Was könnte eine Alternative zur Konsum- und Wegwerfgesellschaft sein? Eine Ressourcen sparende Wirtschaft, die auf Nachhaltigkeit setzt. Doch so lange der Trend zu kurzlebigen Produkten anhält, gibt es nur einen Ausweg: Upcycling!

Es begann mit einem Feuerwehrschlauch. Auf der Suche nach geeignetem Material für einen Gürtel stiess Carolina Schaffner auf ausrangiertes Material der lokalen Feuerwehr. Mit einer Schere trennte sie den Schlauch auf, kombinierte ihn mit einer alten Militärschnalle – und fertig war ihr erstes Eigenprodukt. Das ist nun dreizehn Jahre her, mittlerweile gründete die heute 50-Jährige das Label «Frisch Frech», das sich der Herstellung von Upcycling-Produkten verschrieben hat. Hier handle es sich nicht um Recycling, bei dem eine Abwertung oder wiederum dasselbe Produkt entstehe, beispielsweise wenn Altglas eingeschmolzen und daraus Flaschen gemacht werden, stellt Carolina Schaffner klar. «Beim Upcycling geht es mir vielmehr darum, eine Zweckentfremdung zu vollziehen und gleichzeitig den Materialwert zu erhalten», erklärt sie den Prozess.

In der Schweiz waren es die Taschen der Brüder Markus und Daniel Freitag, mit denen der Begriff des Upcyclings ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit rückte. Sie begannen 1993, aus gebrauchten LKW-Planen erste Messengerbags zu fertigten.
Taschen sind auch im Sortiment von «Frisch Frech» zu finden, hergestellt aus alten Brandschutzjacken. In Zusammenarbeit mit verschiedenen sozialen Institutionen werden zudem nicht mehr funktionsfähige Fallschirme zu Necessaires verarbeitet, ausrangierte Feuerwehrschläuche neben den Gürteln zu Handyhüllen und Agenden umfunktioniert und aus alten Zelten Etuis produziert.
«Das sind alles Materialien, die man von der Kombination her nicht recyceln kann, respektive die in der Verbrennung landen würden», erklärt Carolina Schaffner. Altes Material erhält die Richterswilerin von Freunden, immer wieder bekommt sie zudem Anfragen von Firmen, die ihr ausrangiertes und somit für den Abfall gedachtes Material abgeben wollen. Verkauft werden die geupcycelten Produkte entweder auf dem lokalen Markt oder in verschiedenen Läden. Einer davon ist der vom Kollektiv «zweitesDesign» betriebene Verkaufsraum in Basel.

«Upcycling sehe ich als Gegenbewegung zum herrschenden Konsumstil», sagt die Geschäftsführerin Simone Cueni. Mit einer Freundin begann die 39-Jährige vor ein paar Jahren, als ihr der Begriff Upcycling noch gar nichts sagte, aus alter Bettwäsche Kinderkleider zu nähen. «Beide nähten wir gerne, jedoch war es einfach zu teuer, Stoff neu zu kaufen», erklärt die vierfache Mutter ihre Motivation. 2013 entstand daraus das Upcycling-Kleiderlabel «Aufgehübscht in Baselwest» und bereits ein Jahr später war Simone Cueni Mitgründerin von «zweitesDesign». Der Zusammenschluss lokaler Upcyclingproduzenten hat es sich zum Ziel gesetzt, diesen noch kleinen Wirtschaftszweig im Bereich Mode zu fördern, eine Produktplattform zu bieten und damit auf mehr Resonanz in der Öffentlichkeit zu stossen.
Regelmässig bekommt Simone mittlerweile von Freundinnen Altkleider. Das seien denn auch nicht zwingend nur Stoffe, die sonst im Abfall landen würden. «Vielmehr können es auch einfach Materialien sein, für die es in der momentanen Form keine Verwendung gibt», sagt sie. So wirft sie auch oft einen Blick in lokale Brockenhäuser oder stöbert im Materialmarkt «Offcut».


Zu entdecken gibt es im ebenfalls in Basel gelegenen «Offcut» so einiges. Der «Materialmarkt für kreative Wiederverwertung» nimmt gebrauchte Materialien, Überschüsse und Produktionsabfälle aus dem Gewerbe und Privathaushalten entgegen und stellt diese günstig zur Weiterverwendung zur Verfügung. Über eine insgesamt 350m2 grosse Fläche erstreckt sich das  breite, in verschiedene Kategorien wie Holz, Papier, Metall, Glas oder Textilien unterteilte Sortiment. So sind etwa verschiedenste nach Farben getrennte Stoffe in Regalabteilen zu finden, neben Holzleisten stapeln sich Kartonröhren, in verschiedenen Kisten sind Garne verstaut und über einen alten SBB-Palettenrahmen quillt eine farbige Strickbahn. «Eigentlich ist das hier eine grosse Abfallsammlung», sagt Simone Schelker. 2012 rief die Kulturmanagerin gemeinsam mit Tanja Gantner und Lucas Gross den hinter dem Materialmarkt stehenden Verein Offcut ins Leben. Mittlerweile ist der Verein auf rund 80 Mitglieder angewachsen, die von gemeinsamen Workshops und anderen Vereinsanlässen profitieren können. Es gehe dem Materialmarkt nicht um eine Recyclingform, bei der ein Material unter hohem Energieaufwand verändert werde. «Wir sind ein Mittel zum Zweck für Upcycling, bei dem es zu einer Materialaufwertung kommt», sagt die 34-Jährige. «Die Sensibilisierung, dass das alles nicht weggeworfen werden muss und eine neue Verwendung findet, kann ein durchaus einleuchtendes Moment für Besucher darstellen, die zum ersten Mal hier vorbeikommen», schliesst Simone Schelker aus ihren Beobachtungen.

Immer wieder erhält der Verein neben Materiallieferungen auch Anfragen für Produktdesigns. Simone Schelker erzählt von einem Skigebiet, das jedes Jahr eine Tonne Skilift-Billette hatte, die weggeworfen werden sollten. Dabei sei es gar nicht darum gegangen, ob das Offcut diese annehmen wolle oder nicht. «Hier ging es um ein passendes Design oder eine Idee, was man nun mit all diesen Billetten anstellen könnte», sagt sie. Doch momentan fehlen dem Verein noch die Ressourcen, derartige Bitten zu erfüllen. Ein Einzelfall sei das Beispiel nicht: «Ganz viele Leute wollen Lösungen für ihre Abfälle.»


«Wegwerfprodukte sind die Norm geworden», kritisieren Michael Braungart und William McDonough in ihrem 2002 erschienenen Werk «Einfach intelligent produzieren». Zeitgenössische Produkte sind zumeist so entworfen, dass sie am Ende der vorgesehenen Nutzungszeit entweder gar nicht wiederverwertbar sind oder aber Materialverluste entstehen. Als «Cradle-to-Grave» (von der Wiege bis zum Grab) bezeichnen der deutsche Verfahrenstechniker Braungart und der US-amerikanische Architekt McDonough diesen Prozess und plädieren für einen Paradigmenwechsel hin zum «Cradle-to-Cra-dle»: Dieses Prinzip zeichnet sich durch ein Redesign von Produkten mit dem Fokus auf deren Wiederverwertung aus. Durch die Aufteilung in zwei Nährstoffkreisläufe soll ein Produkt so entworfen werden, dass es entweder in den biologischen Kreislauf oder in den technischen, also industriellen, Kreislauf zurückkehren kann. Dem Prinzip des Cradle-to-Cradle folgend wäre ein konsequentes Upcycling folglich nur innerhalb dieser geschlossenen Kreisläufe möglich.

Statt sich also erst am Schluss mit der Verwertung der Skilift-Billette auseinanderzusetzen, müsste nach der Logik des Cradle-to-Cradle diese Frage bereits beim Design eines Produkts – also noch vor dessen Herstellung – beantwortet werden.
Das ist auch Simone Schelkers Vision: «Ankommen wollen wir schliesslich bei der Ursache.» Das Offcut betrachtet sie aus diesem Grund als eine momentane Zwischenstation: «Ich hoffe, dass es diesen Materialmarkt irgendwann gar nicht mehr braucht.»
Aus der Welt geschafft ist das Problem nicht wiederverwerteter Rohstoffe mit Kleiderlabeln wie «Frisch Frech» und «Aufgehübscht in Baselwest» oder Verkaufsräumen wie «zweitesDesign» sowie dem Materialmarkt «Offcut» sicher nicht. Das Argument, dass eine Entsorgung in den meisten Fällen nur zeitlich verschoben wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Doch es sind solch kreative und lustvolle Projekte und Räume, die ein Bewusstsein für den Wert vermeintlichen «Mülls» schaffen und ein Interesse an Alternativlösungen wecken.     


Links zu den erwähnten Projekten:
www.frischfre.ch
www.zweitesdesign.ch
www.aufgehuebscht.ch
www.offcut.ch

Braungart, Michael/McDonough, William: Einfach intelligent produzieren. 2003 Berlin: Taschenbuch Verlag.