Vollgeld im Steigflug

Dreimal mehr Besucher als vor einem Jahr verzeichnete die Tagung «Vollgeldrefom oder Systemkrise?» von anfangs Juni in Zürich. Das ist ein schöner Erfolg für den Verein monetäre Modernisierung. Aber die Flughöhe ist noch nicht erreicht. Das Vorhaben, die private Geldschöpfung zu beenden, kann immer noch in die Bedeutungslosigkeit abstürzen.



«Es wird eine Zeit kommen, wo in unserem Lande, wie anderwärts, sich grosse Massen Geldes zusammenhängen, ohne auf tüchtige Weise erarbeitet und erspart worden zu sein: Dann wird es gelten, dem Teufel die Zähne zu weisen; dann wird es sich zeigen, ob der Faden und die Farbe gut sind an unserem Fahnentuch.» Mit diesen prophetischen Worten von Gottfried Keller eröffnete Hansruedi Weber, Präsident des «Vereins monetäre Modernisierung» (MoMo) am 1. Juni an der Universität Zürich die Tagung. 300 Personen waren gekommen, um sich in das «bestgehütete Bankgeheimnis» einführen zu lassen, in die Frage nämlich «wie entsteht Geld?»


Die Antwort gab Joseph Huber, Prof. Für Wirtschafts- und Umweltsoziologie der Uni Halle in seinem Eröffnungsreferat: Es waren die Banken, die öffentlichen Schuldnern ohne Rücksicht auf Rückzahlbarkeit bedingungslos Kredit gewährten und damit die Giralgeldmenge exponentiell steigerten. Das Resultat: Wiederholte Blasenbildung ohne reale Wertschöpfung mit darauf folgenden Krisen. Die Derivate, die ursprünglich der Absicherung der Ansprüche dienten, verkehrten sich in der Folge in ihr Gegenteil und wurden zu blossen, risikoreichen Wetten. Dies zeigte Prof. Marc Chesney, Vizedirektor des Departementes «Banking and Finance» der Uni Zürich. Die Perversion geht mittlerweile so weit, dass sich mit Bankrotten von Staaten mehr Geld verdienen lässt, als wenn diese gedeihen würden. Er sieht deshalb ein Zulassungsverfahren für Finanzprodukte wie bei vielen Produkten in der Realwirtschaft als unabdingbare Voraussetzung für die Domestifizierung der Finanzwirtschaft zur Dienerin der Realwirtschaft. Aber, wie der Historiker und Buchautor Peter Hablützel («Die Banken und ihre Schweiz») feststellte: Die Schweizer Politik hat die Chance der Krise zur Reform nicht gepackt, sondern im Gegenteil nichts von dem umgesetzt, was sie vollmundig angekündigt hatte.


Warum versucht die Politik, das Schuldenproblem mit weiteren Schulden zu lösen, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben? Nach Ansicht der Geldexpertin Prof. Margrit Kennedy leiden die Politiker aller Parteien an einer vollständigen Unkenntnis über die Funktionsweise unseres Geldsystems und verkennen daher auch die Bedeutung komplementärer Regionalwährungen, die wesentlich zur Stabilität unseres Geldsystems beitragen und die Zwänge des Bankengeldes mildern könnten. Aus der Systemtheorie weiss man, dass hocheffiziente, monopolartige Netze wie unser Finanzwesen viel weniger stabil sind als solche, die auf mehreren Pfeilern ruhen, selbst wenn sie weniger effizient sind.
Unser Geldsystem mit der eingebauten Umverteilung von Arbeitenden zu Besitzenden wirft natürlich auch ethische Fragen auf, wie Prof. Mark Joób erläuterte. Freiheit im neoliberalen, negativen Sinn (z.B. die Abwesenheit von Zwang und Regulierung) müsse mit einer positiven Freiheitsauffassung ergänzt werden: als reale Handlungsmöglichkeiten, Zuteilung von Ressourcen und einem nachhaltigen Sozialstaat, der nur in einem Vollgeldsystem realisiert werden könne.


Die Versorgung der Gesellschaft mit Geld muss öffentliche Aufgabe sein und darf nicht den Eigeninteressen privater Banken überlassen werden. Daran liess der emertierte Staatsrechtsprofessor der Hochschule St. Gallen, Philippe Mastronardi, im Abschlussreferat keinen Zweifel und stellte eine umfassende Finanzmarktreform vor. Kernpunkt: Das in Art. 99 der Bundesverfassung formulierte Geldmonopol wird von Münzen und Banknoten auf das von den Banken geschöpfte Giralgeld erweitert. Alles Geld, auch das unbare, wird nach Massgabe des Wirtschaftswachstums von einer Nationalbank mit erweiterten Kompetenzen über die staatlichen Organe zins- und schuldfrei in Umlauf gebracht.


Der Verein MoMo bewies mit der Einladung von Referenten mit abweichenden Meinungen Mut zu einer kontroversen Tagung. Aber er wurde schlecht belohnt. Einerseits blieb das Medienecho erneut mehr als mager und man muss sich schon langsam fragen, was den Mainstream bewegt, ein derart wichtiges Thema wie die privatisierte Geldschöpfung so konsequent zu ignorieren. Andrerseits wurden die strittigen Fragen an der Tagung bloss gestreift, aber nicht diskutiert. Während der Buchautor und Journalist Werner Vontobel («Blick») das «kaputte Finanzsystem» als Resultat der kaputten Wirtschaft mit einseitigen Überschüssen und unkontrollierter Umverteilung sieht, liegt für Joseph Huber die Ursache in der unkontrollierten Geldschöpfung durch die Banken. Der liberale Wirtschaftspublizist Beat Kappeler gab sich als Gegner der privaten Geldschöpfung zu erkennen und forderte aber ein 100-Prozent-Geld, nach dem sich die Wirtschaft nicht mehr über Kredite, sondern Anlagegelder finanzieren soll, wie dies in den USA bereits zu 70 Prozent der Fall sein soll. Eine Geldschöpfung durch staatliche Organe erfordere «engelhafte Politiker» und könne deshalb nicht funktionieren.
Wenn solche Fragen nicht ausdiskutiert werden, wird es die geplante Volksinitiative für eine Vollgeldreform schwer haben, die nötige Unterstützung in der Zivilgesellschaft zu finden. Obwohl der Verein Monetäre Modernisierung kräftig gewachsen ist, musste er die Lancierung der Initiative vom Jahresende auf den nächsten Frühling verschieben. Immerhin hat er mit dieser Tagung gezeigt, dass er mit seinem kompetenten wissenschaftlichen Beirat die führende Kraft der Geldreform ist. Was vor allem fehlt, sind ein paar Politiker, die dem heissen Thema eine Bresche schlagen.


Weitere Informationen: Verein Monetäre Modernisierung, Postfach 3161, 5430 Wettingen. www.vollgeld.ch. Auf der Website sind die einzelnen Vorträge aufgeschaltet.