Entwicklungshilfe aus Bolivien
In Bolivien ist der Kampf um die eigenen Rechte oft ein Kampf ums Überleben. In Deutschland streiten viele nicht einmal mehr für ihre Rechte
Schreibe ich nach gerade einmal drei Wochen in Bolivien bereits aus bolivianischer Sicht? Nicht ganz. Aber meine Gedankengänge zum Thema Grundrechte stehen unter dem Eindruck des Erlebten und des Beobachteten hier in Bolivien.
Das indigen geprägte Land wird seit einigen Jahren von Evo Morales regiert, der nicht nur selbst indigener Abstammung ist, sondern sich auch noch als Anführer einer «Bewegung für den Sozialismus» sieht. Morales regiert das Land nicht nur, sondern verändert es massgeblich. Da geht es um die Einführung eines Rentensystems, um Unterstützung für schwangere Frauen, um Verstaatlichung der Rohstoffkonzerne und andere grundsätzliche Angelegenheiten. Und noch mehr: zum Beispiel darum, dass der Präsidentenpalast, der vor nicht allzu langer Zeit noch eine jener Zonen war, die nicht von Indigenen betreten werden durften, nun von einem Indigenen geführt wird.
Schon nach kurzer Zeit in Bolivien erscheinen mir einige der deutschen Selbstverständlichkeiten gar nicht mehr so unangefochten richtig, zum Beispiel bei der Frage nach der Wahrnehmung der eigenen Grundrechte. Hier lohnt sich ein Blick auf die Art und Weise, mit der die Menschen auf den verschiedenen Kontinenten mit solchen gesellschaftlichen Fragen umgehen. Während in Bolivien der Kampf um die eigenen Rechte oft ein Kampf ums Überleben ist, sehen sich in Deutschland viele nicht mehr in der Pflicht, für ihre eigenen Rechte zu streiten; begründet in einer Faulheit und Konfliktmüdigkeit, die eventuell dem Luxus geschuldet sein könnte.
Wer etwa denkt, das aufgeklärte Europa leiste eine Wächteraufgabe, indem es den mächtigen Präsidenten Morales in seinen Regierungserklärungen und Tageszeitungen kritisch auf die Finger schaut, der hat sich grundsätzlich geirrt. Wohl nirgendwo sonst wird Morales so kritisch beäugt, wie in seinem eigenen Land oder sogar – und das ist das eigentlich Faszinierende – von seinen eigenen Anhängern, die ihm immerhin die absolute Mehrheit verschafft haben.
Ob sie denn heute kein Quinoa habe? «Nein», erklärte mir die Verkäuferin auf dem Markt. Seit der Präsident begonnen habe, das Andengetreide auf der ganzen Welt zu vermarkten, seien die Preise so gestiegen, dass sie es nicht mehr von den Bauern kaufen könne. «Die Absicht ist ja gut gewesen» , erklärt die Morales-Anhängerin, «aber letztlich hat er nur ein paar Bauern geholfen und uns einfachen Leuten geschadet!» Das Gespräch ist kein Einzelfall.
Egal wo, wann und mit wem– es dauert nicht lange bis man über Politik und Morales spricht. Der Friseur, die Marktverkäuferin oder der Mitfahrer in einem der Minibusse; eines teilen sie alle: Interesse und Kompetenz, was politische Themen betrifft. Jeder weiss Bescheid über Morales' letzte Taten, über deren Vorteile, aber auch über deren Nachteile. Und natürlich bezieht man Stellung. Wer die vielen Pro-Morales-Parolen an den Stadtwänden sieht, die vielen TV-Werbespots der verschiedenen Ministerien oder die Plakate mit dem Gesicht des Präsidenten, dem mag ein bisschen schwummrig werden, dem mag diese Autorität ein bisschen zu präsent sein und der mag sich Sorgen um die Grundpfeiler der Demokratie machen. Diese Zweifel werden beseitigt, sobald man in den Regierungssitz La Paz gelangt und gar nicht daran vorbei kommt, einer der vielen Demonstrationen zu begegnen. Da demonstrieren wenige Jahre nach der Einführung von Renten Rentnervereinigungen mit dem Emblem Che Guevaras für eine Erhöhung der Renten. Und auch die Gewerkschaften wissen die Rechte ihrer Mitglieder zu wahren. Jedes Taxi trägt stolz das Emblem oder die Fahne seiner Gewerkschaft, man weiss hier, wie man sich für seine Rechte starkmacht. Dieses Bewusstsein wird in Bolivien gelebt und es versprüht einen Geist der Politisierung über das Land.
Durch diese Erfahrung verhärtet sich gleichzeitig meine Kritik am deutschen Verhalten, wenn es darum geht, die Grundrechte zu verteidigen. Hier gibt es allenfalls den einen oder anderen empörten Aufschrei eines Kolumnisten in einer der verbliebenen kritischen Tageszeitungen. Ein bisschen Entwicklungshilfe von Bolivien könnte uns wieder bei bringen, unsere eigenen Rechte zu nutzen und uns für unsere Rechte einzusetzen.
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Der 20-jährige Autor arbeitet nach einem neunmonatigen Einsatz in der Entwicklungshilfe in Bolivien an einem Manuskript über seine Erfahrungen und Erkenntnisse und ihren Zusammenstoss mit der deutschen Realität.
Das indigen geprägte Land wird seit einigen Jahren von Evo Morales regiert, der nicht nur selbst indigener Abstammung ist, sondern sich auch noch als Anführer einer «Bewegung für den Sozialismus» sieht. Morales regiert das Land nicht nur, sondern verändert es massgeblich. Da geht es um die Einführung eines Rentensystems, um Unterstützung für schwangere Frauen, um Verstaatlichung der Rohstoffkonzerne und andere grundsätzliche Angelegenheiten. Und noch mehr: zum Beispiel darum, dass der Präsidentenpalast, der vor nicht allzu langer Zeit noch eine jener Zonen war, die nicht von Indigenen betreten werden durften, nun von einem Indigenen geführt wird.
Schon nach kurzer Zeit in Bolivien erscheinen mir einige der deutschen Selbstverständlichkeiten gar nicht mehr so unangefochten richtig, zum Beispiel bei der Frage nach der Wahrnehmung der eigenen Grundrechte. Hier lohnt sich ein Blick auf die Art und Weise, mit der die Menschen auf den verschiedenen Kontinenten mit solchen gesellschaftlichen Fragen umgehen. Während in Bolivien der Kampf um die eigenen Rechte oft ein Kampf ums Überleben ist, sehen sich in Deutschland viele nicht mehr in der Pflicht, für ihre eigenen Rechte zu streiten; begründet in einer Faulheit und Konfliktmüdigkeit, die eventuell dem Luxus geschuldet sein könnte.
Wer etwa denkt, das aufgeklärte Europa leiste eine Wächteraufgabe, indem es den mächtigen Präsidenten Morales in seinen Regierungserklärungen und Tageszeitungen kritisch auf die Finger schaut, der hat sich grundsätzlich geirrt. Wohl nirgendwo sonst wird Morales so kritisch beäugt, wie in seinem eigenen Land oder sogar – und das ist das eigentlich Faszinierende – von seinen eigenen Anhängern, die ihm immerhin die absolute Mehrheit verschafft haben.
Ob sie denn heute kein Quinoa habe? «Nein», erklärte mir die Verkäuferin auf dem Markt. Seit der Präsident begonnen habe, das Andengetreide auf der ganzen Welt zu vermarkten, seien die Preise so gestiegen, dass sie es nicht mehr von den Bauern kaufen könne. «Die Absicht ist ja gut gewesen» , erklärt die Morales-Anhängerin, «aber letztlich hat er nur ein paar Bauern geholfen und uns einfachen Leuten geschadet!» Das Gespräch ist kein Einzelfall.
Egal wo, wann und mit wem– es dauert nicht lange bis man über Politik und Morales spricht. Der Friseur, die Marktverkäuferin oder der Mitfahrer in einem der Minibusse; eines teilen sie alle: Interesse und Kompetenz, was politische Themen betrifft. Jeder weiss Bescheid über Morales' letzte Taten, über deren Vorteile, aber auch über deren Nachteile. Und natürlich bezieht man Stellung. Wer die vielen Pro-Morales-Parolen an den Stadtwänden sieht, die vielen TV-Werbespots der verschiedenen Ministerien oder die Plakate mit dem Gesicht des Präsidenten, dem mag ein bisschen schwummrig werden, dem mag diese Autorität ein bisschen zu präsent sein und der mag sich Sorgen um die Grundpfeiler der Demokratie machen. Diese Zweifel werden beseitigt, sobald man in den Regierungssitz La Paz gelangt und gar nicht daran vorbei kommt, einer der vielen Demonstrationen zu begegnen. Da demonstrieren wenige Jahre nach der Einführung von Renten Rentnervereinigungen mit dem Emblem Che Guevaras für eine Erhöhung der Renten. Und auch die Gewerkschaften wissen die Rechte ihrer Mitglieder zu wahren. Jedes Taxi trägt stolz das Emblem oder die Fahne seiner Gewerkschaft, man weiss hier, wie man sich für seine Rechte starkmacht. Dieses Bewusstsein wird in Bolivien gelebt und es versprüht einen Geist der Politisierung über das Land.
Durch diese Erfahrung verhärtet sich gleichzeitig meine Kritik am deutschen Verhalten, wenn es darum geht, die Grundrechte zu verteidigen. Hier gibt es allenfalls den einen oder anderen empörten Aufschrei eines Kolumnisten in einer der verbliebenen kritischen Tageszeitungen. Ein bisschen Entwicklungshilfe von Bolivien könnte uns wieder bei bringen, unsere eigenen Rechte zu nutzen und uns für unsere Rechte einzusetzen.
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Der 20-jährige Autor arbeitet nach einem neunmonatigen Einsatz in der Entwicklungshilfe in Bolivien an einem Manuskript über seine Erfahrungen und Erkenntnisse und ihren Zusammenstoss mit der deutschen Realität.
26. Oktober 2015
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