz-Initiative müsste man sie nicht ernst nehmen. Aber sie gaukelt einen demokratischen Fortschritt vor, der manche direkt-demokratisch gesinnte Menschen blenden könnte. Volkswahl der Regierung, das tönt gut. Ist es aber nicht.
Das Geheimnis des politischen Systems der Schweiz liegt nicht nur in seiner direkt-demokratischen Konstruktion, sondern gewissermassen zwischen den Zeilen des Verfassungstextes. Der Bundesrat wird zwar nach dem Majorzsystem durch das Parlament gewählt. Die Bürgerlichen könnten, wenn sie denn wollten, die Linken ohne weiteres aus dem Bundesrat werfen. Aber weil man die Schweiz wegen ihrer direkt-demokratischen Volksrechte nicht gegen Minderheiten regieren kann, verzichten die Bürgerlichen bei den Bundesratswahlen freiwillig auf die volle Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten.
Zu diesem Machtverzicht der Parteien gehört als Folge das Kollegialprinzip des Bundesrates, die sich nicht primär als Vertreter ihrer Parteien sehen, sondern im Dienst der ganzen Schweiz stehen (sollten, muss man in Klammern anfügen).
Das ist das Wesen der Konkordanz. Die Herzen gehen zusammen, wie die lateinische Herkunft des Begriffs besagt. Im übertragenen Sinn: Es entsteht ein gemeinsamer Wille. Wer von «arithmetischer Konkordanz» faselt, wie etwa der Präsident der SVP, hat die Sache nicht begriffen. Ganz abgesehen davon, dass wir uns mit einer Volkswahl des Bundesrates von einer arithmetischen Konkordanz, wenn es sie denn gäbe, weiter entfernen würden.
Das Wahlsystem des Bundesrates und das Kollegialitätsprinzip verhindern natürlich starke Männer. Nur ganz selten werden die mächtigsten Politiker oder die klügsten Köpfe in die Regierung gewählt. Und das ist auch gut so. Die Wahl Christoph Blochers, obwohl eine Nötigung, war ein Versuch. Der Mann hat trotz seiner unbestrittenen Fähigkeiten seine Chance nicht genutzt.
Was sind die Folgen einer Volkswahl? Wir treten in eine neue Ära, in der Politiker über Jahre versteckt und offen an ihrer Wählbarkeit arbeiten, in der Wahlbudgets das Resultat beeinflussen und in der die Gewählten ihren Geldgebern und Wählern verpflichtet sind und nicht mehr dem ganzen Land. Den freiwilligen Proporz, ein ausserordentlicher Segen für die Schweiz, können wir vergessen. Und wir werden nicht mehr von Kolleginnen und Kollegen regiert, sondern von sich konkurrenzierenden Machtmenschen im Dauerwahlkampf.
Reine Majorzwahlen für die Regierung, das ist auch den Initianten um Christoph Blocher klar, können in der mehrsprachigen, aus lauter Minderheiten bestehenden Schweiz niemals funktionieren. Deshalb sieht der vorgeschlagene Verfassungstext zwei Sitze für französisch- und italienischsprachige Gebiete vor. Den entsprechenden Absatz dürften 93,7 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nicht auf Anhieb verstehen:
«Ist nach einer Bundesratswahl die Anforderung nach Absatz 5 nicht erfüllt, so sind die …[in den] Kantonen … [Tessin, Waadt, Neuenburg, Genf oder Jura, den französischsprachigen Gebieten der Kantone Bern, Freiburg oder Wallis oder den italienischsprachigen Gebieten des Kantons Graubünden] wohnhaften Kandidierenden gewählt, die das höchste geometrische Mittel aus den Stimmenzahlen der gesamten Schweiz einerseits und den Stimmenzahlen der genannten Kantone und Gebiete andererseits erreicht haben.»
(Ganzer Text der Initiative)
Wer jetzt zufälligerweise bei der Behandlung des geometrischen Mittels in der Schule zum Fenster hinausgeschaut hat und sich bei Wikipedia schlau machen will, erhält folgende Definition: «Das geometrische Mittel der n Zahlen x1, x2, … xn ist gegeben durch die n-te Wurzel des Produkts der Zahlen.» Das nenne ich einen verständlichen Verfassungstext! Das ist volksnahe Politik.
In den nächsten Monaten dürften uns knallige SVP-Plakate weis machen wollen, die Volkswahl des Bundesrats sei ein Gewinn für die Demokratie. Diese unwahre Behauptung gilt es zu parieren. In öffentlichen Diskussionen, der TV-Sendung «Arena» zum Beispiel, dürfte dies kein Problem sein. Man braucht dazu nur den SVP-Präsidenten Toni Brunner aufzufordern, uns doch bitte das geometrische Mittel zu erklären. Selbst wenn er es übt, wird er es nicht schaffen. Etwas schwieriger wird es bei den Slogans, die natürlich noch nicht bekannt sind. Im Moment kommt mir nur die Ironie zur Hilfe, die vermutlich am Volksverständnis vorbeigeht: «Blocher stärken, Volkswahl fordern». Denn Blocher will auch in der SVP bald niemand mehr. Der Mann hat eine einmalige Chance verspielt. Eine zweite darf es nicht geben.
Genau dies will aber die SVP-Initiative zur Volkswahl des Bundesrates, über die wir am 9. Juni abstimmen. Geboren wurde sie aus dem Frust der SVP über die Abwahl von Christoph Blocher. Als reine Trotz-Initiative müsste man sie nicht ernst nehmen. Aber sie gaukelt einen demokratischen Fortschritt vor, der manche direkt-demokratisch gesinnte Menschen blenden könnte. Volkswahl der Regierung, das tönt gut. Ist es aber nicht.
Das Geheimnis des politischen Systems der Schweiz liegt nicht nur in seiner direkt-demokratischen Konstruktion, sondern gewissermassen zwischen den Zeilen des Verfassungstextes. Der Bundesrat wird zwar nach dem Majorzsystem durch das Parlament gewählt. Die Bürgerlichen könnten, wenn sie denn wollten, die Linken ohne weiteres aus dem Bundesrat werfen. Aber weil man die Schweiz wegen ihrer direkt-demokratischen Volksrechte nicht gegen Minderheiten regieren kann, verzichten die Bürgerlichen bei den Bundesratswahlen freiwillig auf die volle Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten.
Zu diesem Machtverzicht der Parteien gehört als Folge das Kollegialprinzip des Bundesrates, die sich nicht primär als Vertreter ihrer Parteien sehen, sondern im Dienst der ganzen Schweiz stehen (sollten, muss man in Klammern anfügen).
Das ist das Wesen der Konkordanz. Die Herzen gehen zusammen, wie die lateinische Herkunft des Begriffs besagt. Im übertragenen Sinn: Es entsteht ein gemeinsamer Wille. Wer von «arithmetischer Konkordanz» faselt, wie etwa der Präsident der SVP, hat die Sache nicht begriffen. Ganz abgesehen davon, dass wir uns mit einer Volkswahl des Bundesrates von einer arithmetischen Konkordanz, wenn es sie denn gäbe, weiter entfernen würden.
Das Wahlsystem des Bundesrates und das Kollegialitätsprinzip verhindern natürlich starke Männer. Nur ganz selten werden die mächtigsten Politiker oder die klügsten Köpfe in die Regierung gewählt. Und das ist auch gut so. Die Wahl Christoph Blochers, obwohl eine Nötigung, war ein Versuch. Der Mann hat trotz seiner unbestrittenen Fähigkeiten seine Chance nicht genutzt.
Was sind die Folgen einer Volkswahl? Wir treten in eine neue Ära, in der Politiker über Jahre versteckt und offen an ihrer Wählbarkeit arbeiten, in der Wahlbudgets das Resultat beeinflussen und in der die Gewählten ihren Geldgebern und Wählern verpflichtet sind und nicht mehr dem ganzen Land. Den freiwilligen Proporz, ein ausserordentlicher Segen für die Schweiz, können wir vergessen. Und wir werden nicht mehr von Kolleginnen und Kollegen regiert, sondern von sich konkurrenzierenden Machtmenschen im Dauerwahlkampf.
Reine Majorzwahlen für die Regierung, das ist auch den Initianten um Christoph Blocher klar, können in der mehrsprachigen, aus lauter Minderheiten bestehenden Schweiz niemals funktionieren. Deshalb sieht der vorgeschlagene Verfassungstext zwei Sitze für französisch- und italienischsprachige Gebiete vor. Den entsprechenden Absatz dürften 93,7 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nicht auf Anhieb verstehen:
«Ist nach einer Bundesratswahl die Anforderung nach Absatz 5 nicht erfüllt, so sind die …[in den] Kantonen … [Tessin, Waadt, Neuenburg, Genf oder Jura, den französischsprachigen Gebieten der Kantone Bern, Freiburg oder Wallis oder den italienischsprachigen Gebieten des Kantons Graubünden] wohnhaften Kandidierenden gewählt, die das höchste geometrische Mittel aus den Stimmenzahlen der gesamten Schweiz einerseits und den Stimmenzahlen der genannten Kantone und Gebiete andererseits erreicht haben.»
(Ganzer Text der Initiative)
Wer jetzt zufälligerweise bei der Behandlung des geometrischen Mittels in der Schule zum Fenster hinausgeschaut hat und sich bei Wikipedia schlau machen will, erhält folgende Definition: «Das geometrische Mittel der n Zahlen x1, x2, … xn ist gegeben durch die n-te Wurzel des Produkts der Zahlen.» Das nenne ich einen verständlichen Verfassungstext! Das ist volksnahe Politik.
In den nächsten Monaten dürften uns knallige SVP-Plakate weis machen wollen, die Volkswahl des Bundesrats sei ein Gewinn für die Demokratie. Diese unwahre Behauptung gilt es zu parieren. In öffentlichen Diskussionen, der TV-Sendung «Arena» zum Beispiel, dürfte dies kein Problem sein. Man braucht dazu nur den SVP-Präsidenten Toni Brunner aufzufordern, uns doch bitte das geometrische Mittel zu erklären. Selbst wenn er es übt, wird er es nicht schaffen. Etwas schwieriger wird es bei den Slogans, die natürlich noch nicht bekannt sind. Im Moment kommt mir nur die Ironie zur Hilfe, die vermutlich am Volksverständnis vorbeigeht: «Blocher stärken, Volkswahl fordern». Denn Blocher will auch in der SVP bald niemand mehr. Der Mann hat eine einmalige Chance verspielt. Eine zweite darf es nicht geben.
28. März 2013
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