«Was ist nur mit Obama los?»

Konstantin Wecker macht sich Sorgen über die ausbleibende konsequente Abkehr des US-Präsidenten von unmenschlichen Folterpraktiken und Unrechtsjustiz.

Ach Freunde, was ist nur mit Obama los!
Mit seiner Weigerung keine weiteren Bilder von Gefangenenmisshandlungen durch US-Soldaten herauszugeben, hat er eine gefährliche Kehrtwende vollzogen, in  totalem Widerspruch zu seinem hoffnungsvollen und prächtig inszenierten  Programm. Im Endeffekt läuft es darauf hinaus, dass die Amerikaner auch unter Obamas Präsidentschaft nicht auf ihre obszönen, menschenverachtenden und zutiefst undemokratischen Foltermethoden verzichten wollen.
Zwar hat Obama die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo angekündigt - aber Bagram in Afghanistan behält er bei.
Zwar hat er Folter und die Verhörmethoden unter Bush gleich nach Amtsantritt geächtet - doch über den geplanten juristischen Umgang mit Terrorverdächtigen  gibt es Kontroversen und noch keine Klarheit.
Zwar hat das Weiße Haus die sogenannten Folter-Memos veröffentlicht, mit denen die Regierung Bush Misshandlungen juristisch den Weg ebnete - die Verfasser dieser Memos will die Regierung Obama aber nicht zur Verantwortung ziehen. (spiegel online)
Folter ist ja nicht erst in der Ära Bush neu erfunden worden. Sie ist trauriger Bestandteil amerikanischer Verhörmethoden seit dem Zweiten Weltkrieg.
In seinem höchst empfehlenswerten Buch «Folter im 21. Jahrhundert» schreibt Alexander Bahar:
«Bekanntermaßen hatten die USA nach dem zweiten Weltkrieg keine großen Skrupel,  sich die wissenschaftlichen Forschungen und Erkenntnisse der zuvor bekämpften  Nazis zu eigen zu machen (...) Nach dem Krieg interessierte sich die US - Navy ganz besonders für die medizinischen Menschenversuche der Nazis im KZ Dachau. Ihr vornehmliches Interesse galt den Experten des deutschen KZ Arztes Sigmund Rascher. Bei seinen grausamen 'terminalen Versuchen' (Unterkühlunsversuche sowie Experimente mit aus Zuckerrüben gewonnenen Pektinen zur Blutgerinnung), die oft mit dem einkalkulierten Tod der Probanden endeten, hatte Rascher auf russische oder polnische Kriegsgefangene zurückgegriffen. Auch bei einem Vergleich des von der Bush-Regierung etablierten Arsenals an Verhörtechniken und Rechtskonstruktionen mit denen der NS-Zeit ergeben sich frappierende Ähnlichkeiten. Die unbefristete Internierung von sogenannten ungesetzlichen feindlichen Kämpfern etwa erinnert unwillkürlich an die 'Schutzhaft' - Praxis der Nazis, und die von der US-Regierung ausgegebene Sprachregelung der 'harschen' oder 'verbesserten' Verhörtechniken findet im Nazi-Neusprech der 'verschärften Vernehmung' ihr Analogon ...»
Natürlich haben diese unbeschreibbaren Grausamkeiten auch die Nazis nicht erfunden, sondern es sind unschwer die historischen Vorbilder aus dem Mittelalter zu erkennen.
Aber: Inquisition, «Drittes Reich» - man dachte doch lange, das alles wäre überwunden in den westlichen Demokratien? Die Menschheit sei in Anbetracht all des Elends sensibilisiert, aufgeklärt, vielleicht sogar erneuert?
Obama will versöhnen, heißt es, nur hat kein amerikanischer Präsident jemals radikal mit der Politik seines Vorgängers brechen können und wollen.
Aber wie will man jemals wirklich etwas verändern, wenn man sich nicht bedingungslos der eigenen Geschichte stellt?
Wie kann man sich versöhnen, wenn man nicht offenlegt, warum es überhaupt notwendig ist, sich zu versöhnen?
Alle, auch kleinste geistigen Verknüpfungen zur unmenschlichsten Epoche der Weltgeschichte - der Zeit des Nationalsozialismus - müssen radikal gekappt werden.
Die Nazis waren Antisemiten. Wir dürfen das nie mehr sein.
Die Nazis haben aus räuberischem Interesse Kriege geführt. Wir müssen den Frieden zum höchsten Gut erklären.
Die Nazis haben Bücher verbrannt. Wir müssen sie lesen.
Die Nazis haben Menschen verachtet. Wir müssen lernen sie zu lieben.
Die Nazis haben gefoltert. Für uns darf das nie und unter keinen Umständen eine Option sein.
18. Mai 2009
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