Man hält es nicht für möglich, was dieser Tage in Wien passiert ist. Nach monatelangen Vorbereitungen schmeißt der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), ursprünglich Mitorganisator einer großen internationalen Friedenskonferenz, die Teilnehmer aus seinem Haus, das als Veranstaltungsort vorgesehen war.
Drei Tage vor Konferenzbeginn mussten die Veranstalter eine neue Bleibe suchen. Der Grund für dieses wieder einmal drastische Beispiel von Cancel Culture: Die Verfasser eines Friedensaufrufs hatten eine Mitverantwortung der NATO für den Krieg zwischen Russland und Ukraine behauptet.
„Wir verurteilen die illegale russische Invasion in der Ukraine.“ Mit diesen Worten beginnt der Aufruf zum Wiener Friedensappell und setzt dann fort:
„Wir sind uns der Mitverantwortung der NATO für diesen Langzeitkonflikt als eines von vielen Beispielen für Verstöße gegen das Völkerrecht voll bewusst.“
Das war für den ÖGB bereits zuviel der diplomatischen Formulierung und zu wenig Selenskij-Verehrung. Dem Druck seitens der ukrainischen Botschaft und kriegsgeiler österreichischer Medien hielten die Gewerkschafter nicht stand und setzten die vorgesehenen Referenten vor die Tür. …
Wie die Friedenskonferenz insgesamt einzuschätzen ist, lässt die Tageszeitung Standard die ehemalige Skirennläuferin Nicola Spieß-Werdenigg sagen — offensichtlich war sonst niemand für eine rasche Diffamierung zur Stelle: Der „Summit for Peace“ sei, so die Ex-Abfahrerin, „einfach russische Propaganda, die hier unter dem Deckmantel der Friedensförderung verbreitet wird“.
Den Auftakt zum Rausschmiss der Friedenskonferenz aus den Räumen des ÖGB machte der ukrainische Botschafter in Wien, Vasyl Khymynets. Ohne vorherigen vollständigen Rückzug russischer Truppen aus ukrainischen Gebieten brauche man über einen Frieden gar nicht zu reden, so der Mann, der von Verhandlungen offensichtlich nichts wissen will.
Kurz darauf gab es laut Auskunft eines Gewerkschafters eine Bombendrohung gegen das ÖGB-Haus, von der seltsamerweise aber die Polizei nichts wusste. …
Der „Summit for Peace“ fand übrigens doch noch statt, und zwar im gründerzeitlichen Prachtsaal „Loreley“, in dem vor 120 Jahren das Wiener Bürgertum tanzte und die Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg ihre Großveranstaltungen abhielt.