Kloten, mon amour

Das Fliegen war zunächst ein Traum und dann ein Wunder. Heute ist es eine Banalität und ein Ärgernis. Eine kurze Geschichte davon, wie wir übers Fliegen denken.

Fliegen! Die Euphorie, das Wunder, der Rausch! Anfang des 20. Jahrhunderts reihte sich Sensationsmeldung an Sensationsmeldung: Erstmals über den Genfersee, erstmals über die Alpen, erstmals über 100 km/h. Flugshows zogen Zehntausende an: Drehungen, Schrauben, Loopings. Der reine Nervenkitzel! … verebbte noch vor dem Ersten Weltkrieg. Schon gesehen, schon gehabt, das Nächste bitte.

Künstler und Bastler der Belle Epoque wurden im Krieg von harten Hunden verdrängt. Und diese hatten ab 1919 ein Problem: Wenn sie wirtschaftlich überleben wollten, mussten sie Reisende finden, die ihnen vertrauten. Also begannen sie, Krawatten zu tragen und sich wie Versicherungsvertreter zu geben. Sie gründeten Lobbyorganisationen, schrieben euphorisierende Jugendbücher und Presseartikel, organisierten Vorträge und Ausstellungen. Der Funke flog trotzdem nicht. Zwar hatten sich einige Passagiere gefunden, aber lange nicht genug. Und was die öffentliche Meinung anging, stellte die «Aero Revue» 1939 fest, dass die Fliegerei dem Mann und der Frau von der Strasse letztlich ziemlich egal war.

Der Wandel kam nach dem Zweiten Weltkrieg. 1947 landete die erste Swissair-Maschine in New York. Es folgten zwei Dekaden voller Fortschrittsoptimismus, Technikbegeisterung und Wirtschaftswachstum. Und nirgends liess sich die Welt von morgen, liess sich das Höher-Schneller-Weiter besser beobachten als am Flughafen. Die Fliegerei strahlte. Auf jeden Passagier kamen 1950 zwei BesucherInnen, Car-Unternehmen boten Ausflüge nach Kloten an. Und die Swissair wurde mehr als eine Airline. Sie wurde das perfekte Symbol für den Aufstieg der Schweiz. Sie war enorm erfolgreich, äusserst rentabel und verfügte über einen hervorragenden Ruf. Ausserdem profitierte sie von allem, was die Schweiz international interessant machte, von der Neutralität über das Bankgeheimnis bis zum weltweiten Interesse am Standort Genf. Die Gesellschaft unter der Leitung von Walter Berchtold erschloss in rascher Folge Destinationen rund um den Globus, und Medien und Bevölkerung machten sie dafür zu «unserer Swissair». Telefonistinnen liessen sich als «Swissair-Telefonistin» im Telefonbuch eintragen. Die Fliegerei war elitär, exklusiv und enorm positiv besetzt. Es konnte also nur bergab gehen.

1971 hatte die Raumfahrt der Luftfahrt den Rang abgelaufen, und mit der Einführung von Jumbo-Flugzeugen verlor das Fliegen auch noch den letzten Rest von Romantik. Hinzu kam eine Welle von Terroranschlägen und Entführungen, sodass die Passagiere unter Generalverdacht gestellt und aufwändig durchsucht wurden. Die Swissair warb neuerdings ohne Flugzeuge und das Luftamt sorgte sich erstmals um die Umwelt. Ein weiteres Wachstum sei eigentlich nicht wünschenswert, erklärte das Amt. Und ausgerechnet der inzwischen pensionierte Walter Berchtold erklärte 1981, es werde heutzutage einfach zu viel geflogen. Das Wachstum ging weiter, aber der Glanz verschwand. Immer mehr Leute konnten sich Flugreisen leisten und der exklusive Traum mutierte zur gewöhnlichen Industrie. Fürs Geschäft war das gut – fürs Image aber verheerend. Reisen wurden zusehends als stressig empfunden, und zu den alten Klagen über den Lärm kamen jene über den Rauch, den sauren Regen, das Waldsterben und schliesslich den Klimawandel.

Dramatisch verschlechterte sich das Ansehen ab 1990. Die Swissair taumelte und fiel. Das Fliegen wurde alltäglich und profan. Und die aufkommenden Billig-Carrier verkürzten ihre Werbung auf eine skizzierte Badelatsche plus Text «Mallorca 29.–» oder fragten provokativ: «Was, wenn das Taxi zum Flughafen teurer wäre als der Flug selbst?» Mit dem Traum vom Fliegen, mit Freiheit und Abenteuer hatte die Verkehrsfliegerei nun definitiv nichts mehr zu tun. Mit dem Reisen eigentlich auch nicht. Wer heute fliegen will, kauft sich einen Gleitschirm.



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Dr. Benedikt Meyer ist Historiker und Autor. Sein Buch «Im Flug. Schweizer Airlines und ihre Passagiere, 1919–2002» liefert die erste wissenschaftliche Aufarbeitung der Schweizer Luftverkehrsgeschichte und ist im Chronos-Verlag erschienen.
05. Mai 2015
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